Versicherung:Betrüger werden kreativer

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Wer war's und wer zahlt's? Versicherungsbetrug kommt recht häufig vor, auch weil es als moralisch nicht besonders verwerflich gilt. (Foto: Alamy Stock Photos / Andrew Pate/mauritius images / Alamy Stock P)

Seit der Pandemie gibt es weniger gemeldete Versicherungsbetrüger. Vermutlich aber sind sie einfach geschickter geworden. Geholfen hat ihnen das Home-Office.

Von Felix Stippler, Köln

Ein Waldbrand breitet sich aus. Unweit davon geht auch ein Haus in Flammen auf. Der Eigentümer will den Schaden bei seinem Versicherer geltend machen. Aber der Mann ist nicht das Opfer der Naturkatastrophe, sondern wollte die Gelegenheit nutzen, um seinen Versicherer zu betrügen. Deshalb hat er sein Haus selbst angezündet. Der Versuch flog auf, weil eine Drohne den Mann dabei gefilmt hatte.

Andrew Enochs vom niederländischen Betrugserkennungsspezialisten Friss berichtet von dem Fall. Friss hat sich weltweit auf die Betrugserkennung im Dienst der Versicherer spezialisiert. Fälle wie der des Brandstifters kommen häufig vor. "Wir alle wissen, dass sich Betrugsfälle gerade angesichts von Katastrophen extrem häufen", sagt Enochs. Auch der Gesamtverband der deutschen Versicherer (GDV) warnte im August 2020: "Die deutschen Versicherer befürchten, dass die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu mehr Betrugsversuchen führen."

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Friss hat seine Daten der vergangenen zwei Jahre nun analysiert, um herauszufinden, wie sich die ungewisse Lage seit der Corona-Pandemie wirklich auf Versicherungsbetrugsversuche ausgewirkt hat: Entgegen der Erwartung ging der Anteil an Betrugsfällen während der Pandemie sogar zurück.

Als Regierungen weltweit die Maßnahmen lockerten, stieg die Zahl der gemeldeten Schadenfälle wieder. Die Zahl der Betrugsfälle und Verdachtsfälle sank aber weiter - sogar auf ein niedrigeres Niveau als vor der Pandemie. 2020 waren 18 Prozent der Schadenfälle betrugsverdächtig, 2022 nur noch 16 Prozent.

Im Home-Office ist die Überprüfung schwieriger

Dabei hat Friss eine sehr weite Definition des Begriffs Betrug. Wer nach einem Einbruch für gestohlene Gegenstände einen falschen Wert schätzt, vielleicht weil er die Zahl tatsächlich nicht mehr parat hatte, ist demnach bereits Versicherungsbetrüger. Der GDV geht für Deutschland seit Jahren von einem Betrugsanteil von zehn Prozent aus.

Friss sieht zwei mögliche Gründe für die Entwicklung hin zu weniger Betrugsfällen: Entweder gibt es seitdem weniger Täuschungen, oder die Betrüger arbeiten geschickter. Das Unternehmen tendiert zur zweiten Möglichkeit, dass Versicherer öfter auf Betrüger hereingefallen sind. Das dürfte damit zusammenhängen, dass die Gesellschaften ihre Arbeitsweise geändert haben. Die Ermittlungseinheiten wurden oft in ein virtuelles Umfeld verlegt, die Spezialisten arbeiteten von zu Hause aus.

Das Home-Office hilft bei den Ermittlungen gegen Betrug nicht, denn der enge persönliche Austausch der erfahrenen Experten ist bei vielen Unternehmen die erste Verteidigungslinie gegen Betrüger. Virtuell kann man Verdachtsfälle zwar schneller und billiger bearbeiten, aber die Teams können die Fälle weniger effektiv untersuchen, glauben die Fachleute bei Friss. Fest stehe immerhin, dass seit mehr als zwei Jahren die Zahl der aufgedeckten Täuschungen relativ niedrig ist. Der Schritt in die virtuelle Welt war eine der größten Veränderungen in der Betrugsbekämpfung in den vergangenen Jahren.

Gleichzeitig entwickeln auch Betrüger ihre Methoden weiter. So war es auch zu Beginn der Corona-Pandemie. Damals versuchte etwa ein Kunde, sich eine Auto-Innenreinigung beim Versicherer zu erschleichen. Der Grund: Das Auto sei vom Virus verseucht.

Friss zufolge führen drei Faktoren dazu, dass jemand zum Betrüger wird. Einer davon ist Gelegenheit. "Betrüger wählen immer den Weg, der die beste Gelegenheit und das geringste Risiko bietet", heißt es in der Untersuchung. Weitere Faktoren sind das Gefühl, im Recht zu sein, und der Druck, unter dem jemand steht. Versicherungsbetrug ist für viele nicht oder kaum moralisch verwerflich.

Die häufigsten Betrugsversuche beziehen sich auf Schäden an Handys, auf fingierte oder übertriebene Einbruchsschäden und auf die falsche Darstellung eines Sachverhaltes, der zum Schaden geführt hat. Manche Geschädigte heben auch gern die Werte der versicherten Gegenstände an und verschweigen Vorschäden.

Manchmal hilft beim Betrug auch der Versicherungsmitarbeiter

Es gibt auch ungewöhnliche Betrugsversuche. Ein Klassiker sind die vorgetäuschten Todesfälle, meistens bei Lebensversicherungen. Friss berichtet von einem makabren Stalking-Fall, bei dem ein Mann für seine Ex-Frau eine Bestattungsversicherung abgeschlossen hat. Und immer wieder dabei: Versicherungsvermittler betrügen selbst oder helfen Kunden bei der Täuschung, weil sie sich so bessere Verkaufschancen für weitere Verträge erhoffen.

Friss berichtet von mehreren Fällen, in denen sich Personen absichtlich selbst verletzten, "zum Beispiel durch das Abschneiden eines Fingers", um Ansprüche gegen Versicherer geltend zu machen.

Die kriminelle Energie ist enorm: Jüngst verurteilte ein US-Gericht einen 34-Jährigen wegen Identitätsdiebstahls und Versicherungsbetrugs zu fünf Jahren Haft. Der Mann hatte knapp eine halbe Million Dollar ergaunert, indem er in drei verschiedenen Bundesstaaten unter falschem Namen Geld aus der Arbeitslosenversicherung und zusätzliche Leistungen eines Covid-19-Hilfsprogrammes beantragt hatte. Das Geld ließ er auf Prepaid-Karten auszahlen und flog nach Kalifornien, um dort die Beute innerhalb von einer Woche als Bargeld abzuheben. Zwei Jahre lang ermittelten die Behörden, unter anderem der Secret Service, bis sie den Mann stellen konnten.

Betrüger hatten in der Pandemie die Chance, neue Strategien auf digitalen Kanälen auszuprobieren. Wissenschaftler der University of Portsmouth haben herausgefunden, dass im Zusammenhang mit Corona die Zahl der Cyberbetrügereien um 400 Prozent gestiegen ist. Das deutet darauf hin, dass Betrüger sich umorientiert haben könnten und geschickter bei ihrem Vorgehen geworden sind, lautet das Fazit der Friss-Analysten.

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