Koalitionsstreit um EU-Grenzwerte:"Das Verbrenner-Verbot ist vom Tisch"

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Christian Lindner (FDP) eilt zu einer Bundespressekonferenz. (Foto: Thomas Koehler/photothek.net/imago/photothek)

Sollen 2035 auch keine E-Fuels-Neuwagen mehr verkauft werden dürfen? Die Bundesregierung einigt sich auf einen Kompromiss. Doch der Streit könnte weiter gehen.

Von Markus Balser, Henrike Roßbach und Mike Szymanski, Berlin

Als um halb zehn am Dienstagmorgen die Sitzung der EU-Umweltminister zum Verbrenner-Aus beginnt, ist das deutsche Chaos schon perfekt. Denn etwas mehr als zwei Stunden zuvor ist Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) im Frühstücksfernsehen des ZDF aufgetreten und hat dort mit Blick auf die Verhandlungen in Luxemburg gesagt: "Wenn das Paket beinhaltet, was wir wollen - keine Autos, die CO₂ ausstoßen nach 2035 - dann werden wir zustimmen."

Das Problem ist nur: "Keine Autos, die CO₂ ausstoßen nach 2035" ist zwar in der Tat, was Lemke und ihre Partei wollen. Ihr liberaler Koalitionspartner aber will genau das nicht. Nach dem Willen der FDP sollen nämlich Autos, die E-Fuels tanken, auch nach 2035 zugelassen werden. Und die stoßen sehr wohl CO₂ aus - allerdings nur so viel, wie bei der Produktion der Kraftstoffe vorher aus der Atmosphäre entnommen wurde. Die FDP rechnet deshalb vor, dass diese Technologie CO₂-neutral sei und deshalb nicht aussortiert werden dürfe.

Die Sitzung ist schon viele Stunden und Tagesordnungspunkte vorangeschritten, als am Abend aus Berlin endlich die erlösende Nachricht in Luxemburg ankommt. Es gibt eine Einigung. Die Ampel-Koalition habe sich doch noch auf das Aus für Verbrennungsmotoren in Europa geeinigt, heißt es am Rande des Ministertreffens. Die Bundesregierung unterstütze den sich nun abzeichnenden Vorschlag des Rates zu den Flottengrenzwerten als Beitrag auf dem Weg zur klimaneutralen Mobilität, sagte ein Regierungssprecher.

Bei der Einigung half ein Kniff. Die Kommission habe einen Vorschlag zugesagt, wie auch nach 2035 Fahrzeuge, die allein mit E-Fuels fahren können, außerhalb der Flottengrenzwerte zugelassen werden können. "Das bezieht sich nach dem gemeinsamen Verständnis der Bundesregierung auch auf Pkw und leichte Nutzfahrzeuge", sagte der Sprecher weiter.

Der Kniff half den verschiedenen Teilen der Regierung, an ihrer Sicht der Dinge festzuhalten. Und so befand Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) bei einem Auftritt am Abend: "Das Verbrenner-Verbot ist vom Tisch." Die Regierung wolle "Klimaneutralität technologieoffen erreichen und nicht zu einem frühen Zeitpunkt Technologien ausschließen, deren Bedeutung man in Zukunft heute noch nicht abschließend beurteilen kann." Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die nachweislich nur mit E-Fuels betrieben werden, seien ebenso klimaneutral wie andere Fahrzeuge.

Fachleute rätselten schon am Abend, wie es der EU gelingen soll, einen Teil der Fahrzeugflotten aus den strengen Vorgaben herauszulösen. Fraglich ist auch, ob es Mitte des nächsten Jahrzehnts genug E-Fuels gibt, um sie im Straßenverkehr zu verwenden. Lemke schwenkte offenbar dennoch schon während der Sitzung auf die FDP-Linie ein. Sie trug bei dem Treffen mit den EU-Amtskollegen einen Änderungswunsch für den Gesetzestext vor, der die deutsche Kompromisslinie abbildete. Demnach soll in den Erwägungsgründen, einer Art Vorwort für das eigentliche Gesetz, aufgenommen werden, dass die Kommission bitte einen Vorschlag machen soll, der erlauben würde, auch nach 2035 Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor zuzulassen, wenn diese ausschließlich mit CO₂-neutralen Kraftstoffen laufen - und außerhalb der existierenden Flottenregulierung.

Die Formulierung ist nah an der des Koalitionsvertrags der rot-grün-gelben Bundesregierung. Darin steht nämlich der Satz: "Außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte setzen wir uns dafür ein, dass nachweisbar nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden können." Damit aber hatte der Koalitionsvertrag in der Frage des Verbrenner-Ausstiegs Interpretationsspielräume gelassen. Grüne und FDP haben völlig unterschiedliche Vorstellungen davon, was mit dieser Passage gemeint ist.

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Nach Lesart des grünen Umweltministeriums gilt die Ausnahme nur für große Nutzfahrzeuge wie Feuerwehrautos, Bagger oder Schiffe - denn nur die lägen "außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte". Nach Lesart von FDP-Chef Christian Lindner dagegen müssen auch Pkw weiterhin mit Verbrenner unterwegs sein dürfen, wenn sie E-Fuels tanken. Schließlich steht im Koalitionsvertrag auch, dass "im Verkehrsbereich in Europa 2035 nur noch CO₂-neutrale Fahrzeuge zugelassen" werden sollten. Und CO₂-neutral, das werden sie nicht müde zu betonen in der FDP, seien die synthetischen Kraftstoffe nun mal.

Aus Regierungskreisen verlautete am Abend, der Kompromiss sei schwammig formuliert. Es drohe durchaus eine Fortsetzung des Streits. Vor allem dann, wenn die EU darüber entscheiden muss, welche und wie viele Autos nach 2035 konkret von den Flottengrenzwerten ausgenommen werden sollen.

Mit der Hintertür für den Verbrenner kommt die Regierung in jedem Fall Teilen der Autoindustrie entgegen. Das Aus für Verbrenner ist seit Jahren umstritten. Obwohl der Trend klar zum E-Auto geht, will sich die Branche zumindest teilweise die Option für den Einsatz von Verbrennern mit E-Fuels offen halten.

Der Koalitions-Streit hatte am Dienstag sogar den G7-Gipfel in Elmau erreicht. Dort bekam Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittag während der Pressekonferenz zum Gipfel-Abschluss die Frage gestellt, wie Deutschland denn nun abstimmen werde in Luxemburg in Sachen Verbrenner-Aus. "Maßstab für uns ist der Koalitionsvertrag", sagt er dann. Darin sei genau beschrieben, "was wir tun wollen". Und dann habe man ja auch "bei uns schon festgelegt, dass wir es möglich machen wollen, dass nach 2035 auch Pkw zugelassen werden können mit...", Scholz macht eine Pause, "...CO₂-neutralen Technologien, mit E-Fuels." Das habe die Regierung den EU-Institutionen immer so vorgetragen, und nun würden "viele, viele Vorschläge" weiterentwickelt. "Aber wir", schiebt der Kanzler vielsagend hinterher, "sind eigentlich einig, geschlossen zu handeln."

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