Dow Jones:Das Gute-Laune-Barometer schlägt aus

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Die Anleger an der Wall Street sind derzeit äußerst optimistisch, gerade stieg der Dow-Jones-Index erstmals über 30 000 Punkte. (Foto: Courtney Crow/AP)

Anleger feiern Donald Trumps baldigen Abschied aus dem Weißen Haus und die Nominierung Janet Yellens als Finanzministerin. Die Hoffnung auf noch höhere Kurse könnte sich dennoch als trügerisch erweisen.

Von Victor Gojdka und Claus Hulverscheidt, Frankfurt/Berlin

Donald Trumps Auftritt dauerte ganze 62 Sekunden - die allerdings hatten es in sich. Mit dem Erreichen der 30 000-Punkte-Marke, so der US-Präsident vor der versammelten Hauptstadtpresse, habe der Dow-Jones-Index der New Yorker Aktienbörse zum 48. Mal in seiner Amtszeit einen Rekord aufgestellt. Er gratuliere deshalb sowohl seiner Regierung wie auch dem amerikanischen Volk. Und weil sogar Trump selbst langsam die Superlative für seine vermeintlich fortwährenden Wundertaten ausgehen, bezeichnete er die Zahl 30 000 gar als "heilig".

Kaum ein US-Präsident hat den Lauf des wohl meistbeachteten Börsenbarometers der Welt jemals so sehr zu seinem persönlichen Erfolgsmesser stilisiert wie der noch amtierende. Und tatsächlich, Trump hatte Recht: Das Kursfeuerwerk am Dienstag hatte mit ihm zu tun - wenn auch auf andere Art, als er es bei seinem Kurzauftritt den Bürgern einzureden versuchte. Gefeiert nämlich wurde Trumps Entschluss, langsam, aber sicher den Weg frei zu machen für eine Übergabe der Amtsgeschäfte an den neu gewählten Präsidenten Joe Biden. Gefeiert wurde auch Bidens Entscheidung, die frühere Notenbankchefin Janet Yellen als neue Finanzministerin zu nominieren. Und gefeiert wurde schließlich die bevorstehende Zulassung der ersten Impfstoffe gegen das Coronavirus - einen Keim, dessen Gefährlichkeit Trump noch vor Monaten immer wieder geleugnet hatte.

Ein Impfstoff gegen Corona, dazu Yellen als Chefin des Schatzamts, das ist eine Kombination, die aus Börsianer-Sicht für eine rasche, nachhaltige Erholung der US-Wirtschaft spricht - und für weiter steigende Aktienkurse. "Ein faszinierendes Comeback der sehr kompetenten Fed-Chefin, die von Trump gefeuert wurde", sagte Neil Wilson vom Brokerhaus CMC Markets.

Janet Yellen setzt auf Niedrigzinsen und Kreditprogramme gegen die Folgen der Krise

Die künftige Ministerin, deren Berufung noch vom Senat bestätigt werden muss, hatte in den vergangenen Monaten wiederholt erklärt, dass Unternehmen und Verbraucher zur Überwindung der Corona-Krise weitere staatliche Milliardenhilfen benötigten und dass der Staat seine Maßnahmen zur Konjunkturbelebung nicht vorschnell zurückfahren dürfe. Tue er es doch, wie nach der Finanzkrise 2008/09 geschehen, müsse sich das Land auf einen allenfalls schleppenden, instabilen Wiederaufschwung einstellen. Yellen befürwortet außerdem die Strategie ihres Notenbank-Nachfolgers Jerome Powell, der angekündigt hat, die US- und damit auch die Weltwirtschaft auf Jahre hinaus mit Niedrigzinsen und Kreditprogrammen zu stützen.

Die Billionen-Hilfen der Notenbanken sind ein weiterer Grund dafür, dass der Dow Jones seine Verluste nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie längst wettgemacht hat und erneut auf Rekordkurs ist. Da Staatsanleihen kaum noch Rendite abwerfen und die Immobilienpreise vielerorts so hoch sind, dass sich vor allem junge Menschen ein Haus oder eine eigene Wohnung schlicht nicht mehr leisten können, bleibt den Anlegern kaum etwas anderes übrig, als ihr Geld in Aktien zu investieren.

Neben diesem "Verzweiflungsfaktor" gibt es jedoch auch eine Reihe harter Daten, die die Kurse stützen. So hat die Corona-Pandemie in vielen Ländern einen Digitalisierungsschub ausgelöst, wie es ihn so noch nie gegeben hat. Davon profitieren vor allem große Technologiekonzerne wie Apple, soziale Netzwerke wie Facebook und Online-Händler wie Amazon - und deren Aktien. Doch auch mit Corona-gebeutelten Wirtschaftszweigen wie der Reisebranche, dem Hotel- und Gaststättengewerbe und der Luftfahrtindustrie könnte es wieder aufwärts gehen, sollten sich die Hoffnungen auf gleich mehrere wirksame Impfstoffe als gerechtfertigt erweisen.

In den vergangenen zwei Wochen ist so viel Geld in Aktienfonds geflossen wie noch nie seit Beginn der Statistik

So oder so: Bei den Anlegern an der Wall Street ist die Stimmung derzeit so aufgeputscht, dass sämtliche Gute-Laune-Barometer deutlich ausschlagen. Der sogenannte "Angst-oder-Gier-Index" etwa steht derzeit bei einem Wert von 88 - das bedeutet: "extreme Gier". Auch der kombinierte Stimmungsindikator von US-Privatinvestoren und Fondsmanagern weist einen Grad an Optimismus auf, den es so seit 2017 nicht mehr gegeben hat. In den vergangenen zwei Wochen ist zudem so viel Geld in Aktienfonds geflossen wie noch nie, seit der Datendienst EPFR diese Statistik führt. Die US-Börsenbarometer dürften daher auf den besten November seit 1987 zusteuern - seit 33 Jahren also.

Allerdings wird in New York heiß diskutiert, wie viel Luft nach oben wohl noch ist am Aktienmarkt. Manche Strategen rechnen mit weiteren positiven Impfstoffnachrichten, die die Risikobereitschaft vieler Anleger noch erhöhen würde. Außerdem könnten Fondsmanager in den letzten Wochen des Jahres noch überschüssiges Geld an die Börse schieben, um ihre Performance aufzuhübschen. In vielen Jahren der über hundertjährigen Geschichte des Dow-Jones-Index erwies sich diese Form der Kosmetik im Advent als Kurstreiber.

Pessimisten wiederum halten die Kursjagd an den Börsen bereits jetzt für überzogen. "Die schlechte Nachricht ist, dass der Impfstoff erst in drei bis vier Monaten massenhaft verteilt werden kann", sagte der Börsenexperte Michael Wilson von der US-Bank Morgan Stanley. Die Märkte seien daher "reif für eine Korrektur".

Auch langfristig sind sich die Experten derzeit so uneins wie selten: Manche erwarten - wie schon ein Jahrhundert zuvor - goldene Zwanzigerjahre an der Börse, andere befürchten dagegen Pleitewellen und Aktienrenditen, die auf Jahre gedrückt bleiben könnten. So prognostizieren die Strategen der Fondsgesellschaft JP Morgan Asset Management, dass die Erträge des US-Aktienmarkts in der neuen Dekade auf gerade noch 4,1 Prozent pro Jahr sinken könnten. Das wäre auch für deutsche Anleger eine Hiobsbotschaft, weil viele globale Aktienfonds stark auf US-Titel setzen und viele Privatleute auch dem Weltindex MSCI World folgen, in dem US-Firmen zwei Dritteln des Gesamtwerts ausmachen.

Am Mittwoch startete der Dow Jones im Minus, lag aber nicht weit von dem Rekordhoch bei 30 046 Punkten entfernt, auf dem er am Vortag geschlossen hatte. Zumindest in finanzieller Hinsicht können sich die Amerikaner also auf ein schönes Erntedankfest an diesem Donnerstag freuen.

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