Wall Street:Absturz der Goldjungs

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Gehasst, geliebt, bewundert: Mit dem Kollaps der Wall Street stirbt der Mythos des erfolgsverwöhnten Investmentbankers.

Alexander Mühlauer

Es gab eine Zeit, da hatte die Welt der Nadelstreifenanzüge und der fest gebundenen Krawatten etwas Verführerisches; sie bot die reizvolle Aussicht auf Geld und Glamour. Nicht nur Geld wie Heu, sondern wie am Spieltisch, es kam nur darauf an, den Haufen noch größer zu machen. Wie es aussieht, ist dieser Haufen jetzt verzockt - die zu Herren des Universums Ernannten haben ihre Welt selbst entzaubert.

Händler in Chicago: Abschied von den goldenen Zeiten. (Foto: Foto: Reuters)

Vor allem die Investmentbanker an der New Yorker Wall Street und in der Londoner City waren jene "Masters of the Universe", wie sie Tom Wolfe in seinem Roman "Fegefeuer der Eitelkeiten" beschrieben hat. Sie hatten, was sie ersehnten: Luxus, Macht, Geld. Michael Douglas spielte 1988 in "Wall Street" so einen risikobereiten, eiskalten Glücksritter, den wenig sympathischen, aber ungeheuer erfolgreichen Spekulanten Gordon Gekko. Mit streng zurückgegelten Haaren, Hosenträgern zum Hemd samt weißem Kragen ist Gekko bis heute die Personifizierung der Gier an den Finanzmärkten.

Eben diese Gier hat nun zu einer Bilanz geführt, die so manchen die Legitimität unseres Wirtschaftssystems in Frage stellen lässt. Dabei wurde der angelsächsische Investmentbanker lange als Messias des globalen Finanzsystems gefeiert. Banker, überall auf der Welt, eiferten diesem Bild nach. Die Investmentbanker brachten das, was ihnen und ihrem Arbeitgeber wichtig war: Geld. Manchmal wurden sie gehasst, manchmal geliebt, aber immer bewundert. Sie jonglierten unvorstellbar viel Geld anderer Leute und vermehrten es. Sie finanzierten Firmenübernahmen, Konzernzerschlagungen und verdienten Milliarden. Sogar bei der Deutschen Bank wurden zeitweise drei Viertel des Profits mit Investmentbanking erwirtschaftet. Anshu Jain, der für dieses Geschäft zuständige indische Statthalter in London, verdiente mehr als Konzernchef Josef Ackermann in der Frankfurter Zentrale.

"Neue" Wertpapiere aus Baudarlehen

Der Absturz der Goldjungs in diesen Tagen folgt einem Boom, wie ihn die Welt des großen Geldes noch nie erlebt hatte. Allein in den Jahren 2002 bis 2006 verdreifachten die fünf großen Investmentbanken ihre Gewinne auf 30 Milliarden Dollar. Heute, zwei Jahre später, sagt der New Yorker Ökonom Nouriel Roubini: "Dies ist das Ende der Wall Street der unabhängigen Investmentbanken." Und Journalisten, die vor zwei Jahren noch von der "Geldmaschine Investmentbank" schwärmten, zitieren Warren Buffetts Satz von den "Massenvernichtungswaffen auf den Finanzmärkten". Alan Greenspan, ehemals das Orakel der US-Notenbank, meint schlicht, aber drastisch: "Eine Jahrhundertkatastrophe!"

Wie ist es passiert, dass die einst als Glücksbringer gefeierten Investmentbanker ihre eigene Welt zum Einsturz bringen? Am Anfang verdienten die Investmentbanken vor allem bei Börsengängen und bei Übernahme- und Verkaufsverhandlungen. Dann entdeckten sie ein altes Instrument der Finanzindustrie wieder: die Verbriefung. Die Banker kauften zum Beispiel Baudarlehen von regionalen Banken und machten daraus neue "Wert"-Papiere, die sie weiterverkauften. Das Risiko übernahmen dann Manager wie die der deutschen IKB. Die sagen heute, dass sie die Zusammensetzung solcher Papiere nicht verstehen und nie verstanden haben - aber sie haben sie eben dennoch gekauft.

Lesen Sie im zweiten Teil, was junge Investmentbanker machen müssen, um 100.000 Euro Jahresgage zu verdienen.

Als wäre es damit nicht genug, entdeckten die Investmentbanker eine Waffe der Geldwirtschaft, mit der sie sich am Ende selbst den Dolchstoß setzten: leverage, auf Deutsch: den Kredithebel. Bei ihren Spekulationen brachten die Banker zusätzlich zum Eigenkapital das Mehrfache des geliehenen Geldes ein. War anfangs ein Leverage-Verhältnis von 1 zu 30 üblich, waren es am Schluss gerne mal 1 zu 40. Das heißt: Für jeden eigenen Dollar liehen sich die professionellen Zocker 30 beziehungsweise 40 Dollar dazu. Das hat erst ihren Gewinn in unglaubliche Höhen gesteigert und sie dann tief stürzen lassen. Jetzt haben sie nichts mehr zu zocken. Die Gier war eben größer als die Vernunft.

Mit der Vernunft ist es bei Investmentbankern immer schon so eine Sache gewesen. Hochschulabsolventen konnten nach nur zwei Jahren im Job über 100.000 Euro pro Jahr verdienen. Dafür mussten sie ihre Freizeit, ihre Wochenenden und ihren Urlaub der Firma schenken. 100-Stunden-Wochen gehörten einfach dazu. Kritiker sprechen von einem menschenverachtenden System. Oft seien die Leute schon mit Anfang 40 ausgebrannt. Macht aber nichts; Mitleid ist fehl am Platz, weil viele dann bereits ausgesorgt haben.

Die Investmentbank Goldman Sachs zum Beispiel machte einst Schlagzeilen, als sie ihren Spitzenbankern eine branchenspezifische Art der Bescheidenheit verordnete: Selbst die größten "Regenmacher", so heißen Umsatzkönige intern, sollten nicht mehr als 35 Millionen Dollar Bonus im Jahr verdienen. Was den Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein aber nicht daran hinderte, ein Jahresgehalt von 53,4 Millionen Dollar einzustreichen.

Eitelkeit und Gier

Und jedes Jahr, pünktlich zur Bonus-Saison, meldete die New York Times, dass die Ferrari- und Aston-Martin-Händler an der Wall Street nicht mehr mit den Lieferungen nachkämen. Bei den Maklern von Luxusapartments gab es zwischen Dezember und März Urlaubssperre, denn dann gingen die richtig teuren Wohnungen mit Blick auf den Central Park reihenweise weg. Wie auch immer, ein paar handgenähte Schuhe, feine Anzüge samt Seidenkrawatten und teure Uhren gehörten zum Standard-Outfit des erfolgreichen Investmentbankers. Man wollte der Welt ja auch zeigen, dass man viel verdiente.

Es zählte aber nicht nur Äußeres. Im Inneren der Bankentürme arbeiteten kluge Köpfe, Nobelpreisträger gar. Wenn Goldman Sachs eine "Geldmaschine" war, wie das US-Magazin Fortune in einer Titelgeschichte vor vier Jahren feststellte, dann war es sicher auch eine Intelligenzmaschine - die aber wohl an der Gier und der Eitelkeit ihrer Protagonisten scheiterte. Dabei schrieb der britische Economist 2006: "Keine Firma redet mehr über ethische Prinzipien als Goldman." Aha. Und niemand habe ein besseres Wissen über die Kapitalströme dieser Welt als die Investmentbanken Merrill Lynch, Morgan Stanley, Lehman Brothers und Goldman Sachs. Aha.

Es ist wahrscheinlich die Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Hank Paulson als US-Finanzminister zusehen muss, wie seine ehemalige Welt zugrunde geht. Paulson war früher selbst ein "Master of the Universe", von 1999 bis 2006 war er Chef der Investmentbank Goldman Sachs, dieser Geldmaschine an der Wall Street, dem Herzen des Kapitalismus. Eben dieser Paulson sagte einmal: "Es ist hart, bei Goldman reinzukommen. Es ist verdammt hart, dort aufzusteigen. Und es ist noch härter, dort zu bleiben."Jetzt stehen die Banker und er, ach was, die Welt, vor einem großen Haufen: Diesmal ist es kein Haufen Geld, diesmal ist es ein Haufen Scherben.

© SZ vom 19.09.2008/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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