Wege aus der Schuldenkrise:Schluss mit den Horrorszenarien!

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"Europa am Abgrund", "eine deutsche Tragödie", "Desaster" - mit jedem Tag werden die Horrorszenarien für den Euro dramatischer. Doch so weit ist es noch lange nicht. Zwar gibt es keinen Anlass, die Probleme kleinzureden. Aber die Apokalyptiker gehören in die Schranken gewiesen. Denn wer von Alternativlosigkeit redet, gibt sich auf.

Marc Beise

Es reicht! Schluss mit diesen Horrorszenarien um den Euro, mit dem Gerede von einer angeblichen Alternativlosigkeit der Maßnahmen, mit dem Beschwören der Apokalypse. Viel zu lange hat auch der Schreiber dieser Zeilen selbst diese Position eingenommen, zwar mit schlechtem Gewissen. Hat sich zu einer Meinung gezwungen, die verbreitet war, deren letzte Stichhaltigkeit aber nicht überprüft werden konnte. Hat nach dem Lehman-Schock im September 2008 grimmig die Ansicht geteilt, dass man keine Banken pleitegehen lassen durfte. Grimmig deshalb, weil die Marktwirtschaft eigentlich bedingt, dass jeder für seine Fehler einzustehen hat.

Europas Schuldenkrise: Es doch um die Gefährdung des erreichten Wohlstandsniveaus, nicht um den Weltuntergang. (Foto: ag.dpa)

Wer sich verplant, verkalkuliert, verspekuliert, der ist am Ende womöglich pleite. Das gilt für Private, für Mittelständler, es sollte gelten auch für jeden Konzern und jede Bank und auch für Staaten. Tut es in der Praxis aber nicht, weil die Wissenden raunen: too big to fail, systemrelevant. Damit ist die Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt. Too big to fail, klar. Wer will schon die "Kernschmelze des Finanzsystems" erleben, den "Super-Gau" befördern?

Schon die Wortwahl ist verräterisch. Kernschmelze, das waren Tschernobyl und Fukushima. In Euro-Land geht es um die Gefährdung des erreichten Wohlstandsniveaus, was schlimm genug ist, aber kein Weltuntergang. Dies schon mal als erste Einordnung.

Dass ausgerechnet die Banker Panik schieben, hängt auch mit deren Selbstsicht zusammen. Lange waren die Fürsten des Geldes unangreifbar, die Welt lag ihnen zu Füßen. Sie kreierten Geld, garantierten Innovation und Wohlstand. Die Politik überbot sich mit Hilfestellung, Deregulierung der Finanzmärkte inklusive. Nun spüren die Masters of the Universe einen nie zuvor erlebten Kontrollverlust. Sie sind darauf nicht vorbereitet und können damit nicht umgehen, und diese Stimmung streuen sie im Land.

Also rüsten die Apokalyptiker im Vorfeld des großen EU-Gipfels noch einmal nach. "Es wird alles ganz schlimm", sagen US-Präsident Obama und sein Finanzminister Geithner gegenüber ihren deutschen Gesprächspartnern, weil sie von ihrer eigenen Super-Verschuldung ablenken wollen, und so steht es täglich in den angelsächsischen Medien. Übers Ziel hinaus schoss jetzt die Financial Times Deutschland. Sie stellte einen ganzen Teil der Zeitung unter den Titel "Europa am Abgrund", beschäftigte sich fast nur mit den Folgen eines Auseinanderbrechens der Euro-Zone und illustrierte das Ganze großflächig mit Szenen aus dem Triptychon "Das jüngste Gericht" des deutschen Malers Hans Memling aus dem 15. Jahrhundert. Wer noch nicht genug hatte, der bekam im Kommentarteil ein Stück unter der Überschrift "Merkel stalkt Europa ins Desaster. Eine deutsche Tragödie" nachgereicht.

Geht's vielleicht 'ne Nummer kleiner?

Dabei besteht kein Anlass, die Probleme geringzureden. Europa steckt in einer der größten Krisen seiner Geschichte. Die Verschuldungssituation einiger Staaten wie Griechenland und Portugal ist außer Kontrolle geraten, große Staaten wie Italien und womöglich Frankreich sind infiziert. Staatsanleihen sind zeitweise unverkäuflich, Investoren aus Übersee meiden Europa. Hiesige Banken bekamen vorübergehend praktisch keine Dollar mehr, ein Albtraum für die exportorientierte deutsche Industrie, die Geschäfte in Dollar abwickeln muss. Wenn Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft des Euro-Raums, an den Märkten überhaupt noch Geld zur Umwälzung ihrer 120-Prozent-Verschuldung erhalten will, muss es Zinsen akzeptieren, die nach dem Vorbild Griechenlands den Staatshaushalt sprengen können.

Alles sehr bedrohlich - aber heißt das wirklich auch, dass für politische Maßnahmen kein Raum mehr ist? Dass die Schulden sofort vergemeinschaftet werden müssen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) eine Wir-zahlen-alles-Garantie ausspricht? Die Apokalyptiker sagen und fordern genau dies. Sie legen keine Beweise vor, argumentieren aber ultimativ. Wer widerspricht, ist naiv, dumm, renitent.

Die Dummen sind immerhin klug genug zu erkennen, dass mit einer Sturz- Finanzierung keine Reparatur des Systems verbunden wäre, das doch erst in die Krise geführt hat. Diese Reparatur, heißt es gönnerhaft, kann ja später kommen - wenn die Krise vorbei ist. Dabei sagt alle Lebenserfahrung: Nach der Krise gehen Geldvermehrung und -entwertung garantiert fröhlich weiter, bis zur nächsten Krise. So kann das also nicht funktionieren.

Die Banken, die Staaten brauchen neues Geld, ja, aber nur um den Preis von Strukturveränderungen. Wer von Alternativlosigkeit redet, gibt sich auf. Mehr noch: Er verlagert die Probleme von heute auf morgen und potenziert sie. Dabei weisen gerade die Ereignisse der vergangenen Monate in die andere Richtung. Es stimmt ja nicht, dass in der Krise alles falsch lief. Drei Beispiele:

Erstens: Problematische Regierungen, die zunächst innenpolitisch unanfechtbar zu sein schienen, sind von der Krise hinweggefegt worden. In Griechenland war das ein System des Nepotismus bei beiden großen Parteien, in Italien der gemeingefährliche Impresario Berlusconi.

Zweitens: Politik bekommt ihre Würde zurück. Sie ist nicht mehr nur Selbstbedienung. Der Spanier Zapatero, der Grieche Papandreou regierten im Bewusstsein der kommenden Niederlage. Technokraten wie Papademos und Monti bekommen Mehrheiten im Parlament.

Drittens: Die Notwendigkeit einer Stabilitätskultur spricht sich in Europa herum. Das war bisher nicht der Fall. Den Stabilitätspakt stülpten die Deutschen den anderen über, er wurde dort nie wirklich akzeptiert. Jetzt wissen die Staaten aus eigener Anschauung um den Wert von Haushaltsdisziplin. Spanien hat sich eine Schuldenbremse in die Verfassung geschrieben. Die französische Regierung bequemt sich in Gestalt von Sarkozy zu Positionen, die früher undenkbar gewesen wären.

Es gab also zuletzt entgegen den Statements der Apokalyptiker Fenster für politische Gestaltung. Und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies für die nächsten Wochen nicht auch weiter gilt. Die Staats- und Regierungschefs haben es in der Hand, beim Gipfel nächste Woche und danach Zeichen zu setzen. Sie werden nicht in einer Abendsitzung die EU neu erfinden, aber sie können glaubhaft einen Prozess einleiten, der am Ende die Wirtschafts- und Währungsunion vollendet, die im politischen Kampf der neunziger Jahre zwischen François Mitterrand und Helmut Kohl auf der Strecke geblieben ist.

Erst und nur in diesem Zusammenhang wäre auch Raum für eine gemeinsame Fiskalpolitik, für Euro-Bonds, für eine noch aktivere Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB), vermutlich am Ende aus Gründen der Machtbalance ein Mix aus allem. Wer alles das jetzt vorschnell in Panik preisgibt, der versündigt sich an der Zukunft Europas.

© SZ vom 03.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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