Wie Cromme den Kleinfeld-Nachfolger fand:Wettlauf gegen die Zeit

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Der neue Vorstandsvorsitzende bei Siemens muss schnell sein eigenes Netzwerk installieren - sonst wird er scheitern.

Markus Balser, Karl-Heinz Büschemann, Kristina Läsker, Klaus Ott

Der Mann kann offenbar alles. ,,In dieser kritischen Situation'' habe man nach einem Kandidaten gesucht, der ,,neue Ansätze und neue Ideen ins Unternehmen bringen könne und die Fähigkeit besitze, Wandel und Wachstum voranzutreiben'', sagt - nicht Gerhard Cromme, der Aufsichtsratsvorsitzende von Siemens, über den Mann, der den Elektrokonzern vom Juli an führen soll. Die Lobeshymne stammt von Richard Clark, dem Chef des amerikanischen Pharma-Konzerns Merck. Der hatte Löscher erst vor gut einem Jahr zum zweiten Mann in dem Unternehmen mit Sitz im amerikanischen Bundesstaat New Jersey gemacht.

Jetzt ist der Österreicher wieder auf dem Sprung: nach München. Bei dem von einer Korruptionskrise geschüttelten Elektromulti wird er von manchen ähnlich enthusiastisch begrüßt wie damals bei Merck. Cromme, der als Chef des Aufsichtsrates vier Wochen lang einen Nachfolger für den zurückgetretenen Konzernchef Klaus Kleinfeld suchte, sagt über den 49-jährigen Löscher, dieser sei ,,eine herausragende Persönlichkeit'', habe ein ,,internationales Renommee'' und verfüge über ,,breite Erfahrung'' in strategischen Fragen. Kurzum: Siemens liege bei ihm ,,in besten Händen''.

Cromme hat gute Gründe, die Vielseitigkeit des Kandidaten zu rühmen. Löscher hat in dem verschachtelten Konzern mit zehn Geschäftsbereichen und den 475000 Beschäftigten eine schwierige Aufgabe vor sich.

Sechs lange Monate stand Siemens in der Öffentlichkeit, weil der Konzern sich Auslandsaufträge mit Bestechungsgeld erkauft haben soll, zwischenzeitlich saßen sogar Vorstandsmitglieder in Untersuchungshaft. Immerhin gilt der studierte Wirtschaftswissenschaftler als Mann, der zupacken kann. Einer, der Löscher kennt, sagt, der könne gut zuhören. Vor allem gehöre er nicht in die Kategorie der Wichtigtuer, ,,die überall seinen Senf dazu geben müssen''. Dass er Führungsqualität besitzt, bewies Löscher in jungen Jahren. Da war er Kapitän der österreichischen Volleyball-Nationalmannschaft.

An verschwiegenem Ort

Siemens ist ein komplexes Unternehmen, das in 190 Ländern vertreten ist, das von der elektronischen Maschinensteuerung über Computertomographen und Glühbirnen bis hin zum Kraftwerk oder dem Magnetzug Transrapid alles anzubieten hat, was unter der Rubrik High-Tech läuft und es ist ein verunsichertes Unternehmen.

Die Bestechungsaffären haben die Belegschaft verunsichert wie nichts zuvor. ,,Die Leute haben Angst'', sagt der Gesamt-Betriebsratsvorsitzende Ralf Heckmann. Die Sorge über die Wirkung der Korruptionsaffäre gehe soweit, dass Mitarbeiter um ihre Altersversorgung fürchteten.

Am 1. Juli soll die neue Zeit bei Siemens beginnen, dann tritt Peter Löscher am Wittelsbacher Platz an. Er ist ein Kandidat, den vorher nur wenige auf dem Radarschirm hatten. Aber der Mann, der seine ersten beruflichen Schritte bei der Unternehmensberatung Kienbaum machte, der dann zwölf Jahre bei der Hoechst AG oder deren Nachfolgefirmen war, dann bei der britischen Pharma-Gesellschaft Amersham, kurz bei General Electric tätig war, bevor er für ein gutes Jahr bei Merck im Vorstand saß - dieser Mann hat seit einigen Wochen ganz oben auf der Kandidatenliste gestanden, sagt jedenfalls Cromme.

Schon als um den 25. April herum klar war, dass der erst zwei Jahre amtierende Klaus Kleinfeld den Chefposten verlassen würde, sei Cromme auf Löscher aufmerksam geworden, heißt es in Aufsichtsratskreisen. Er habe den Kandidaten, der in Spanien, den USA, Großbritannien und Japan tätig war, selbst nicht gekannt. ,,Der Mann ist Cromme empfohlen worden'', heißt es im Aufsichtsrat.

Mit der Berufung Löschers konnte Cromme eine empfindliche Scharte auswetzen. Er selbst hatte sich für die Chefsuche unter Zeitdruck gesetzt, indem er daran mitwirkte, dass Kleinfeld entnervt das Feld räumte. Doch Cromme hatte nicht sofort Ersatz bei der Hand.

Er hatte Ende April bereits den Linde-Chef Wolfgang Reitzle für den Siemens-Posten gewinnen wollen. Doch durch eine Unachtsamkeit war die Sache vorzeitig an die Presse gelangt. Reitzle sagte ab, Cromme musste sich den Vorwurf gefallen lassen, den Neuanfang bei Siemens schlecht eingefädelt zu haben. Danach war der Mann vorsichtiger.

Ende einer Ära

Schon nach den ersten Kontakten mit Löscher stand sowohl für Cromme wie für Löscher schnell fest, dass man es miteinander versuchen wollte. Doch musste noch geklärt werden, wann Löscher aus seinem Vertrag bei Merck heraus käme, wann er in München anfangen könnte. Nichts durfte nach außen dringen.

Anfang vergangener Woche verschickte Cromme die Einladung zur Sondersitzung des Aufsichtsrates am Sonntag in München. Auf der Tagesordnung stand auch der heikle Punkt ,,Personalien''. Kurz darauf ließ Löscher wissen, er könne schon bald zu Siemens wechseln.

Cromme informierte seine Kollegen im Präsidium des Aufsichtsrates, den Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und Ralf Heckmann, den Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats. Am Freitag traf sich das Präsidium außerhalb von München. Die Herren waren sich rasch einig: Löscher sollte dem gesamten Aufsichtsrat vorgeschlagen werden.

Vor allem dem Arbeitnehmerlager bei Siemens war es nicht leicht gefallen, diesen Bruch mit der Tradition zu akzeptieren. Auch manchem im Management fällt es schwer hinzunehmen, dass in der 160-jährigen Geschichte von Siemens erstmals ein Mann von außen den Chefposten übernimmt. Bis 1956 stand mit Ernst von Siemens noch ein Mitglied der Gründerfamilie an der Spitze der früheren Siemens & Halske AG.

Bis 1981 führte ein von Siemens den Aufsichtsrat. Bis heute gilt Siemens vielen als ein von Ingenieuren geführtes typisch deutsches Unternehmen, das für Außenstehende einfach zu kompliziert sei. Doch mit der Korruption zog der Zweifel ein. Plötzlich konnte jeder im Konzern in die Affären verwickelt sein. Nicht einmal Mitglieder von Vorstand oder Aufsichtsrat waren noch sicher, ob sie nicht auch ins Fadenkreuz der Ermittler geraten würden.

Dennoch: Ein Mann von außen, den niemand kennt, weckt Sorgen. ,,Werden dann noch mehr Fabriken geschlossen, wird dann das Unternehmen zerschlagen?'' fragte schon der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Heckmann. Wir brauchen keinen schneidigen Kahlschläger.'' Der Gesamtbetriebsratschef sah aber ein, dass eine interne Lösung unmöglich war.

Jeden Siemensianer gründlich daraufhin zu durchleuchten, ob er in einen der Skandale verwickelt ist, hätte Wochen oder Monate dauern können. Cromme erwartet von dem neuen Vorstandschef, dass er zügig ans Werk geht und dem lange gelähmten Konzern wieder eine Strategie gibt. Der Neue soll auch das noch von Kleinfeld vorgelegte Kostensparprogramm ,,Fit for 2010'' fortsetzen.

So sollen die hohen Renditeziele erfüllt werden. Vor allem aber soll Löscher die Politik der Nulltoleranz gegenüber Korruption im gesamten Unternehmen durchsetzen. Das alles gleichzeitig zu schaffen wird nicht leicht. Immerhin hat sich Löscher schon bei Merck mit einer eindeutigen Haltung gegenüber Schmiergeld zu Wort gemeldet. Kaum hatte er vor einem Jahr dort angefangen, schickte er eine E-Mail durch den Konzern. Der Inhalt: Wer gegen die Regeln des Hauses oder das Gesetz verstoße, habe bei Merck keine Zukunft.

Die Börse freut sich

,,Das wird kein leichter Start'', glaubt trotzdem ein Mitglied des Aufsichtsrats. Löscher müsse gleich am Anfang zwei gewaltige Hürden überwinden: ,,Seinen geringen Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit und alte Seilschaften in der Zentrale.'' Ohne Hausmacht von Merck zu Siemens zu wechseln, sei riskant, heißt es aus dem Konzern. Löscher werde daher wohl versuchen, sich schnell ein eigenes internes Netzwerk aufzubauen - und möglicherweise Vertraute in den Siemens-Vorstand holen, sagte ein Aufsichtsrat am Montag.

,,Wer von außen kommt, läuft Gefahr, dass man ihn auflaufen lässt'', sagt ein Siemensianer. Wohl auch deshalb führte Löscher schon der erste Gang zu den Arbeitnehmervertretern des Konzerns ohne deren Wohlwollen er nicht agieren kann. Wegbegleiter gehen allerdings davon aus, dass Löscher seine anfängliche Zurückhaltung schon bald aufgeben. Denn bislang habe der in seiner Karriere vor allem für eins gestanden: für Veränderung. Die Börse begrüßte den Neuen am Montag erst einmal mit einem kleinen Freudensprung.

Einer ist allerdings wenig erfreut über den Weggang Löschers, der bei Merck ein Kandidat für den Chefposten war: Konzernchef Clark. In verschnupftem Unterton teilte Clark seinen Mitarbeitern am Sonntag per Mail dessen Ausscheiden mit. Er wünsche Löscher ,,alles Gute bei dem neuen Unterfangen''.

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