Geflüchtete:"Gelingende Integration ist unter solchen Rahmenbedingungen nicht möglich"

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Die Zahl der Menschen, die nach Deutschland fliehen, ist weiterhin hoch. (Foto: Adam Berry/Getty Images)

Viele Kommunen geraten bei der Versorgung von Geflüchteten an ihre Belastungsgrenze. Beim Thema Geld droht der nächste Streit. Helfen könnte eine Änderung des Grundgesetzes - doch die Hürden sind hoch.

Von Tim Frehler

Martin Horn war am Mittwochmorgen schon bei der Tafel. Dort hilft der Freiburger Oberbürgermeister einmal im Jahr bei der Arbeit mit. Gesprächsthema diesmal sei der Aufnahmestopp gewesen, den die Tafel in der Stadt habe verhängen müssen, sagt Horn. Auch wegen der vielen Geflüchteten aus der Ukraine. Etwa 2600 seien es in Freiburg. "Die Solidarität ist immer noch groß", sagt Horn. In der Schlange vor der Ausgabestelle sei es daher auch eher darum gegangen, wie man die Kapazitäten der Tafel ausbauen könnte.

Das Beispiel aus dem Südwesten zeigt die Herausforderung: Die Zahl der Menschen, die nach Deutschland fliehen, ist weiterhin hoch. Bund, Länder und Kommunen stellt das vor die Aufgabe, ihre Versorgung zu organisieren - und dabei den sozialen Frieden im Land nicht zu gefährden.

Denn die Hilferufe aus den Kommunen reißen nicht ab: Die Möglichkeiten in den "weitaus meisten Landkreisen" seien erschöpft, heißt es etwa in einem Positionspapier, das der Deutsche Landkreistag vergangene Woche verschickt hat. "Gelingende Integration ist unter solchen Rahmenbedingungen nicht möglich; sie findet vielerorts schlicht nicht mehr statt."

Die meisten Geflüchteten leben in Privatwohnungen

Ein Thema, das die Kommunen besonders bewegt, ist die Frage der Unterbringung: Zwar finden viele Geflüchtete aus der Ukraine weiterhin oft bei Verwandten oder Freunden ein Zuhause: So gaben in einer Studie, die im Februar 2023 veröffentlicht wurde, 74 Prozent von ihnen an, "privat" untergekommen zu sein. Auch in Freiburg lebe etwas mehr als die Hälfte der Ukrainerinnen und Ukrainer in Privatwohnraum, sagt Oberbürgermeister Horn.

Martin Horn, Oberbürgermeister von Freiburg. (Foto: Patrick Seeger/dpa)

Gleichzeitig haben aber bis Ende Juni dieses Jahres mehr als 150 000 Menschen in Deutschland einen Asylerstantrag gestellt. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zufolge sind das 77,5 Prozent mehr als im Vorjahr.

"Wir wollen ja nicht, dass die Leute am Ende in der Turnhalle wohnen", sagt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Die Kommunen bräuchten mehr Spielraum, um neue Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen. Eng damit verbunden ist das Thema Geld: Bund und Länder streiten schon seit geraumer Zeit darüber, wie die Ausgaben für Flüchtlinge nachhaltig finanziert werden können.

Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Die Bundesregierung argumentiert, weil ukrainische Flüchtlinge nicht unter das Asylgesetz fallen, sondern unter das Sozialgesetz, übernehme der Bund die Sozialleistungen für sie bereits nahezu vollständig. Fünf Milliarden seien dafür in diesem Jahr vorgesehen. Insgesamt gibt der Bund 2023 nach eigenen Angaben 15,6 Milliarden für die Flüchtlingsfinanzierung aus. Hinzu kommen jährlich weitere vier Milliarden Euro, mit denen sich der Bund an den Kosten für die Unterkünfte beteiligt. Beim Migrationsgipfel im Mai sagte der Bund den Ländern noch eine weitere Milliarde zu. "Mehr geht aber nicht", war das Signal aus Berlin. Im Gegensatz zu den Ländern seien die Kassen des Bundes leer.

Die Kommunen wollen Planungssicherheit

Kommunalpolitikern und ihren Interessensverbänden geht es jedoch nicht nur um höhere Beträge, die Bund und Länder ihnen zur Verfügung stellen sollen. Sondern vor allem um langfristige Planungssicherheit: "Wir hecheln von einer Ministerpräsidentenkonferenz zur anderen", sagt Gerd Landsberg.

Nach dem Gipfel im Mai signalisierte der Bund auch Bereitschaft, die Finanzhilfen dauerhaft umzubauen. Doch der Zeitplan sieht vor, dass das Thema erst zur nächsten Konferenz der Ministerpräsidenten mit der Bundesregierung im November auf die Tagesordnung kommt: "Viel zu spät", findet Landsberg: "Was wir dann kriegen, weiß ja bisher keiner."

Freiburgs Oberbürgermeister Horn sieht das ähnlich. Die Stadt baue gerade neue Flüchtlingsunterkünfte: "Das belastet uns kommunal richtig." Bund und Land müssten daher dauerhaft höhere Unterstützung zusichern, sagt Horn. Und er warnt: "Wenn bei kommunalen Ausgaben am Ende Flüchtlingsunterkünfte gegen Schulsanierungen ausgespielt werden, werden wir alle verlieren."

Gerd Landsberg hat daher einen Vorschlag: Er fordert, die Grundlagen der Flüchtlingsversorgung in Deutschland zu reformieren - und zwar mithilfe einer Grundgesetzänderung. Seiner Meinung nach soll das Thema in den Katalog der Gemeinschaftsaufgaben nach Artikel 91a Grundgesetz aufgenommen werden. Dann wären sowohl die Länder als auch der Bund zuständig - mit der Folge, dass sich beide auch zur Hälfte an den Kosten beteiligen müssten.

Bislang sind laut Verfassung die Bundesländer und die Kommunen als Teil der Landesverwaltung für Aufnahme, Versorgung und Betreuung Geflüchteter zuständig. Sie müssen das auch bezahlen. Darauf weisen Vertreter der Bundesregierung immer wieder hin. Die Länder hingegen argumentierten vor dem Gipfel im Mai damit, dass sich der Umfang der Aufgabe massiv vergrößert habe, mehr Mittel des Bundes also gerechtfertigt seien.

Derart Kompetenzstreitigkeiten könnte der Vorschlag von Gerd Landsberg in Zukunft mildern. Allerdings sind die Hürden dafür hoch: Das Grundgesetz kann nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag geändert werden und mit zwei Dritteln der Stimmen im Bundesrat.

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