VW:"Wir brauchen keine Ja-Sager"

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Manager und Kontrolleure sitzen zusammen, um die Dieselaffäre aufzuarbeiten. Sie wollen nicht ruhen, bis alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden sind.

Von Thomas Fromm und Angelika Slavik, Wolfsburg

Es dauert eine ganze Weile, bis er auftaut. Ganze 30 Minuten. Er sitzt ganz links auf dem Podium, und die letzten Wochen haben ihre Spuren hinterlassen. Matthias Müller ist blasser und schmaler geworden seit diesem Sommer. Aber da war er ja noch nicht VW-Chef, sondern der Porsche-Boss. Das ist etwas anderes.

Es ist jetzt das erste Mal seit jenem 18. September, dem Tag eins der Dieselaffäre, dass sie alle hier zusammensitzen und über den Skandal und seine Aufarbeitung reden. Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch spricht von "beispiellosen Monaten" für den Konzern und verspricht, dass jetzt "alles auf den Tisch kommt", und Müllers Gesicht sagt: Was zum Teufel mache ich eigentlich hier? Der Mann, der im Zuge der Diesel-Affäre Ende September an die VW-Spitze gespült wurde, wäre vielleicht schon mal gerne irgendwann VW-Chef geworden. Aber in diesen Zeiten? Da kann man sich etwas Angenehmeres vorstellen, als hier und heute zu sitzen und das Unerklärliche zu erklären.

Pötsch referiert. Große, bekannte Namen nennt er keine. So weit ist man noch nicht mit der Aufklärung. "Wir halten es für wahrscheinlich, dass nur eine überschaubare Zahl an Mitarbeitern aktiv zu den Manipulationen beigetragen hat", sagt er. 450 Ermittler durchforsten in diesen Wochen den VW-Konzern. 87 Gespräche haben sie bis jetzt geführt, 1500 elektronische Datenträger von 380 Mitarbeitern gesichert. 2000 Mitarbeiter wurden von den Ermittlern angeschrieben und gebeten, nichts von ihren Computern zu löschen - alles kann zur Aufklärung beitragen.

Insgesamt werden 100 Terabyte Daten aus zehn Jahren nach verdächtigen Begriffen gescannt. Das entspreche etwa 50 Millionen Büchern, sagt VW. Die Scan-Aktion, das hört man schon seit Tagen in Wolfsburg, gefalle nicht allen: Mancher habe Sorge, dass dabei nicht nur Hinweise auf die Dieselaffäre entdeckt würden, sondern auch Konversationen mit der ein oder anderen außerehelichen Zerstreuung.

Pötsch sagt, VW werde nicht ruhen, bis die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden sind.

Müller hat sich für diese erste Zeit der Pressekonferenz wohl ein Fotogesicht überlegt. Es besteht aus einem angedeuteten Lächeln und sonst überhaupt nichts. Minutenlang feuern die Fotografen von allen Seiten, minutenlang regt sich in Müllers Gesicht: nichts.

Der Aufsichtsratschef spricht von einem "Höchstmaß an Transparenz", das man jetzt brauche. Der Vorstandschef übt sich derweil in einem Höchstmaß an Distanz. Er hat den Stuhl zurückgeschoben und lehnt sich lässig nach hinten.

Posieren nach der Pressekonferenz: VW-Chef Matthias Müller will offenere Diskussionen. (Foto: Carsten Koall/Getty Images)

Bodenständigkeit ist geboten. Unternehmenslenker Müller hat die schon verinnerlicht

Dann, nach einer halben Stunde, kommt sein Moment. Fotogesicht weg, gerade Haltung, jetzt geht der 62-Jährige in die Offensive. Vieles sei toll bei Volkswagen. "Gleichwohl haben sich bei uns Denkweisen eingebürgert, die ich ablehne." Was er will: offenere Diskussionen, Menschen sollen Fehler machen dürfen, "Wir brauchen keine Ja-Sager, sondern Manager und Techniker, die mit guten Argumenten für ihre Überzeugungen und ihre Projekte kämpfen - die unternehmerisch denken und agieren." Mehr Silicon Valley, weniger Wolfsburg. Das geht, es ist nicht zu überhören, gegen die alte VW-Welt. Wohl auch gegen diejenigen, die den Konzern jahrelang regierten. Männer wie den früheren Aufsichtsratschef und Konzernpatriarchen Ferdinand Piëch und den abgelösten langjährigen Vorstandschef Martin Winterkorn. Deswegen geht es hier auch gegen die alten Symbole: Der konzerneigene Airbus werde abgeschafft, sagt Müller. Zudem würden die Messeauftritte des Konzerns künftig deutlich "bescheidener" ausfallen. Also: Die Zeit der großen Partys ist jetzt vorbei; Bodenständigkeit die neue Prämisse. Müller, obwohl ehemaliger Porsche-Chef, wirkt nicht, als müsste er sich die erst aneignen. Über die Luxusmarke Bugatti sagt er, das Interesse an dem neuen Modell sei "für mich unverständlich" groß. Aber: "Warum sollen wir das Geschäft nicht mitnehmen?" Mehr Elektroautos soll es in den nächsten Jahren geben; eine neue Strategie will Müller Mitte nächsten Jahres verkünden. "Wir werden es nicht zulassen, dass uns diese Krise lähmt", sagt er. "Wir nutzen sie als Katalysator für den Wandel, den Volkswagen braucht."

Katalysator, Wandel - es sind Sätze, die man an solchen Tagen sagt. Was soll man auch sonst sagen? Der Konzern ist in der Krise, und jetzt muss er nach vorne schauen und nach hinten aufklären. Eine Frage, die er selber stellt und auch selber beantwortet, die diese: "Wie bringt man diesen neuen Geist in einen Konzern mit 600 000 Leuten? Just do it."

Mach es einfach! Müller sagt, die wichtigste Aufgabe von allen sei nun, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen. Deshalb wolle man alles daransetzen, die Konsequenzen für die Kunden so gering wie möglich zu halten. Für die betroffenen Motoren in Europa hat VW schon Lösungen vorgestellt, die Umbauten an den Autos sollen maximal eine Stunde dauern, je nach Modell. Im Januar werden die ersten Wagen in die Werkstätten gerufen. Die Fahrzeughalter müssen vorerst nichts tun, sie werden von VW einzeln angeschrieben. Ob das reicht? Müller sagt, man werde für jeden Markt "ein geeignetes Paket schnüren", um die Kunden für den ganzen Ärger zu entschädigen.

Nach zwei Stunden beendet der Pressesprecher die Fragerunde der Journalisten. Anschlusstermine. Müller lacht und sagt: "Schade." Ja, schade.

© SZ vom 11.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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