Volkswagen:Volkswagen zittert vor San Francisco

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Angst vor San Francisco: Autos überqueren die Bay Bridge in Richtung der kalifornischen Metropole. (Foto: Justin Sullivan/AFP)
  • Hunderte in den USA eingereichten Klagen gegen den VW-Konzern sollen in einem einzigen Verfahren gebündelt und in San Francisco verhandelt werden.
  • Volkswagen hatte darauf gedrängt, dass die Klagen in der Autostadt Detroit verhandelt werden.

Analyse von Claus Hulverscheidt, New York

Der Beschluss des Ausschusses für distriktübergreifende Rechtsstreitigkeiten war noch gar nicht öffentlich bekannt, da begannen die ersten Betroffenen bereits damit, sich mit Unterwürfigkeit und Schmeichelei für den Prozess des Jahres in Stellung zu bringen. "Äußerst zufrieden" sei man mit der Anordnung, die fast 500 in den USA eingereichten Klagen gegen den VW-Konzern zu einem einzigen Verfahren zu bündeln und vor einem Gericht in San Francisco zu verhandeln, erklärte die Anwaltskanzlei Hagens Berman aus Seattle. Bundesrichter Charles Breyer, der den Zivilprozess leiten wird, sei "hochkompetent, erfahren und fair" und werde für ein "zügiges und ausgewogenes" Urteil im Diesel-Abgasskandal sorgen.

San Francisco also. Und Breyer. Das ist wahrlich nicht die Entscheidung, auf die man in Wolfsburg gehofft hatte. Kalifornische Richter gelten als vergleichsweise umwelt- und verbraucherfreundlich, weshalb Großkanzleien wie Hagens Berman für ein Verfahren im bevölkerungsreichsten US-Bundesstaat geworben hatten. VW hatte aus dem gleichen Grund für Detroit plädiert, jenen Ort, der als Autohauptstadt der Welt gilt und in dem die vermeintlich industriefreundlicheren Richter tätig sind.

Dass es nun San Francisco wird, ist für den Konzern im nicht enden wollenden Albtraum um gefälschte Diesel-Abgaswerte der nächste Schlag. Und doch: So sehr die Anwälte frohlocken mögen, so ungewiss bleibt auch nach dem Beschluss, ob sich ihre Hoffnung auf ein kundenfreundliches Urteil, auf Milliarden Dollar an Schadenersatz und Millionen an Gebühren erfüllen wird. Richter Breyer nämlich gilt in der Tat als ebenso unbestechlich wie unvoreingenommen. In früheren Wirtschaftsfällen schlug er sich mal auf die Seite der Industrie, mal auf die der Verbraucher. Und einen zwischen den Prozessparteien ausgehandelten Vergleich, bei dem er das Gefühl hatte, er diene vor allem der Maximierung von Anwaltshonoraren, ließ er platzen.

Von den fast 500 Klagen, die in den USA gegen VW eingegangen sind, entfallen 120 auf die Konzerntochter Audi, 22 auf den Sportwagenbauer Porsche und 19 auf den Zulieferer Bosch. Einige der Eingaben richten sich persönlich gegen Ex-Konzernboss Martin Winterkorn und den noch amtierenden USA-Chef Michael Horn. Kläger sind zumeist Privatpersonen und Firmen, aber auch Kommunen und Hochschulen. Sie werfen Volkswagen Betrug, Täuschung, Vertragsbruch, Wettbewerbsverstöße und Umweltverschmutzung vor.

Experten schätzen, dass am Ende eine Gesamtentschädigung von vielleicht zwei Milliarden Dollar stehen könnte, andernorts werden aber auch doppelt so hohe und viel geringere Summen genannt. Darüber hinaus muss VW mit einer staatlichen Geldbuße rechnen, die sich theoretisch auf bis zu 18 Milliarden Dollar belaufen könnte. Viele Anwaltskanzleien drängen die betroffenen 570 000 amerikanischen VW-Fahrer geradezu dazu, sich an Sammelklagen zu beteiligen. Auch ausländische Kunden, etwa aus Südkorea, werden gezielt aufgefordert, in den USA zu klagen. So soll die Vergleichs- oder Entschädigungssumme, an der sich später das Salär der Rechtsvertreter bemisst, in die Höhe getrieben werden.

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In der Anhörung des Justizausschusses am 3. Dezember waren 28 Distrikte als Gerichtsstandort vorgeschlagen worden. Seine jetzige Entscheidung für Kalifornien begründete das Gremium damit, dass dort fast ein Fünftel aller Klagen eingegangen sei. Zudem hob es die Rolle der kalifornischen Umweltbehörde Carb bei der Aufdeckung der manipulierten Abgastests hervor. Die Institution hatte die Affäre am 18. September gemeinsam mit dem US-Umweltamt EPA ins Rollen gebracht.

Für Richter Breyer spricht aus Sicht des Ausschusses seine Erfahrung mit komplexen und distriktübergreifenden Rechtskonflikten. Breyer ist 74 Jahre alt und seit 1997 Bundesrichter. Erst kürzlich wurde er von Präsident Barack Obama in eine Kommission berufen, die USA-weite Leitlinien für die gerichtliche Behandlung bestimmter Delikte festlegt und den Kongress in rechtspolitischen Fragen berät. Breyers Bruder Stephen ist Richter am Obersten Gerichtshof der USA, dem Supreme Court.

Bislang befindet sich das VW-Verfahren noch im sogenannten "vorprozessualen" Stadium. Das bedeutet: Es ist offen, wie viele Klagen letztlich zugelassen werden. Breyer muss zudem noch eine Reihe von Klägeranwälten bestimmen, die im Prozess Führungsrollen übernehmen.

Trotz der offenen Fragen herrscht bei Hagens Berman bereits gute Laune: "Unsere erste Klage, die zugleich die erste Klage in den Vereinigten Staaten war, wurde just bei diesem Gericht eingereicht", frohlockt die Kanzlei. "Hagens Berman hat vor diesem Gericht bereits viele erfolgreiche Prozesse bestritten, darunter auch solche, bei denen Richter Breyer den Vorsitz hatte."

© SZ vom 10.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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