Zulieferindustrie:Knorr-Bremse plant Milliardenübernahme

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Das Logo von Hella auf der Zentrale des Automobilzulieferers in Lippstadt. Der Konzern könnte bald von München aus gesteuert werden. (Foto: David Inderlied/picture alliance/dpa)

Der Münchner Konzern will beim Konkurrenten Hella einsteigen. Damit könnte der viertgrößte Autozulieferer in Deutschland entstehen.

Von Caspar Busse, Benedikt Müller-Arnold und Dieter Sürig

Es waren nur ein paar dürre Zeilen, die der Münchner Bremsenhersteller Knorr am Dienstagnachmittag veröffentlichte. Doch die hatten es in sich. Das Unternehmen habe "grundsätzliches Interesse", etwa 60 Prozent der Aktien des Autozulieferers Hella zu kaufen. Die Gespräche befänden sich zwar "in einem sehr frühen Stadium", noch sei nicht klar, ob es zu einer Transaktion komme. Die Nachricht machte dennoch Wirbel: Der Aktienkurs von Knorr-Bremse ging erst mal steil nach unten, um mehr als zwölf Prozent, der größte Rutsch seit dem Börsengang im Jahr 2018. Die Papiere von Hella wiederum gewannen mehr als neun Prozent. Manche gehen wohl davon aus, dass die Gespräche schon weiter gediehen sein könnten.

Es passiert ja auch nicht oft, dass ein M-Dax-Unternehmen Interesse an einem anderen zeigt. Sollten Knorr-Bremse und Hella ihre Kräfte bündeln, hätte das auch Auswirkungen auf die gesamte Zuliefererbranche in Deutschland. Denn Knorr-Bremse und Hella wären zusammen - am Umsatz gemessen - einer der größten Autozulieferer hierzulande, größer wären dann nur noch Bosch, Continental und ZF. Und es kämen zwei Unternehmen zusammen, deren Produktpaletten sich kaum überschneiden würden, die vielmehr gut zusammen passen könnten. Denn Knorr-Bremse, bisher vor allem auf Bremssysteme konzentriert, bekäme mit Hella vor allem das, was bisher fehlt, nämlich Elektronik-Kompetenz für die elektrische Zukunft. Der Münchner Konzern ist vorwiegend als Lieferant für Lkw- und Zug-Hersteller aktiv, während Hella vor allem Pkw ausrüstet. Knorr-Bremse hat fast 30 000 Beschäftigte, Hella etwa 36 000.

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Die Autozulieferbranche steht schon seit Längerem unter Druck, denn die Anforderungen ändern sich rapide. Die großen Autohersteller sind im Umbruch, sie stellen von Diesel- und Benzinfahrzeugen auf Elektroantriebe um und müssen gleichzeitig das autonome Fahren vorantreiben. Immer wieder gibt es deshalb Übernahme-Spekulationen.

Offen ist, wie das Milliardengeschäft finanziert werden könnte

Knorr-Bremse ist derzeit an der Börse etwa 16 Milliarden Euro wert, Hella 6,5 Milliarden Euro. Für 60 Prozent der Hella-Aktien, die derzeit noch in Besitz der einstigen Gründerfamilien Hueck und Röpke sind, die schon länger verkaufen wollen, müssten die Münchner also etwa vier Milliarden Euro bezahlen. Dazu käme möglicherweise eine Abfindung an die anderen Aktionäre. Der Vorstoß sei überraschend, sagte ein Händler: "Die Frage der Finanzierung steht ja noch im Raum." Um sich die insgesamt also deutlich mehr als sechs Milliarden Euro große Übernahme leisten zu können, bräuchte Knorr-Bremse wohl eine Kapitalerhöhung. Der Preis könnte auch noch steigen, denn die Münchner sind offenbar nicht der einzige Interessent: Die französischen Autozulieferer Plastic Omnium und Faurecia sowie Finanzinvestoren haben Finanzkreisen zufolge ebenfalls Gebote für Hella abgegeben. Der Prozess werde von der Investmentbank Rothschild gesteuert, so Reuters.

Knorr-Bremse ist seit Oktober 2018 an der Börse, die Familie Thiele hält 59 Prozent der Anteile, die nach dem Tod von Heinz Hermann Thiele im Februar dieses Jahres in eine Familienstiftung überführt wurden. Heinz Hermann Thiele hatte das Unternehmen 1985 übernommen, aus der Krise geholt und daraus einen weltweit agierenden Konzern mit gut sechs Milliarden Euro Jahresumsatz gemacht. Infolge der Pandemie war der operative Gewinn 2020 mit 1,1 Milliarden Euro etwa 17 Prozent niedriger als im Vorjahr ausgefallen. Das Eigenkapital beläuft sich auf knapp zwei Milliarden Euro.

Heinz Hermann Thiele hat den Fahrzeugzulieferer Knorr-Bremse zum Weltmarktführer gemacht, 2021 ist er mit 79 Jahren gestorben. (Foto: HRSchulz/imago images)

Hella traf die Pandemie härter: Millionenabschreibungen brachte dem Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr unter dem Strich einen Verlust ein. Gleichwohl steht Hella vergleichsweise gut da, was den Wandel der Autoindustrie betrifft. Die Geschichte der Firma begann schon 1908 mit einem ersten Beleuchtungssystem für das damals noch junge Automobil. Bis heute liefert Hella vor allem Licht- und Elektroniksysteme für das Außen- und Innenleben von Fahrzeugen, bis hin zu Sensoren oder Spannungswandlern. "Wir gehen davon aus, dass 2030 jedes zweite neu verkaufte Auto elektrifiziert sein wird", sagte Geschäftsführer Rolf Breidenbach zuletzt. Zulieferer würden so auch zunehmend zu Software-Entwicklern: "All das sind Entwicklungen, die für unser Geschäftsmodell sehr förderlich sind", sagte Breidenbach einmal. Ob das Auto nun mit Benzin oder Batterieantrieb fährt: Leuchten wird es immer brauchen.

Der frühere McKinsey-Berater hat Hella auf Effizienz getrimmt. Mehrmals hat das Unternehmen Stellen abgebaut, zuletzt in Regensburg oder auch am Stammsitz im westfälischen Lippstadt, wo Hella zu den größten Arbeitgebern zählt. In Präsentationen bevorzugt der Ingenieur das Wort "Schaubild" statt "Folie", seinen Finanzchef siezt er in der Öffentlichkeit - Details, die in der durchanglisierten Wirtschaftswelt eine gewisse Seltenheit erlangt haben. Seit dem Börsengang 2014 hat sich der Aktienkurs mehr als verdoppelt.

Knorr-Bremse arbeitet auch an einem Wandel: Der neue Vorstandschef Jan Mrosik, der zu Jahresbeginn von Siemens gekommen ist, will den Konzern digitalisieren. Interessant könnte für Knorr-Bremse das Geschäft von Hella mit Sensoren sein, die die Voraussetzung für autonomes Fahren sind. Knorr-Bremse bezieht diese Technologie derzeit von Continental. Knorr-Chef Mrosik hatte in den vergangenen Monaten öfters betont, dass Knorr-Bremse immer für Übernahmen offen sei, wenn es denn passe. Und bei Hella würde es ganz offensichtlich passen.

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