Wikileaks in Russland:Wenn Piraten in Putins Palast surfen

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Russland, das Reich der Verschwörungstheorien und gezielten Desinformationen, ist im Wikileaks-Fieber. Die derzeit heißeste Ware auf dem russischen Markt: Fotos eines gigantischen Palastes - samt Gerüchten, für wen er gebaut wurde.

Sonja Zekri, Moskau

Der Palast wäre eines Zaren würdig. Die Seite RuLeaks.net zeigt Kolonnaden und Springbrunnen, goldenen Stuck und ozeangroße Badewannen. "Wir sagen nicht, wem dieser Palast gehört, wir veröffentlichen nur Fotos des Objektes", heißt es auf RuLeaks.net. Über den Besitzer aber spekuliert Russland, seit der Unternehmer Sergej Kolesnikow im Internet folgende atemberaubende Behauptung aufgestellt hat: Das Anwesen, zu dem ein Hubschrauberlandeplatz und ein Weingut gehörten, koste eine Milliarde Dollar, liege an der russischen Schwarzmeerküste in der Nähe des künftigen Olympia-Ortes Sotschi - und werde seit 2006 für den heutigen Premier Wladimir Putin gebaut.

Die Seite RuLeaks.net operiert seit Dezember, anfangs als Wikileaks-Übersetzung, inzwischen mit eigenem Anspruch. (Foto: screenshot: sueddeutsche.de)

80.000 Besucher pro Tag flanieren inzwischen pro Tag durch den angeblichen Putin-Palast auf RuLeaks.net, obwohl eine Hacker-Attacke die Seite kurz lahmlegte, und niemand weiß, woher die Fotos wirklich stammen. "In einer Zeit absoluter Lüge kann ein wahres Wort die Welt erobern", erklären die RuLeaks.net-Gründer pathetisch. Die Seite operiert seit Dezember, anfangs als Wikileaks-Übersetzung, inzwischen mit eigenem Anspruch. Gegründet haben sie anonyme Aktivisten, nach eigenen Angaben "Arbeitslose und Studenten, Bürosklaven und Bauern", vor allem wohl Copyright-Gegner aus der "Piratenpartei Russlands".

Wladimir Putin hat alle Gerüchte über sein Vermögen, auch die jüngsten, stets dementieren lassen. In seiner Steuererklärung deklariert er knapp 100.000 Euro und zwei Oldtimer - was in Russland große Heiterkeit auslöste, schließlich kosten allein Putins Uhren ein Vermögen. Wo aber Augenschein und Behauptung so drastisch auseinanderklaffen, wo die meisten Medien gegängelt werden, da schlägt die Stunde von Enthüllerwebseiten wie RuLeaks.net oder von corruptionfreerussia.com, jener Seite, auf der Kolesnikow seine Behauptungen über den Putin-Palast am Schwarzen Meer veröffentlicht hatte. Als Strohmann für Putin trete der Ex-Siemens-Mitarbeiter Nikolaj Schamalow auf, so Kolesnikow. Gemeinsam hätten er, Kolesnikow, und Schamalow im Auftrag Putins über eine Firma medizinische Technik für russische Kliniken geliefert; Schamalow aber habe Palast und Weingut vorangetrieben und tue dies bis heute.

Bewiesen sind diese Gerüchte so wenig wie frühere Spekulationen. Der Moskauer Politologe Stanislaw Belkowskij hatte vor Jahren behauptet, Putin kontrolliere Öl- und Gasaktien im Wert von 30 bis 40 Milliarden Dollar. Lange Zeit galt Putin als geheimnisvoller dritter Aktionär der Schweizer Ölhandelsfirma Gunvor. Erst jüngst hatte Gunvor erklärt, sein Minderheitenpaket gehöre einem Manager-Trust, nicht Putin - nachdem Wikileaks die Geschichte wieder aufgebracht hatte.

Russland, das Reich der Verschwörungstheorien und gezielten Desinformationen, ist im Wikileaks-Fieber, ja, es könnte sogar zur Zuflucht für den Wikileaks-Gründer Julian Assange werden. Die Zeitschrift Russkij Reportjor, Kooperationspartner von Wikileaks, will demnächst die Stiftung "Freunde von Wikileaks" registrieren lassen, um Geld zu sammeln für Wikileaks, vielleicht für die Übersiedlung des in London festsitzenden Julian Assange nach Russland. Dabei ist nicht einmal klar, ob dieser von der Offerte weiß. Dmitrij Welikanowskij von Russkij Reportjor erklärt auf Anfrage: "Im Moment darf er ja nicht ausreisen. Es ginge frühestens in einem Jahr, sagt uns sein Anwalt."

© SZ vom 24.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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