Wie passt das zusammen? Finanzminister Timothy Geithner warnt in drastischen Worten vor dem Staatsbankrott der Vereinigten Staaten - und niemanden scheint dies zu kümmern. Während die Zinsen griechischer, irischer und portugiesischer Staatsanleihen immer weiter steigen, ist die Rendite zehnjähriger US-Anleihen am Donnerstag sogar leicht von 3,50 auf 3,44 Prozent gesunken. Des Rätsels Lösung: Das Ganze ist absurdes Theater. Alle wissen das und erwarten, dass es gut ausgeht. Ob diese Erwartung allerdings stimmt, muss sich erst zeigen.
Es geht um die Obergrenze für die staatliche Gesamtverschuldung, die der Kongress nach US-Haushaltsrecht festsetzt. Derzeit liegt die tatsächliche Verschuldung bei 13,95 Billionen Dollar, die Obergrenze ("Debt Ceiling") bei 14,3 Billionen Dollar. Sie wird nach Aussage von Geithner spätestens am 16. Mai erreicht sein. Erhöht sie der Kongress bis dahin nicht, geht der Regierung das Geld aus - im wahrsten Sinne des Wortes. Sie kann weder Gehälter noch Zinsen zahlen. Und das ist definitionsgemäß ein Staatsbankrott. Genau damit aber droht die neue republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus. Ohne weitere Zugeständnisse von Präsident Barack Obama werde die Obergrenze nicht erhöht, sagte der neue Sprecher der Kammer, John Boehner.
Das Konzept der Schuldenobergrenze (nicht zu verwechseln mit dem Schuldendeckel nach dem deutschen Grundgesetz) ist ein Widerspruch in sich. Die Verschuldung eines Staats ergibt sich zwingend aus dessen Haushalt und lässt sich nicht getrennt von ihm steuern. Es wäre so, als würde der Bundestag einen Haushalt mit 24 Milliarden Euro Defizit beschließen und dem Finanzminister anschließend verbieten, sich das dafür nötige Geld zu besorgen. Das Konzept lässt sich nur begreifen vor dem Hintergrund des amerikanischen Verfassungsverständnisses mit seiner Betonung der Gewaltenteilung im Staat.
Faktisch ist die Obergrenze ein Instrument im Machtkampf. Die Republikaner wollen von Obama Zugeständnisse erreichen, zum Beispiel Abstriche bei seiner Gesundheitsreform und demonstrative Budgetkürzungen. Das Drehbuch für diesen Machtkampf liegt bereits vor und stammt aus dem Jahr 1995. Damals hatten die Republikaner unter dem Konservativen Newt Gingrich die Mehrheit im Kongress gewonnen und versucht, Präsident Bill Clinton vor sich herzutreiben. Gingrich verweigerte Clinton eine höhere Schuldengrenze, um von ihm ein Budget zu erzwingen, das Kürzungen von Sozialleistungen ebenso enthielt wie Steuersenkungen für Wohlhabende. Für den Präsidenten war das unannehmbar. Der Streit führte dazu, dass die Regierung im Winter 1995/96 für ein paar Wochen praktisch handlungsunfähig war. Letztlich ging der Streit gut aus. Clintons Finanzminister Robert Rubin umging den Kongress mit einem Trick: Er nahm Kredite von staatlichen Treuhandfonds auf. Die öffentliche Meinung wandte sich gegen den Kongress und Clinton sicherte sich eine zweite Amtszeit. Anschließend kooperierte der Präsident mit Gingrich so gut, dass die USA sogar Budgetüberschüsse erwirtschafteten.
Die Frage ist, ob es auch diesmal einen guten Ausweg geben wird. Die republikanische Mehrheit des Jahres 2011 ist noch wesentlich ideologischer als es die von 1995 war. Viele konservative Hitzköpfe im Repräsentantenhaus sind grundsätzlich gegen ein höheres Schuldenlimit, egal was dies für Konsequenzen hat. Niemand weiß, ob Sprecher Boehner sie für irgendeine Art von Kompromiss mit dem Weißen Haus gewinnen kann. Die von der rechten Tea Party gestützte Abgeordnete Michele Bachman aus Minnesota zum Beispiel erklärte, sie sei gegen eine Erhöhung der Grenze, weil dies nur dazu führen werde, dass das "unkontrollierte Geldausgeben" weitergehen würde.
Das ist Unfug. Das Defizit in diesem Jahr steigt vor allem wegen der Steuerausfälle - und wegen des Kompromisses, den Präsident Obama mit den Republikanern kurz vor Weihnachten geschlossen hat. Dieser hat massive Steuersenkungen zur Folge. Würden die Republikaner auch noch ihren Willen durchsetzen und Obamas Gesundheitsreform ganz oder teilweise revidieren, würde sich das Defizit weiter erhöhen - um 230 Milliarden Dollar, wie das überparteiliche Haushaltsbüro des Kongresses errechnete. Und selbst wenn der Finanzminister alle Ausgaben zusammenstriche, wenn die Reinigung öffentlicher Gebäude eingestellt würde und Obama kein Gehalt mehr bekäme, müsste die Schuldengrenze immer noch erhöht werden.
Wirtschaft erholt sich schneller als erwartet
Man weiß noch nicht, wie die neuen Leute im Kongress mit den harten Fakten umgehen. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass sie es billigend in Kauf nehmen, wenn Obama irgendwann im Frühjahr kein Geld mehr hat und die Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten getestet wird. Gerät die Lage dann außer Kontrolle, könnten die Folgen allerdings tatsächlich "katastrophal" sein, wie Finanzminister Geithner sagte. Es wäre eine völlig überflüssige Katastrophe, denn kurzfristig ist das Schuldenproblem Amerikas lösbar, wie die niedrigen Zinsen für US-Staatsanleihen zeigen. Die Wirtschaft erholt sich schneller als erwartet, und im Dezember sank auch die Arbeitslosigkeit spürbar.
Das eigentliche Problem ist langfristiger Natur. Von 2020 an gerät die Gesundheitskasse der Rentner ("Medicare") in Schwierigkeiten, zehn Jahre später die Rentenversicherung ("Social Security"). Was den Vereinigten Staaten blüht, wenn sie das Problem nicht in den Griff bekommen, machte US-Notenbankpräsident Ben Bernanke am Freitag deutlich: wesentlich höhere Zinsen für den Staat, ein Aufstand an den Finanzmärkten und höhere Auslandsschulden. Die Finanzprobleme, in die die USA dann rutschen, sind so gewaltig, dass sie nur mit kräftigen Ausgabenkürzungen und kräftigen Steuererhöhungen zu lösen sind.
Bisher ist die Bereitschaft zu beidem nicht zu erkennen. Und hier liegt die eigentliche Bedeutung des Streits um die Schuldengrenze: Er ist ein Test auf die Fähigkeit des politischen Systems in den USA, Ideologien zu überwinden und pragmatische Kompromisse zu finden.