Wirecard-Skandal:Zu dumm zum Fälschen

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Ein verräterisches Datum trug dazu bei, dass alles aufflog.

Von Klaus Ott und Jörg Schmitt, München

Manchmal sind es die kleinen Dinge des Lebens, die einen großen Schwindel auffliegen lassen: ein Schreibfehler, eine schlechte Ausrede - oder schlicht ein falsches Datum. Am 18. März 2020 wollte die Wirtschaftsprüfgesellschaft EY von der philippinischen Bank BDO wissen, was es mit vermeintlichen Treuhandkonten auf sich habe, auf denen Hunderte von Millionen Euro des deutschen Finanzkonzerns Wirecard liegen sollten. Ende März, knapp zwei Wochen später, erhielt EY per Kurier von der BDO eine schriftliche Bestätigung: Die Treuhandkonten und das Geld, mehr als 1,1 Milliarden Euro, seien vorhanden.

Alles bestens also? Eher nicht. Das Schriftstück, das die BDO geschickt hatte, datierte vom 16. März. Wie aber kann es sein, dass die Bank eine Anfrage beantwortete, bevor diese überhaupt gestellt wurde? Ein Schreibfehler bloß - oder war da jemand einfach zu dumm zum Fälschen? Immerhin war bis hierher alles gut gegangen. Wirecard-Vorstand Jan Marsalek und seine Vertrauten hatten, so die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft München I, offenbar jahrelang sehr erfolgreich Wirtschaftsprüfer, Ermittler und Journalisten systematisch und mit hoher krimineller Energie hinters Licht geführt.

Der Verdacht, dass bei Wirecard nicht alles koscher lief, erhärtete sich für EY spätestens im März 2020. Die Wirtschaftsprüfer wollten, nachdem sie die Bilanzen jahrelang nahezu anstandslos testiert hatten, diesmal offenbar genauer hinschauen - und stießen dabei auf besagte Antwort, die schon vor der Anfrage fertig war. Ein Vertrauter von Marsalek, der philippinische Anwalt und angebliche Wirecard-Treuhänder Mark Tolentino, hatte aber auch für diesen Lapsus eine Erklärung. Er habe die Bank BDO vorab über die anstehende Bitte von EY informiert, erklärte der den Prüfern. Deshalb das verfrühte Datum auf dem Dokument.

Die EY-Prüfer, wegen mancherlei Merkwürdigkeiten während der Abschlussprüfung 2019 ohnehin argwöhnisch geworden, gaben sich mit Tolentinos Auskunft diesmal jedoch nicht zufrieden. Sie verlangten weitere Bank-Nachweise zur Existenz der Treuhand-Gelder, bis im Juni 2020 Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro schließlich aufflogen und Wirecard pleiteging.

Zu der Story, die so aberwitzig ist, dass sie sich kein Drehbuchautor hätte ausdenken können, passt auch diese Geschichte: Anfang März 2020 trafen sich Abgesandte von EY und Wirtschaftsprüfer der KPMG, die der Wirecard-Aufsichtsrat mit einer Sonderuntersuchung beauftragt hatte, in der philippinischen Hauptstadt Manila mit Treuhänder Tolentino. Die Prüfer besuchten auch Filialen der BDO und einer weiteren Bank, der BPI, bei der angeblich noch einmal mehr als 800 Millionen Euro Treuhandgeld von Wirecard liegen sollte. Mit dabei auch Marsalek und andere Wirecard-Mitarbeiter. Einer dieser Manager sagte später sinngemäß zu Ermittlern, die BPI-Filiale habe ziemlich abseits des Zentrums gelegen, in einer heruntergekommenen Gegend - das Wort Slum soll gefallen sein. Und ausgerechnet hier sollten Treuhandkonten mit mehr als 800 Millionen Euro geführt worden sein?

Tolentino, offenbar nie um eine Antwort verlegen, soll erklärt haben, das sei eben die für ihn zuständige, weil nächstgelegene BPI-Filiale. Auch die Geheimniskrämerei zwischen Bankern, Treuhändern und Wirecard machte offenbar die Prüfer stutzig. Bankangestellte der BPI und auch der BDO überreichten allem Anschein nach die angeblichen Kontobestätigungen in verschlossenen Umschlägen an Tolentino, der gab sie dann - verschlossen - an die Wirecard-Leute weiter. Als die EY-Prüfer den Inhalt sehen wollten, wurde ihn das zunächst verwehrt, so jedenfalls steht es in Ermittlungsunterlagen. Kein Wunder - es gab die Konten ja gar nicht.

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