VW-Dieselaffäre:"Warum zum Teufel rufen Sie mich an?"

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Die Geschichte ist Hollywood-reif: Zuerst verliert ein VW-Mitarbeiter in den USA seinen Job. Dann kommt die Frage auf: Wurden Beweise vernichtet?

Von Thomas Fromm und Klaus Ott, München

James M. (Name von der Redaktion geändert) war das, was man einen "herausragenden Angestellten" nannte. So ist es in der Klageschrift vermerkt, die vor einem Gericht im US-Bundesstaat Michigan gegen die "Volkswagen Group of America" eingereicht wurde.

James M. war einmal IT-Mitarbeiter bei VW, bis er Ende 2015 gefeuert wurde. Am 7. März dann klagte er gegen seinen früheren Arbeitgeber - und wenn es stimmt, was er behauptet, dann war dies alles andere als eine normale Kündigung. Es geht um die Frage, ob M. verhindern wollte, dass sein Arbeitgeber Beweismittel zur Diesel-Affäre vernichtet, nachdem die dortige Umweltbehörde am 18. September 2015 die Manipulationen bei Abgasmessungen enthüllt hatte. VW soll ihn angeblich rausgeschmissen haben, weil man glaubte, der Ex-Mitarbeiter habe die EPA, das Justizministerium, das FBI oder andere Behörden über die Löschungen informieren wollen.

Die Details der elfseitigen Klageschrift, die NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung vorliegt, lesen sich wie das Drehbuch zu einem Hollywood-Krimi - ein Thriller aus dem Inneren eines Konzerns, der laut Klageschrift offenbar versucht hat, Spuren zu verwischen und interne Kritiker mundtot zu machen.

Demnach sollen sich die Dinge wie folgt zugetragen haben: Es ist der 18. September, und James M. arbeitet im VW-Rechenzentrum in Michigan, als der Dieselskandal bei VW durch eine Veröffentlichung der US-Umweltbehörde EPA auffliegt. Schnell erfolgt eine Anweisung des US-Justizministeriums: Ab sofort sind alle routinemäßigen Datenlöschungen der ITler im Hause zu stoppen. Ein ganz normaler Vorgang: Die Behörden wollen auf diese Weise sichergehen, dass im Zuge solcher Lösch-Aktionen wichtiges Material verschwindet, das zur Aufklärung beitragen könnte.

Sogar Sicherheitskopien sollen gelöscht worden sein. Weil es "nicht genug Speicherplatz" gebe

Nun kommt der IT-Mitarbeiter James M. ins Spiel. Von seinen direkten Vorgesetzten, die gerade auf dem Weg nach Deutschland sind, erhält er den Auftrag, den zuständigen leitenden Angestellten über die Anweisungen der Behörden zu informieren. Laut Klageschrift kommt es zunächst zu folgendem Telefongespräch. James M. ruft an, gibt die Order durch, und erhält von dem leitenden Angestellten folgende Antwort, die im englischen Original der Schrift so festgehalten wird: "Why the f*** are you calling me?" Höflich übersetzt: Warum zum Teufel rufen Sie mich an? Dem Chef gefällt es offenbar nicht, dass der kleine Angestellte M. anruft und die Order durchgibt und niemand aus dem höheren Management. Antwort M.: "Warum zur Hölle spielt es eine Rolle, dass ich Sie anrufe - die Löschungen müssen aufhören."

Die Löschungen hörten angeblich aber nicht auf. Trotz der Direktive aus Washington liefen sie der Klage zufolge weiter bis zum 21. September. Und auch in den Wochen danach sollen immer wieder noch Daten gelöscht worden sein - "zufällig", wie ein Mitarbeiter der IT-Abteilung zitiert wird. Auch sogenannte "Back-up-Discs", also Sicherheitskopien der Daten, seien in dieser Zeit gelöscht worden. Begründung: Volkswagen habe "nicht genug Speicherplatz" für die vielen Daten gehabt.

In den USA begann die Dieselaffäre, von hier drohen auch die höchsten Strafen. Jetzt gibt es schon wieder neuen Ärger. (Foto: dpa)

Ende September dann soll James M. einen Vorgesetzten informiert haben: Er selbst glaube nicht, dass das IT-Personal "den Ernst der Vorgabe, das Löschen der Daten zu stoppen, voll verstanden" habe. Die IT-Abteilung der US-Tochter von VW habe darüber hinaus sogar verhindert, dass die vom Aufsichtsrat beauftragten internen Ermittler uneingeschränkten Zugang zu den Computersystemen bekommen hätten. So reifte in M. ein brisanter Verdacht, den er später auch in seiner Klageschrift niederlegte: Er habe, sagte er später, bei diversen internen Gesprächen Bedenken geäußert, dass die US-Tochter von Volkswagen durch ihren Umgang mit sensiblen Daten die Arbeit der Justiz behindern könne. Am 6. Dezember 2015 - M. war gerade dabei, eine Nachmittagskonferenz vorzubereiten - bekam er die entscheidende E-Mail, in der er über seine fristlose Kündigung informiert wurde.

In seiner Klage beschuldigt er Volkswagen nun auch, gegen das Gesetz des Staates Michigan zum Schutz von sogenannten Whistleblowern verstoßen zu haben. Whistleblower sind Personen, die mutmaßliche Vergehen in ihren Unternehmen oder Organisationen nicht verheimlichen oder gar vertuschen, sondern stattdessen Behörden oder Medien darüber informieren. Der Ex-Mitarbeiter fordert von VW nun Schadensersatz.

James M. könnte also weitaus mehr sein als die Personalie eines Mannes, der gegen seine fristlose Kündigung vorgeht. In dem Land, in dem die Dieselaffäre aufgedeckt wurde und aus dem die größten Milliardenklagen gegen VW drohen, ist ein solcher Rechtsstreit doppelt brisant. Behörden, die Regierung, Investoren, Kunden - sie alle fordern von VW viel Geld.

Bei Volkswagen heißt es auf Anfrage, dass man sich "zu arbeitsrechtlichen Differenzen grundsätzlich nicht äußern" könne. NDR, WDR und SZ haben VW unter anderem gefragt: "Hat die behauptete Löschung von Daten stattgefunden?" Keine Antwort.

© SZ vom 14.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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