USA: Hilfe für Computersüchtige:"Wir machen auf kalten Entzug"

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Zicklein statt Zocken: Für Jugendliche, die sich in der Cyberwelt verloren haben, gibt es nun das erste Therapiezentrum - ganz ohne Technologie.

Die Verlockung zur Flucht aus der Wirklichkeit ist groß. Computerspiele und die weite Welt des Internet öffnen Phantasiereiche, in die Jugendliche tief eintauchen können. Gefährlich wird es, wenn sie keinen Rückweg in die reale Welt mehr finden.

Kontrastprogramm zu den virtuellen Wunderwelten auf dem Bildschirm: Die Arbeit mit Tieren soll computersüchtigen Jugendlichen bei der Rückkehr in den realen Alltag helfen. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

In den USA hat vor kurzem das erste Therapiezentrum eröffnet, das sich ausschließlich um computersüchtige Jugendliche kümmert. "Bei uns gibt es keinerlei Technologie, wir machen auf kalten Entzug", sagt Psychotherapeutin Hilarie Cash. "Videospiele sind absolut verboten, denn für Süchtige sind sie eine Droge."

Gegenentwurf zu den flimmernden Wunderwelten

Auf seinem fünf Hektar großen Gelände in idyllischer Naturlage im US-Westküstenstaat Washington bietet das Therapiezentrum "reStart" in 45-tägigen Kursen einen Gegenentwurf zu den flimmernden Wunderwelten auf dem Bildschirm. Die Jugendlichen bauen hier Hühnerställe, sie unternehmen Abenteuerwanderungen in die Wildnis und füttern Ziegenbabys mit dem Fläschchen. "Die Idee dahinter ist, den Jugendlichen Orientierung in der wirklichen Welt zu geben", sagt Therapeutin Cash. "Wir helfen den Hirnen beim Entzug und schalten sie wieder auf normal."

Psychologen blicken mit wachsender Sorge auf den Schaden, den Computersucht bei der Entwicklung junger Menschen anrichten kann. Der Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein ist - in unterschiedlicher Intensität - für jeden Jugendlichen eine schwierige Zeit. Computerspiele locken mit einem problemfreien Pseudo-Dasein, spielende Teenager können sich in die Rolle von Superhelden flüchten und ihre Sorgen vergessen. Je tiefer sie eintauchen, desto beschwerlicher erscheint ihnen die Realität, in der sie ihren Platz als junge Erwachsene gegen Widerstände selbst bestimmen müssen.

Folgenschwere Defizite

"Der typische Videospiel-Süchtige ist jemand, der bei der Entwicklung seiner sozialen Kompetenzen weit zurückgefallen ist und unter einem Mangel an Selbstbewusstsein leidet", sagt Cash. "Solche Spiele ziehen die Teenager hinein, sie werden verletzlich, die Welt erscheint ihnen immer schmerzvoller oder furchterregender." Wenn es etwa um die erste Liebe geht, sind die Süchtigen gehemmt und hilflos. Sie wissen nicht, wie man ein Gespräch beginnt oder die Körpersprache von anderen deutet. Solche Defizite können sich bis ins Erwachsenendasein fortsetzen und schwer auf dem späteren Leben lasten.

Das reStart-Zentrum bietet für die betroffenen Jugendlichen eine Therapie, die den Entzug von Computermaus und Spielekonsole in zwölf Schritten vollziehen soll - ganz ähnlich also jenen Methoden, wie sie im Kampf gegen Alkohol und andere Drogen eingesetzt werden. Außerdem gibt es eine ambulante Sondertherapie für 18- bis 28-Jährige, die nach Internet-Pornografie süchtig sind. Bei dieser behandlungsbedürftigen Untergruppe handle es sich um Menschen, "die intensiv Pornografie konsumieren, selbst aber kaum Geschlechtsverkehr haben", heißt es bei reStart.

Billig ist die aufwändige Therapie nicht. Der 45-tägige stationäre Kurs, der seit Juli angeboten wird, kostet 14.500 Dollar (rund 10.000 Euro). Einen ersten Patienten gibt es bereits: ein 19-Jähriger, der seine Zeit praktisch nur noch vor dem Computer verbrachte. Inzwischen habe er seine Liebe zu Tieren entdeckt, er kümmert sich um einen Welpen, Ziegen und Hühner, berichtet Therapeutin Cash. "Seine soziale Kompetenz verbessert sich schnell: Inzwischen kann er sogar sehr erfolgreich mit jungen Frauen umgehen, denen er begegnet."

© afp/Glenn Chapman/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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