VW:"Größe ist kein Selbstzweck"

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Matthias Müller präsentiert seine Strategie: Er will den Konzern völlig neu erfinden. Mehr Elektroautos, neue Fahrdienste und eine modernere Kultur.

Von Claus Hulverscheidt und Angelika Slavik, Wolfsburg/New York

Matthias Müller ist auf die Sekunde pünktlich zur Pressekonferenz an diesem Donnerstag in Wolfsburg. Kein Wunder: Seit Müller das Amt des Vorstandsvorsitzenden bei Volkswagen übernommen hat, hatte er nahezu ausschließlich unangenehme Termine zu absolvieren: Demut demonstrieren bei den Behörden, Rechtfertigungen vor der Presse, sogar beim US-Präsidenten sprach Müller vor, um sich für die Manipulationen beim Diesel zu entschuldigen. Spaßig ist das nicht. Diesmal aber hat er etwas zu verkünden, und es geht nicht um Rückrufaktionen und auch nicht um Strafzahlungen. Oder wenigstens: nicht vorrangig. Müller will berichten, was nun aus diesem Konzern werden soll. Als "Strategie 2025" sind Müllers Pläne betitelt. Das ist seine Vision von diesem Unternehmen, das Projekt, an dem er sich messen lassen will. Eine Art verspätete Regierungserklärung von einem Mann, der in den ersten Monaten seiner Amtszeit immer nur reagieren konnte, auf neue Krisen, neue Enthüllungen.

Müller hat sich nicht weniger vorgenommen, als Volkswagen neu zu erfinden. "Größe ist kein Selbstzweck", sagt er, und das ist ein Paradigmenwechsel in diesem Unternehmen, das einst um jeden Preis der größte Autohersteller der Welt werden wollte.

Müller zeichnet das Bild von einem durch und durch modernen Konzern. Volkswagen habe viele Stärken, aber "wir haben ohne Zweifel auch gravierende Schwächen", sagt Müller. Die Unternehmenskultur sei eine davon. Es habe "eine gewisse Selbstgerechtigkeit" gegeben, sagt Müller. Künftig wolle man offener miteinander umgehen und kundenorientierter denken. Vor allem aber soll Volkswagen eines werden: eine Hochburg des Elektro-antriebs. Ein Drittel aller neu verkauften Fahrzeuge im Jahr 2030 werde elektrisch betrieben werden, glaubt man bei VW - und davon sollen möglichst viele von den Wolfsburgern kommen. Bis 2025 will Müller deshalb mehr als 30 neue E-Autos auf den Markt bringen. Ob man dabei selbst auch gleich die Batterien produzieren werde, wolle man prüfen, sagt Müller.

Diese Fokussierung auf den E-Antrieb ist natürlich ein Risiko - was, wenn sich die Technologie bei den Kunden am Ende doch nicht durchsetzt? Müller sagt, weil die CO₂-Auflagen in den kommenden Jahren immer strenger würden, ginge man davon aus, dass die E-Antriebe Fortschritte machen und am Ende auch für die Kunden immer attraktiver werden würden. Er sagt aber auch, dass das ganze Strategiepapier "keineswegs unumstritten" gewesen sei in Wolfsburg. Es habe "heftige Diskussionen" gegeben, "ganz einfach, weil es sehr anspruchsvoll ist".

Anspruchsvoll, allerdings. Volkswagen im Jahr 2025, das ist in Müllers Vision aber nicht nur der führende Hersteller von Elektrofahrzeugen, sondern auch ein "Mobilitätsdienstleister". Zu diesem Zweck hat sich der Konzern bereits vor einigen Wochen an der Taxi-App Gett beteiligt. Ob Car-sharing oder autonom fahrende Taxis, Volkswagen will dabei sein, egal was kommt. Das werde "mehrere Milliarden Euro" kosten, sagt Müller. Viel präziser wird er nicht. Die genauen Maßnahmen und die konkreten Zahlen werde Volkswagen bis zum Jahresende liefern. An diesem Donnerstag geht es nur um die große Linie. Dennoch ist klar: Billig sind Müllers Pläne nicht. Deswegen wird an allen Ecken und Enden gespart werden müssen. Müller sagt es so: Er wolle "die Effizienz unserer Investitionsausgaben steigern". Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sollen sinken, am Ende soll aber mehr dabei herauskommen. Acht Milliarden sollen durch diese "Straffung der Abläufe" jährlich gespart werden. Das klingt, vorsichtig ausgedrückt, nach einer ziemlich optimistischen Planung.

Heftige Diskussionen: Seine Strategie sei intern nicht unumstritten, räumt VW-Chef Müller freimütig ein. (Foto: Julian Stratenschulte/AP)

In den USA verlängert der Richter die entscheidende Frist

Auch eine Veränderung im Markenportfolio von Volkswagen sei möglich, deutet Müller an, aber auch die Modellpalette stehe auf dem Prüfstand. Ob auch Jobs gefährdet sein könnten, ließ er offen. An der Börse zeigten sich die Anleger zunächst nicht begeistert von Müllers Plänen: Bis zum Nachmittag verloren die VW-Aktien fast drei Prozent. Ob die Anleger fürchten, die ambitionierten Pläne könnten von Strafen für die Diesel-Manipulationen, vor allem aus den USA, durchkreuzt werden?

Denn in Amerika geht das Zittern für Volkswagen weiter: Bundesrichter Charles Breyer gewährte VW einen letzten Aufschub, um sich mit den Behörden auf eine einvernehmliche Lösung zur Überwindung der Probleme zu verständigen. Breyer teilte in der Nacht zu Donnerstag mit, er habe die Frist, bis zu der ein Kompromissvorschlag auf dem Tisch liegen muss, um eine Woche bis zum 28. Juni verlängert. Er begründete seine Entscheidung mit der "technisch schwierigen Materie", die es zu bewältigen gelte. Das deutet darauf hin, dass sich VW und die US-Behörden zwar prinzipiell, aber noch nicht in allen Details einig sind, wie sich der Skandal aus der Welt schaffen lässt. Das Gericht verlangt von Volkswagen, die fraglichen knapp 500 000 Diesel-Pkw, deren Abgaswerte mit Hilfe einer Software manipuliert wurden, entweder zurückzukaufen oder zu reparieren. VW will die Zahl der Rückkäufe wegen der damit verbundenen Kosten so niedrig wie möglich halten. Zugleich ist eine Nachrüstung der Fahrzeuge jedoch erheblich aufwendiger als in Europa, weil die Abgasgrenzwerte für Dieselwagen in den USA sehr viel strenger sind. Offenbar sind die US-Behörden noch nicht bereit, die von VW geplanten technischen Lösungen in vollem Umfang zu akzeptieren.

Zumindest in den USA wird VW zudem deutlich mehr tun müssen, als die Autos einfach nur nachzurüsten oder zurückzukaufen. Richter Breyer verlangt von dem Konzern eine Entschädigung der Autobesitzer und die finanzielle Beteiligung an mehreren Umweltfonds.

© SZ vom 17.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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