Russisches Gas:Und jetzt alle zusammen

Russisches Gas: Industrie und Privathaushalte sind jetzt gemeinsam gefordert, Energie zu sparen.

Industrie und Privathaushalte sind jetzt gemeinsam gefordert, Energie zu sparen.

(Foto: dpa)

Die Gesellschaft darf sich von Putin keine Angst mehr vor einer Energiekrise einjagen lassen. Dafür müssen die Deutschen allerdings sehr deutsche Eigenschaften ablegen.

Kommentar von Malte Conradi

Deutschland hat von Putin in den vergangenen Tagen eine kostbare Lektion erhalten. Der russische Kriegstreiber führte vor, was bis zum Frühjahr von ihm zu erwarten ist: Verunsicherung, Angstmacherei und Spaltungsversuche. Die Drohung mit dem Gas-Entzug ist Putins schärfste Waffe und er wird sie nicht freiwillig aus der Hand legen. Putin hat erreicht, dass Deutschland seit Tagen den Weg einer Gasturbine verfolgt, sich über Tempolimit und Atomkraftwerke streitet und darüber, ob Privathaushalte oder Industriebetriebe schützenswerter sind.

Solche Triumphe sollte Putin nicht feiern. Die Reaktion Deutschlands darf nicht in der Hoffnung bestehen, dass das Gas auch morgen noch fließt und die Menge übermorgen ein bisschen größer ist. Natürlich, dies ist eine tiefe Krise und nebenbei gesagt eine selbstverschuldete. Aber sie ist beherrschbar. In einer Kraftanstrengung von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik kann es gelingen, den Gasverbrauch so weit zu drosseln, dass Putins Spielchen das Land nicht mehr in Panik versetzen. Sie kann auch verhindern, dass es zum Schlimmsten kommt: dass im Winter Menschen in kalten Wohnungen frieren oder dass ein Stillstand in der Industrie die Volkswirtschaft ruiniert.

Etwa ein Viertel des deutschen Gasbedarfs stammt noch aus Russland. Dass sie diesen Anteil halbiert hat, ist ein Erfolg der Bundesregierung, der zu wenig gewürdigt wird. Die noch bestehende Lücke muss durch Einsparungen geschlossen werden und das wird nur gelingen, wenn alle mitmachen.

Beim Gas-Sparen muss es gerecht zugehen

Die Industrie muss ihre Anstrengungen steigern, Vorprodukte, deren Herstellung viel Gas erfordert, zu importieren. Firmen und Behörden verschaffen sich derzeit einen Überblick, wo Gas durch andere Brennstoffe ersetzt werden kann, welche Anlagen gar pausieren können. Wie viel Gas hier eingespart werden kann, darüber muss die Öffentlichkeit informiert werden. Denn nach der Industrie ist der größte Gasverbraucher der Privathaushalt. Wie viel in seinen Heizungen verfeuert wird, lässt sich von außen kaum regulieren. Die Menschen müssen freiwillig mitmachen beim großen Gas-Sparen, und das werden sie nur tun, wenn es dabei gerecht zugeht. Spott über Ideen wie den dicken Pullover ist fehl am Platz: Eine um zwei Grad gesenkte Raumtemperatur würde ihren Gasverbrauch um zwölf Prozent senken.

Aber die Deutschen werden im Winter nicht wegen Appellen Pullover überziehen, sondern nur aus einem Gefühl der gemeinsamen Verantwortung. Um das herzustellen, braucht es auch symbolische Maßnahmen, deren schlechter Ruf eine schwer verständliche deutsche Eigenart ist. Nein, es bringt nicht viel, die Beleuchtung am Brandenburger Tor auszuschalten. Aber es zeigt, dass es um eine gemeinsame Sache geht.

Kompromisse sind wichtig und besser als ihr Ruf

Ähnlich verschrien wie Symbolik ist der Kompromiss. Würden die Grünen einer Lebensverlängerung für die letzten Atomkraftwerke um wenige Monate zustimmen und die FDP im Gegenzug ihren Widerstand gegen ein Tempolimit aufgeben, wäre das eben kein "Kuhhandel" (FDP-Reflex) sondern ein Zeichen, dass in der Krise alle über ihren Schatten springen. Ja, wer mit 200 über die Autobahn rast, verbrennt kein Gas, aber erhöht durch den höheren Verbrauch die Energiekosten für alle. Und ja, Atomkraftwerke ersetzen keine Gasheizungen, aber wenn dank ihrer das Verfeuern von Gas zur Stromgewinnung schneller abnimmt, dann lohnt es sich.

Andere Ideen wurden noch gar nicht diskutiert, was den Vorteil hat, dass Bedenkenträger sie noch nicht für unmöglich erklären konnten: Warum kündigen Handelsketten nicht an, dass die Temperatur in ihren Läden im Winter ein paar Grad tiefer liegen wird oder dass sie die Öffnungszeiten in den kalten Abendstunden kürzen werden? Auch in Büros sollten die Temperaturen sinken und die gut eingeübte Home-Office-Kultur kann helfen, Energie zu sparen.

Zum Gerechtigkeitsempfinden gehört auch, dass die Wohlstandsverluste und hohen Kosten, welche die Energiekrise in jedem Fall bringen wird, abgefedert und verteilt werden. Es wäre ein guter Moment, die vielen Reichen und Wohlhabenden im Lande an den Gedanken der Solidarität zu erinnern.

Gelingt der gemeinsame Kraftakt, kann er Energien freisetzen für die eigentliche Aufgabe. Sie lautet, das Land schnell unabhängig von den Rohstofflieferungen eines einzelnen Staates zu machen.

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