Ungarn braucht dringend Geld:Am Abgrund

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Ungarn steuert auf den Bankrott zu: Die Anleger geben dem Land nur noch zu enorm hohen Zinsen Kredit. Und die Europäische Union und den Internationalen Währungsfonds hat Budapest zuletzt derart brüskiert, dass es auch von dieser Seite derzeit keine Hilfen erwarten kann. Die Landeswährung Forint stürzt auf ein Rekordtief.

Cathrin Kahlweit

Der Streit zwischen der ungarischen Regierung, der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um das neue Notenbankgesetz spitzt sich zu. Brüssel und IWF wollen die im Dezember begonnenen Gespräche vorerst nicht wieder aufnehmen. Der Zwist geht auch um die grundsätzliche Einhaltung gemeinsamer europäischer Werte. In der EU denkt man sogar über Strafmaßnahmen gegen Budapest nach. Kein Wunder: Gut erzogene Menschen verschrecken ihre Geber nicht mit der Botschaft, eigentlich brauche man sie nicht und überhaupt seien die Regeln, welche die Gabe begleiteten, nicht akzeptabel.

Ratingagenturen bewerten ungarische Anleihen längst auf Ramschniveau - und auch die Währung kennt keinen Halt mehr. (Foto: dpa)

Notenbank entmachtet

Viktor Orban, Ungarns Premier, und seine mit Zwei-Drittel-Mehrheit regierende Fidesz-Partei sehen das offenbar anders. 2012 müssen mindestens 4,8 Milliarden von insgesamt 20 Milliarden Euro refinanziert werden, die das fast bankrotte Land 2008 von EU und IWF erhalten hatte. Doch die Regierung in Budapest provoziert IWF und EU so stark, dass nun in Brüssel und beim IWF die Gesprächsbereitschaft bei Null angekommen ist. Am Freitag, hieß es Mittwoch in Brüssel, werde die EU-Kommission entscheiden, ob sie wegen der Verletzung von EU-Standards Vertragsverletzungsmaßnahmen gegen das Land einleitet.

Der Grund: Kurz vor Jahresende hatte das ungarische Parlament mit nur vier Gegenstimmen (die linke Opposition war der Abstimmung ferngeblieben) ein Gesetz durchgewinkt, das die Notenbank entmachtet. Die Finanzaufsicht und die ungarische Zentralbank sollen zusammengelegt und der Notenbankrat soll ausgeweitet werden; die neuen Vertreter in dem Gremium werden vom Parlament und damit de fakto von der Regierungspartei gewählt. Damit ist nach Ansicht der EU-Kommission nicht nur die Unabhängigkeit der Nationalbank gefährdet, sondern auch das Statut der Europäischen Zentralbank EZB verletzt.

Zudem hatte die Regierung Orban zwar im November einräumen müssen, dass man - entgegen vollmundigen Ankündigungen - nun wohl doch frisches Geld vom IWF brauche, gleichzeitig aber mitgeteilt, man verbitte sich die Mitsprache ausländischer Geldgeber bei Entscheidungen über eine Stabilisierung der Währung und einer Beilegung der Finanzkrise. Erste, informelle Gespräche mit dem IWF waren daraufhin abgebrochen worden. Derzeit heißt es, ein Minister der Regierung Orban reise zwar am 11. Januar nach Washington, dort aber will man vorerst von weiteren Verhandlungen nichts wissen.

Extreme Reaktionen

In Ungarn hat das Vorgehen der Regierung extreme Reaktionen von Investoren hervorgerufen. Ohnehin ist, nach der Herabstufung ungarischer Staatsanleihen auf Schrottniveau, das Vertrauen der Anleger gleich null, erst kürzlich musste eine Emission dreijähriger Papiere abgesagt werden. Derzeit werden langfristige Staatsanleihen mit einem außerordentlich hohen Zins von mehr als zehn Prozent gehandelt. Gleichzeitig hält die Talfahrt des ungarischen Forint an. Die Währung fiel am Mittwoch auf einen historischen Tiefststand gegenüber dem Euro. Auf den Märkten waren in den Vormittagsstunden für einen Euro bis zu 319,81 Forint zu bezahlen.

Gleichzeitig sind zunehmend irritierende Verschwörungstheorien im Umlauf. So halten es Insider durchaus für möglich, dass das Notenbank-Gesetz der Regierung Orban einem sehr konkreten Ziel dienen soll: Diese wolle, so ist zu hören, gar keinen - mit ungeliebten, weil strengen Auflagen verknüpften - IWF-Kredit mehr haben, sondern plane, die Staatsschulden über den Zugriff auf die Devisenreserven der Nationalbank zu finanzieren. Ein Regierungssprecher hatte diese Spekulationen umgehend dementiert. Ebenso kursieren in Budapest Gerüchte, Orban steuere das Land zielgerichtet in die Staatsinsolvenz, um dann mit einer Notverordnung zu regieren und die parlamentarische Demokratie vollends außer Kraft zu setzen. Die linke und liberale Opposition jedenfalls, gebeutelt und marginalisiert, hält mittlerweile fast alles für möglich.

Unter dem Druck aus Brüssel und Washington und angesichts anhaltender Proteste im Inland hat ein Sprecher von Viktor Orban mittlerweile mitgeteilt, man sei zu weiteren Gesprächen mit der EU-Kommission über das neue Notenbankgesetz bereit. Regierungssprecher Péter Szijjártó erklärte am Dienstag, man habe zwar bereits eine Reihe von Anregungen aus Brüssel in den Gesetzestext eingearbeitet und diesen auch bereits nach Brüssel geschickt, sei aber offen für weitere Ideen. Ein Sprecher von EU-Kommissionspräsident Jose Barroso hatte allerdings, ebenfalls am Dienstag, bereits mitgeteilt, die schweren Bedenken der Kommission, was die Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank angehe, blieben bestehen. Ungarische Online-Wirtschaftsforen berichten, in Brüssel werde bereits darüber nachgedacht, wie im Fall der Fälle mit einem zahlungsunfähigen Ungarn umzugehen sein werde.

© SZ vom 05.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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