Die Führungskräfte des geplagten VW-Konzerns sind in der Zwickmühle. Einerseits wollen sie mit Blick auf ihre Mitarbeiter, Aktionäre und Geschäftspartner den Eindruck erwecken, der Konzern stehe wieder gut da - Motivation ist alles, und es wirft ja auch gleich noch ein freundliches Licht auf die Krisenmanager selbst, die die Sache wieder in den Griff bekommen haben. Andererseits müssen sie ihren deutschen Kunden erklären, warum diese nicht so großzügig entschädigt werden wie die amerikanischen Kunden. Gute Zahlen sind da eher hinderlich.
Zwar verdient der Konzern mit den zwölf Marken weniger als noch vor zwei Jahren, bevor der Abgasbetrug öffentlich wurde, aber es läuft schon wieder ordentlich. Das heißt also: Der Konzern insgesamt bekommt die Kurve, Mitarbeiter und Eigentümer können aufatmen, amerikanische Kunden werden dank des knallharten amerikanischen Rechtssystems mit bis zu 10 000 Dollar pro Wagen entschädigt.
Dumm nur, wenn man VW-Kunde in Deutschland ist. Dann hat man Monate der Ungewissheit hinter sich und jetzt vielleicht eine nachjustierte Abgasanlage im Wagen. Aber Entschädigung für den Ärger, für das enttäuschte Vertrauen? Rückgabe des Autos, das unter falschen Vorzeichen erworben worden ist? Nichts davon.
Nach Abgas-Skandal:Sammelklagen in Deutschland wären ein Fehler
Dass amerikanische VW-Käufer nach dem Abgas-Skandal viel besser behandelt werden, ist ungerecht. Aber es gibt einen europäischen Weg - ohne die regelrechte Klageindustrie der USA zu übernehmen.
VW-Kunden verdienen eine Anerkennungssumme
In Wolfsburg ist ein System etabliert worden, das man die teuflische Kundenpyramide nennen könnte. Oben sind die wenigen amerikanischen VW-Fahrer mit dem Rundum-verwöhn-Paket. Unten die vielen Deutschen, die das Geschäft tragen und die dennoch weitgehend leer ausgehen. Gerecht ist das nicht.
Die Forderung liegt auf der Hand, und sie wird von Verbraucherschützern und Politikern bereits erhoben: Auch der deutsche Kunde soll entschädigt werden. Natürlich kommt jetzt der Ruf nach dem Gesetzgeber. Ob aber Deutschland mit dem Instrument der Sammelklage wirklich so gut fahren würde, ist zweifelhaft. An der amerikanischen Praxis kann man studieren, wie schnell dieses System eine regelrechte Klageindustrie nach sich zieht, deren Vertreter Fantasiesummen eintreiben wollen, den merkwürdigsten Vergleichen zustimmen und am Ende mehr verdienen als die Geschädigten selbst. Wohl aber kann und muss man über die Einführung von Musterklagen nachdenken: ein Verfahren, das dann Maßstäbe setzt für alle anderen gleichgearteten Verfahren.
Den VW-Fahrern von heute hilft das aber nicht. Ihnen kann nur VW helfen. Der Konzern sollte das dringend tun. Warum nicht jedem betroffenen Kunden wenigstens eine Anerkennungssumme von, sagen wir, 1000 Euro überweisen - verbunden mit der Zusage auf drei Jahre kostenfreien Werkstattbesuch? Es wäre ein Zeichen: Seht her, wir haben verstanden.
Volkswagen hat sich Trickser, Täuscher und Betrüger jahrelang herangezüchtet
Geht nicht, wird man bei VW sagen, das sehen die deutschen Gesetze nicht vor, und die Manager denken insgeheim: Was für ein Glück. So arbeiten sie eben bei VW: Man zahlt nicht, weil man nicht zahlen muss. Man informiert nur, wenn man informieren muss. Es wirkt hier die Arroganz des einst fast übermächtigen Autobauers nach, eine Arroganz übrigens, von der deutsche Mittelständler, die Zulieferer von VW sind, beredtes Zeugnis ablegen. VW gilt als ziemlich unsympathischer Konzern.
Nun kann man argumentieren, dass eine Aktiengesellschaft ihren Aktionären verpflichtet ist. Sie darf nicht einfach aus Goodwill Milliarden ausgeben, die ja dann den Wert des Unternehmens zumindest schmälern; in einem solchen Fall könnten Aktionäre den Vorstand verklagen. Mag sein - nur ist VW keine normale Aktiengesellschaft. Sie gehört wesentlich dem Land Niedersachsen, also dem Staat, und den beiden Milliardärsfamilien Porsche und Piëch. Namentlich das Oberhaupt der Piëch-Linie, Ferdinand, ist für das ganze Drama mittelbar verantwortlich: Er hat eine Unternehmenskultur nicht nur geduldet, sondern teilweise auch aktiv geschaffen, in der Trickser, Täuscher und Betrüger herangezüchtet wurden. In München bei BMW war das Schummelpotenzial der Abgas-Software aus dem Hause Bosch auch bekannt, wurde aber nicht aktiv genutzt - weil die Eigentümerfamilie Quandt das niemals geduldet hätte.
Deshalb wäre es nur billig, wenn die Eigentümer jetzt ein Zeichen setzen würden. Sie könnten das aus ihrer Dividende finanzieren, also ihrem Gewinn als Aktionäre, die sie für mehrere Jahre ausfallen lassen sollten. Das wäre ein Kundenbindungsprogramm vom Feinsten und ein Beitrag dazu, die Akzeptanz von Unternehmen in der Gesellschaft wieder zu erhöhen.