Umstrittenes Freihandelsabkommen:Rindfleisch ohne Grusel

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Immer wieder Proteste gegen das Handelsabkommen - wie hier in Düsseldorf (Foto: Martin Meissner/AP)

Der Widerstand gegen TTIP ist groß. Der frühere Weltbankchef Robert Zoellick schlägt ein paar Kompromisse vor, um das Abkommen zu retten.

Von Alexander Hagelüken, München

Robert Zoellick arbeitete schon für die US-Regierung, als Barack Obama noch zur High School ging. Zoellick war viele Jahre US-Handelsbeauftragter, er war Vize-Außenminister und zuletzt Präsident der Weltbank. Jetzt, mit fast 62, agiert der Amerikaner in keinem dieser Rund-um-die-Uhr-Jobs mehr, sondern als Chef der internationalen Beratergruppe von Goldman Sachs. "Ich war lange verantwortlich für 15 000 Menschen überall auf der Welt", sagt Zoellick über seine Zeit bei der Weltbank. "Jetzt bin ich nur noch für mich verantwortlich, das ist manchmal ganz angenehm."

Und trotzdem: Zoellick hat sich kaum zum Gespräch gesetzt, kaum am Kaffee genippt und die Kekse verschmäht, und er sagt: "Ich verbringe zu viel Zeit auf Reisen." Wenn er mal zu Hause sei, "freuen sich meine Frau, meine drei Katzen und zwei Vögel". Einer wie er scheint geistig immer im Dienst, ein Elder Statesman der globalen Politik. Vielleicht ist Zoellick daher geeignet, beim aktuell größten transatlantischen Streitfall zu helfen: dem geplanten transatlantischen Handelsabkommen TTIP, gegen das Hunderttausende Europäer protestieren. Schon verstecken sich nationale Regierungen hinter der EU-Kommission, statt öffentlich für den Vertrag zu kämpfen, der doch mehr Wohlstand für ihre Bürger bringen soll.

TTIP bis 2017 wäre ein Erfolg

Zoellick erklärt erst mal, dass es auch in den USA "einigen Widerstand" gegen das Abkommen gebe: "US-Gewerkschaften sehen Freihandel kritischer als ihre Kollegen in Deutschland, Großbritannien oder Australien." Besonders augenfällig sein Beispiel, wonach "Boeing 90 Prozent seiner Produkte ins Ausland verkauft, doch die Arbeiter trotzdem gegen Freihandel sind". Widerstand auf beiden Seiten des Ozeans, da hält er es für unrealistisch, wie die EU-Kommission einen Abschluss 2015 zu proklamieren: "Es wäre ein großer Erfolg, wenn TTIP noch in Obamas zweiter Amtszeit vereinbart würde" - also bis 2017.

Zoellick begründet das auch mit den Schwierigkeiten, gemeinsame Industriestandards zu schaffen, die den Firmen Kosten sparen. Mühsam hat er sich vor gut zehn Jahren mit dem damaligen EU-Kommissar Pascal Lamy daran versucht: "Behörden und Interessenvertreter versuchen eher, ihre alten Sitten zu schützen, als den Freihandel zu fördern." Deswegen fordert er die Wirtschaft auf, selber aktiv zu werden: "Es würde Schwung bringen, wenn die Konzerne auf beiden Seiten des Atlantiks Vorschläge für gemeinsame Standards machen."

Robert Zoellick (Foto: dpa)

Zoellick weiß natürlich, dass Europas Bürger ganz anderes bewegt: Etwa die Sorge, die Amerikaner könnten Genfood oder Hormonfleisch in europäische Läden drücken. Der Handelsmann räumt ein, wie wichtig für die USA Erfolge im Agrarbereich sind: "Es gibt eine starke Agrarlobby. Die Farmer fühlen sich als Verlierer früherer Handelsrunden." Zum Beispiel, weil die USA vor der Welthandelsorganisation den Streit ums Hormonfleisch gewonnen, die Europäer aber den Import trotzdem blockiert hätten. Zoellick schlägt einen Ausweg vor: Den US-Farmern höhere Exporte hormonfreien Rindfleischs zu erlauben, um sie zu bewegen, neue Produkte zu entwickeln, vor denen sich die Europäer nicht gruseln. So ist Zoellick: Immer auf der Suche nach einem Kompromiss, auch wenn er sich den Spott nicht verkneift, "in Amerika scheinen Europäer kein Problem zu haben, Hormonrindfleisch zu essen".

Die Europäer haben Angst vor Hormonfleisch. In den USA gibt es eine starke Agrarlobby

Einen Kompromiss schlägt er auch vor, um den erbitterten Streit um Investorenschutz zu entschärfen. Hier fürchten europäische Bürger eine Flut von Konzernklagen gegen Gesundheits- oder Umweltgesetze, wie sie Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg oder Philip Morris gegen Tabakwerbeverbote angestrengt haben. Die US-Regierung und die Brüsseler Kommission aber bestehen darauf. Auch deshalb, vermutet Zoellick, weil sie mit TTIP Standards für Abkommen mit anderen Ländern überall auf der Welt setzen wollen, auch mit Staaten, deren nationalen Gerichten der Westen misstraut.

Zoellick schweben zwei Auswege vor: Entweder die Investorenregeln präzisieren, um Missbrauch zu verhindern, der die Steuerzahler bei Konzernklagen vor umstrittenen Schiedsgerichten teuer kommen würde. Oder radikaler: "Man könnte das Abkommen auch ohne Investorenschutz abschließen." So hat er es als Handelsbeauftragter selbst vorgemacht: "Bei unserem Abkommen mit Australien ließen wir den Investorenschutz weg, weil man Gerichten in beiden Ländern trauen kann."

Natürlich trommelt Zoellick für das TTIP. Weil er ein überzeugter Freihändler ist. Weil er auf die Frage, ob die Welthandelsrunde Doha still sterben wird, skeptisch antwortet, es können vielleicht Stücke davon überleben. Und weil er das Nafta-Abkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko etwa damit verteidigt, Mexiko sei dadurch demokratischer geworden und habe seine Schulden reduziert. Er würde TTIP gleich um Mexiko und Kanada erweitern. Aber Zoellick sieht die Hürden für das ganze Projekt. Und vielleicht ist selbst er, der geistig immer im Dienst scheint, ganz froh, nicht mehr in vorderster Reihe solche Abkommen zu verhandeln.

© SZ vom 26.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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