Neustrukturierung:So will Kaeser Siemens umbauen

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Ist seit dem 1. August 2013 Vorstandsvorsitzender der Siemens AG: Joe Kaeser. (Foto: Bloomberg)

Der neue Siemens-Chef Joe Kaeser plant eine radikale Neustrukturierung des Konzerns. Das trifft vor allem den wichtigsten Bereich des Unternehmens: Das Geschäft mit der Energie. Eine Sparte soll zudem an die Börse gehen.

Von Caspar Busse, München, und Christoph Giesen, Berlin

Tief im Westen Berlins gibt es einen ganzen Stadtteil, der nach dem Unternehmen aus München benannt ist: die Siemensstadt. Vor gut hundert Jahren, als das Viertel gebaut wurde, war Siemens noch ein Berliner Unternehmen - und ein so erfolgreiches zudem, dass es gewaltig expandierte. Werke, Wohnungen, Schulen wurden hochgezogen.

Noch heute reihen sich in Siemensstadt die roten Industriebauten aneinander. Und noch immer hat Siemens hier seinen zweiten Firmensitz. Am Mittwochmorgen wird Vorstandschef Joe Kaeser, 56, hier die grundlegende Neuordnung des Konzerns verkünden - jener Mann also, der noch im Sommer vorigen Jahres versprochen hatte, er wolle Siemens, diesen gewaltigen Konzern, dessen Mitarbeiter in den vergangenen Jahren so viele Änderungen erlebt haben, erst mal "beruhigen".

Doch nun sorgt ausgerechnet Kaeser für Unruhe. Erst steigt er in das Gefecht um Alstom ein, nun baut er auch noch den Konzern kräftig um . Die Struktur, die sein Vorgänger Peter Löscher geschaffen hat - weg damit.

Seit der Ära Löscher ist Siemens in vier Sektoren aufgeteilt, jeder davon umsatzstark genug, um alleine im Dax notiert zu sein. Kaesers Vorgänger hatte plakativ wissen lassen, er wolle die "Lehmschicht" in dem Konzern beseitigen. Was zu einer Bündelung der Aktivitäten führen sollte, ist jedoch an vielen Stellen gescheitert: Parallele Strukturen sind entstanden - und mehr Bürokratie, nicht weniger. Es sind eigentlich vier Konzerne mit vier selbständigen Verwaltungen, die vor allem mit einem beschäftigt sind: mit sich selbst.

Die Hörgerätesparte soll an die Börse

Das will Kaeser nun ändern, und das dürfte nicht leicht werden. Denn die Beharrungskräfte sind groß. Viele werden an ihren Privilegien festhalten und nicht weichen wollen. Es geht um eine Menge Jobs, vor allem in der Verwaltung. Auch das ist ein Grund, warum die neue Struktur unter großer Geheimhaltung erarbeitet wurde. Sonst hätte die Gefahr bestanden, dass schon vorab das Konzept zerredet wird.

Von den vier Sektoren bleibt nur das Medizingeschäft erhalten, die drei anderen Sektoren werden künftig in neun Bereiche aufgehen. Für die Hörgeräte-Sparte soll zudem ein Börsengang vorbereitet werden. Kontrolliert werden die Geschäfte der neun Bereiche künftig direkt vom Vorstand. Den bisherigen Sektorenchefs unterstehen fortan also mehrere Bereiche. Ihre operative Verantwortung büßen die Vorstände, mit Ausnahme des Medizinchefs, damit ein.

Nicht mehr dabei sein wird mit sofortiger Wirkung Michael Süß, 50, der mächtige Vorstand trug bisher die Verantwortung für das wichtigste Geschäft, die Energie, die trotz aller Probleme im vergangenen Jahr zwei Milliarden Euro zum Gewinn besteuerte. Mit seinen Gasturbinen, Kraftwerken und Windanlagen erwirtschaftete der Sektor ein Drittel des gesamten Siemens-Umsatzes, zudem ist das Energiegeschäft just jene Sparte, die im Falle eines Einstiegs Teile von Alstom aufnehmen soll. Noch vor einer Woche begleitete Süß Kaeser bei dessen Visite beim französischen Präsidenten François Hollande. Gemeinsam warben sie im Élysée-Palast dafür, dass Siemens das Energiegeschäft von Alstom übernimmt.

Als Nachfolgerin für Süß steht ab August Lisa Davis bereit, sie ist beim Ölkonzern Shell für die Strategie zuständig und die Aufsichtsratschefin von Shell Deutschland. Davis soll künftig ihren Arbeitsplatz in den USA haben, und von dort aus die weltweiten Aktivitäten steuern. Die Personalie ist - ebenso wie die Verlagerung in Richtung USA - bemerkenswert. Denn offenkundig will Siemens damit auch seinem mächtigen Rivalen General Electric auf dessen Heimatmarkt das Geschäft streitig machen. Man kann die Berufung einer Amerikanerin ausgerechnet im Energiesektor durchaus als Kampfansage verstehen.

Andererseits hatte Kaeser erst vor eineinhalb Wochen in einem Brief an Alstom-Chef Patrick Kron angekündigt, dass Siemens im Falle eines Einstiegs bei dem französischen Konzern wichtige Führungsabteilungen der Energiesparte nach Frankreich verlagern werde. So versprach Kaeser, dass die Zentrale für Gas- und Nuklearenergie ihren Sitz in dem Nachbarland haben werde. Bisher wurde das gesamte Energiegeschäft von Erlangen aus gesteuert.

Dem geschassten Vorstand Süß wird vorgeworfen, sowohl den Energieboom in den USA verpasst zu haben als auch zu lange auf das konventionelle Energiegeschäft gesetzt zu haben - vor allem auf den Verkauf von großen Gasturbinen. Um die Schwäche zu kompensieren, verhandelte Siemens abseits des Kampfs um Alstom die Übernahme der Energiesparte von Rolls-Royce für umgerechnet 950 Millionen Euro. Die Briten stellen das her, was Siemens fehlt: kleine Gasturbinen, die als Notstromaggregate zum Einsatz kommen. Auf für Deutschland sind sie interessant, das sich anschickt die Energiewende zu meistern und überall im Land kleinere Kraftwerke braucht.

© SZ vom 07.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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