Windkraft:Stau beim Strom

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Die Bundesregierung will im Norden weniger Windparks bauen. Schleswig-Holsteins Umweltminister übt Kritik.

Von Peter Burghardt, Hamburg

"Vom Norden aus liegt der Rest der Republik ganz schön abseits", eröffnet Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Robert Habeck sein neues Buch ("Wer wagt, beginnt"). Besonders abseits liegt der Süden der Republik für nördliche Energie. Die Windräder dort oben produzieren mehr Strom, als die Leitungen nach unten tragen können. Die Bundesregierung will deshalb den Ausbau von Windparks in Norddeutschland ab 2017 erheblich drosseln. Das erzürnt Habeck, er beklagt einen Widerspruch: "Es kann nicht sein, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien gebremst wird, weil die Stromnetze nicht reichen, aber gleichzeitig zusätzlicher Atomstrom ausgerechnet in die knappen Netze geschoben wird", sagte er der Süddeutschen Zeitung.

"Netzausbaugebiete" heißen jene Regionen, die Berlin ab dem kommenden Jahr bis auf weiteres beschränken will. Das sind laut eines Entwurfs der Bundesnetzagentur Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Bremen sowie der Nordteil von Niedersachsen. Statt wie zunächst geplant weiteren 2500 Megawatt dürfen dort dann nur noch zusätzlich 902 Megawatt entstehen, das wären 120 bis 200 neue Windräder für Norddeutschland. Die Begründung der Aufsichtsbehörde: Die modernen Stromtrassen nach Süddeutschland werden voraussichtlich erst 2022 fertig. Allerdings belastet auch die Kraft von Kohle und Atom die Kapazitäten, was sich nach Ansicht des Umwelt-, Landwirtschafts- und Energiewende-Ministers Habeck aus Kiel und auch seines ebenfalls grünen Kollegen Stefan Wenzel aus Hannover ändern ließe.

Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern haben sich der Windkraft verschrieben

Habeck denkt dabei vor allem an Kernkraftwerke, vorneweg an Brokdorf. Der Bund müsse dafür sorgen, dass Atomstrom keine Vorfahrt vor Erneuerbaren Energien habe. "Daher muss die Übertragung von Reststrommengen aus Atomkraftwerken in die neuen Netzausbaugebiete ausgeschlossen werden", so Habeck. "Entweder klärt der Bund das mit den AKW-Betreibern freiwillig, oder er sorgt für eine Änderung des Atomgesetzes."

Das Atomgesetz sieht zum einen vor, dass die letzten deutschen Atommeiler Ende 2022 vom Netz gehen. Für Brokdorf an der Elbe soll am 31. Dezember 2021 Schluss sein. Zum anderen darf jedes dieser Kernkraftwerke nur eine maximale Energiemenge erzeugen. Ist das Höchstmaß ausgeschöpft, ehe die Frist ausläuft, dann muss früher abgeschaltet werden. 2015 hatte Brokdorf 10 625 Gigawattstunden (GWh) generiert, 2016 waren es bis Ende August laut Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit 7038 GWh. Übrig blieben Anfang September noch 34 358 GWh, die wären nach dem gegenwärtigen Rhythmus schon vor 2021 erreicht. Dabei muss es jedoch nicht bleiben, denn das Atomgesetz erlaubt, zulässige Strommengen von AKW zu AKW weiterzugeben. Der Bund habe da "ein widersinniges System geschaffen", findet der Kritiker Habeck. "Während der Zubau der erneuerbaren Energien gebremst wird, dürfen Atom- und Kohlekraftwerke nicht nur munter weiter produzieren, sondern es können sogar zusätzliche Strommengen auf Atomkraftwerke im Netzengpassgebiet übertragen werden." Die Regierung solle dafür sorgen, "dass zusätzlicher Atomstrom nicht auch noch die Netze verstopft".

Niedersachsens Umweltminister Wenzel kommentierte das ähnlich, als in der vergangenen Woche der Vorstoß der Bundesnetzagentur zur Begrenzung der norddeutschen Windenergie bekannt wurde. "Die neue Verordnung wäre verzichtbar, wenn Überkapazitäten bei Atom- und Kohlekraftwerken schneller abgebaut würden", meint Wenzel. Dennoch sei "der weitere Netzausbau dringend erforderlich." Wobei von der Begrenzung der Windparks nur halb Niedersachsen betroffen sein soll.

Besonders erschrocken ist neben Schleswig-Holstein auch Mecklenburg-Vorpommern, denn beide trifft es ganz, und beide haben sich der Kraft des Windes mit einigem Verve verschrieben. Ungefähr 3000 Rotoren drehen sich ganz im Norden, an Land und auf dem Meer, sie schaffen außer Strom auch Arbeitsplätze und Gewinne. Gleichzeitig wächst in vielen Kommunen der Widerstand, und der Kieler SPD-Ministerpräsident Torsten Albig gab bei seiner Regierungserklärung im Juni sehr deutlich zu verstehen, dass es in diesem Tempo nicht weitergehen könne: "Wir wissen, dass wir an einem Punkt angelangt sind, an dem wir nachjustieren müssen." Sein Stellvertreter Habeck ist derzeit auf Dienstreise in Indien - es geht um die Sonne und vor allem um den Wind.

© SZ vom 19.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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