Was macht eigentlich ... Tilo Franz?:"Die Leute wollen Glanz"

Lesezeit: 6 min

Tilo Franz ist Chef der Firma Menzerna Polishing Compounds. Das Unternehmen hat vor allem eine Passion: Es kümmert sich um den Glanz von Produkten.

Interview: Elisabeth Dostert

Glänzen soll am besten alles: Schmuck, Töpfe, Autos, Boote, Musikinstrumente und auch die Gehäuse von Smartphones. Doch wie funktioniert das?

SZ: Was machen Sie eigentlich, Herr Franz?

Tilo Franz: Wir entwickeln und produzieren Poliermittel für Industrie und Handwerk - Pasten, Emulsionen und Lackpolituren.

Was genau wird poliert?

Alles, was glänzen soll. Metalle, Schmuck, lackierte Hölzer für Möbel, Töpfe, Armaturen fürs Bad, Hüftgelenke, Uhrengehäuse, Zierteile für Autos, Musikinstrumente - wenn sie 60 000 Euro für einen Flügel ausgeben, muss der glänzen. Oder auch Unterhaltungselektronik. Smartphones werden heftig poliert.

Was genau wird an einem Smartphone poliert?

Das Gehäuse.

Dürfen Sie Namen nennen?

Nein, keinen Smartphone-Hersteller. Aber wir beliefern zum Beispiel WMF, Fissler, Grohe und Volkswagen.

Wie lange hält eine gute Politur?

Da muss man unterscheiden. Was normale Verbraucher unter Politur verstehen, ist ja gar keine. Wenn sie mit einer haushaltsüblichen Politur ihre Möbel bearbeiten, legt sich nur eine Ölschicht auf die Oberfläche. Das ist auch bei vielen Autopolituren so, das hält bis zur nächsten Fahrt durch die Waschanlage. Im industriellen Geschäft verändern wir die Oberfläche, wir planarisieren sie, wir ebnen Berge und Täler ein, allerdings in der Größe von Tausendstel Millimetern. Fast jede Oberfläche hat mikrofeine Unebenheiten. Dadurch wird weniger Licht reflektiert, die Oberfläche wirkt matter. Von einer glatten Fläche wird das Licht besser reflektiert, das Auge nimmt das als Hochglanz wahr.

Und welcher Bestandteil der Polituren schmirgelt die Unebenheiten weg?

Aluminiumoxide, die lassen sich sehr fein mahlen und sind sehr hart. Jede Rezeptur besteht aus einer Bindung - die kann fest bei Pasten oder flüssig bei Emulsionen sein - und einem Poliermineral.

Was ist noch drin in einer Politur?

Die Bindung aus Fetten, Wachsen, Wasser, Emulgatoren und Verdickern oder Verdünnern, um die Viskosität zu beeinflussen. Farbstoffe sind auch noch drin. Die Bindung kühlt auch das Werkstück, während es poliert wird, denn dabei entsteht sehr viel Wärme. Wir sind Zubereiter, wir erzeugen keine neuen Stoffe. Unser Know-how besteht darin, Materialien zu finden und sie in Rezepturen so einzubauen, dass sie bestimmte Eigenschaften erfüllen. Wir beraten Unternehmen auch auf der Suche nach neuen Rezepturen und der besten Anwendungstechnik.

Ein Beispiel, bitte!

In den USA und in Kürze auch in der EU müssen alle trinkwasserführenden Teile einer Armatur bleifrei sein. Das Messing, aus dem beispielsweise Wasserhähne gemacht werden, darf also kein Blei mehr enthalten. Das führt zu einer spröderen Oberfläche. Wir finden gerade für einen Armaturenhersteller heraus, wie sich die Wasserhähne künftig polieren lassen, die Rezeptur, aber auch welche Polierwerkzeuge, Schleifbänder oder Lappen verwendet werden müssen. Wie der ganze Prozess aussehen muss, um bei hoher Produktivität das beste Resultat zu erzielen. Wir haben dazu eine eigene Testanlage.

Wenn Sie in der Haushaltswarenabteilung vor den Töpfen stehen, sehen Sie mehr gut oder mehr schlechte polierte Ware?

Die Marken-Töpfe wie WMF oder Fissler sind in der Regel gut poliert, die billige Importware schlechter. Da sehe ich Polierstriche, manchmal auch leichte Schleier.

Wie viel Emulsion braucht es, um einen Topf zu polieren?

Zehn bis 20 Gramm.

Ein glänzender Topf kocht aber nicht besser und spült sich nicht leichter, oder?

Nein, aber die Leute wollen den Glanz. Sie wollen ja auch keine Pickel im Autolack.

Können Sie es ertragen, wenn Ihr Auto nicht glänzt?

Ja. Es gibt Leute, die sind fanatischer als ich. Aber ich freue mich an glänzenden Oberflächen. Es ist ja auch nachgewiesen, dass auf dem Gebrauchtwagenmarkt ein glänzender Lack bis zu 15 Prozent höhere Preise bringt bei gleicher technischer Qualität.

Wie viel Rezepturen haben Sie?

Etwa 300, alles eigene Entwicklungen. Wir sind keine Lohnhersteller, denen mal schnell eine Rezeptur rüberschiebt und dann machen wir schnell mal eine Haushaltpolitur für irgendeinen Discounter. Wir brauchen eine gewisse Wertschöpfungstiefe, um die Strukturen hier finanzieren und selbst forschen zu können. Wir bewegen uns in einer echten Nische. Wir sehen uns da als Weltmarktführer.

Mit 20 Millionen Euro Umsatz?

Das mag klein erscheinen. Aber wir können mit Leichtigkeit eine große Fertigung stillegen, da muss nur einmal die Viskosität nicht stimmen, dann geht nichts mehr. Oder die Korngröße passt nicht, schon gibt es Kratzer auf wertvollen Teilen. In manchen Segmenten haben wir einen Marktanteil von mehr als 60 Prozent, etwa in der Schmuckindustrie. Damit hat der Gründer Friedrich Menzer 1888 in Pforzheim angefangen. Im Industriegeschäft etwa, in der Auto- oder der Möbelindustrie dürfte der Anteil bei 20 bis 25 Prozent liegen. Das sind aber Schätzungen. Es gibt keine offiziellen Zahlen.

Wie viel kosten die Poliermittel?

Emulsionen für Haushaltswaren, Armaturen oder die Autoindustrie liefern wir in großen Gebinden, die werden dann über Schläuche mit den Dosieranlagen angeschlossen. Da kostet das Kilo 60, 65 Cents. Da macht es die Menge. In der Autozulieferindustrie, die gemessen am Volumen etwa die Hälfte unserer Produktion ausmacht, aber nur ein Fünftel der Erlöse, sind die Spannen gering. Die Autoindustrie ist sehr kostenbewusst. Pasten oder Lackpolituren kosten sechs, sieben Euro das Kilo.

Wer sind Ihre Konkurrenten?

Viele Firmen in unserer Größe. Bei Polituren für die Autoindustrie und das Kfz-Handwerk ist es 3M. Wir sind sehr spezialisiert. Unser Exportanteil liegt bei 70 Prozent, ein Fünftel des Geschäfts machen wir in China, überwiegend mit chinesischen Firmen - Autohersteller, Klavierbauer und Möbelfabrikanten. Das zeigt doch, dass es zwischen hier und China niemand gibt, der es kann.

Produzieren Sie auch in China?

Nein, da füllen wir nur ab. Wenn wir dort produzierten wollten, müssen wir die Rezepturen offen legen. Das ist uns zu riskant. Dann haben sie vier Wochen später in derselben Stadt vier Wettbewerber.

Seit wann führen Sie die Geschäfte?

Seit 1995. Mein Großvater Ludwig Burkhart hatte die Firma in den 20er Jahren vom Gründer Friedrich Menzer erworben. Meine Eltern und ich beschränkten uns sich auf den Beirat und überließen Angestellten das operative Geschäft. Die taten, was sie konnten, wir machten keine großen Sprünge. Die Firma hat es überlebt. Anfang/Mitte der 90er Jahre mussten wir dann eine Entscheidung fällen: verkaufen, schließen, weiter verkommen lassen oder selber machen. So kam ich zu Menzerna.

Haben Sie ernsthaft erwogen, die Firma aufzugeben?

Sehr ernsthaft. Wir produzierten damals noch in Karlsruhe, mitten in der Stadt, die Immobilie war ein Filetstück und die Firmenkasse war voll, weil wir ja Jahre kaum investiert hatten. Es gab ja auch nicht die extreme Bindung zur Firma. Ich habe mich dann doch für Menzerna entschieden.

Waren Sie denn der einzige Kandidat?

Ja. Unsere Familie ist nicht sonderlich groß. Ich habe noch eine Schwester, die wollte nicht. So kam ich von München nach Karlsruhe.

Was haben Sie aufgegeben?

Einen Job bei McKinsey.

Das wussten Sie ja, wie man eine Firma saniert!

Theoretisch war ich ganz gut ausgestattet. Aber der Job als Geschäftsführer war dann doch noch einmal etwas anderes. Da hatte ich keine Erfahrung. In den ersten Jahren habe ich jeden einzelnen Fehler selbst gemacht. Manchmal habe ich mir schon einen Senior gewünscht, der das Geschäft vorher selbst geführt hat und mir erklärt, wie es läuft.

Welche Fehler haben Sie gemacht?

Viele, kleine. Die Firma hat es überlebt.

Wie alt waren Sie damals?

Anfang 30.

Da kommt doch die Karriere bei McKinsey erst richtig in Schwung. Gab es Kollegen, die den Wechsel in den Mittelstand als Abstieg betrachtet haben?

Ich habe keinen nach seiner Meinung gefragt. McKinsey ist sehr unternehmerisch geprägt. Wenn einer sagt, ich mache jetzt mein eigenes Geschäft, finden die das gut. Ich möchte die Zeit bei McKinsey nicht missen, aber ich fand Menzerna und die Aussicht, selbst etwas gestalten zu können, verlockend. Sicher war auch ein Schuss Verbundenheit zur Familie dabei. Wenn wir als Kinder beim Großvater waren, war die Firma immer ein Thema. In den ersten sechs bis neun Monaten habe ich schon ab und an mit meiner Entscheidung gehadert. Was Sie heute hier sehen, hat wenig gemein mit dem, was ich damals in Karlsruhe vorfand.

Was denn?

Der Standort mitten in der Stadt war problematisch. Wir waren das hässliche Entlein neben Krankenhäusern und Museen. Es war düster und dreckig. Im Grunde genommen war es ein groß gewordener, rückständiger und verwahrloster Handwerksbetrieb. Meine Herausforderung bestand darin, daraus ein schlagkräftiges Industrieunternehmen zu machen. Das ist keine leichte Aufgabe. Ein Handwerker löst Probleme für den einzelnen Kunden, ein Industrieunternehmen denkt in Marktsegmenten und Prozessen. Unser Kundenstamm hat sich geändert. Früher waren das die Goldschmiede in Pforzheim, heute sind es Industrieunternehmen.

Ging das Hadern so weit, dass Sie erwogen haben aufzugeben und reuig zu McKinsey zurückzukehren?

Nein. Es gab nur den Vorwärtsgang. Wenn sie erfolgreich sind, wollen sie nicht zurück, und wenn sie nicht erfolgreich sind, können sie nicht zurück. Ich konnte nicht einfach weglaufen.

Warum?

Wir hatten die Immobilie in Karlsruhe verkauft, um 1997 in Ötigheim neu anzufangen. Alles was an Geld da war, wurde hier investiert. Das war eine schwierige Zeit. Nur weil sie einen Standort verlagern und ein Werk bauen, haben sie nicht automatisch Erfolg. Als ich kam, war der Umsatz Jahr für Jahr geschrumpft. Das stoppt man nicht über Nacht. Dass ich nicht willkommen bin, das kannte ich ja. Aber ich war Teamarbeit gewöhnt und hier fand ich eine halsstarrige Rentnerbande vor mit verquasten Ideen. Ich dachte, das soll der tolle deutsche Mittelstand sein? Wir brauchten neue Produkte und neue Leute. Wenn sie alles anders machen als der Wettbewerb, promovierte Chemiker einstellen, Maschinenbauingenieure und Prozesstechniker, müssen sie irgendwann Erfolge liefern.

Wann haben Sie denn endlich geliefert?

Anfang der 2000er Jahre. Der Umsatz stieg. Da trat dann auch eine gewisse Befriedigung ein.

Haben Sie eine Lehre aus den schwierigen Jahren gezogen?

Das lässt sich schwer in einen Satz fassen. Ich weiß, wenn man die Kraft und das Stehvermögen aufbringt, kann man es schaffen.

Ist die Befriedigung denn so groß, dass Sie Ihren Kindern auch die Nachfolge empfehlen würden?

Tilo Franz ist geschäftsführender Gesellschafter des Politurherstellers Menzerna. Er kennt sich aus mit Glanz. (Foto: oh)

Inzwischen schon. Seit Januar sind sie auch Gesellschafter. Zusammen gehören ihnen 30 Prozent des Unternehmens.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: