Türkei:Erdoğan löst Ausverkauf an der Börse aus

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Nach der Entlassung des Notenbank-Chefs verliert die Türkei bei den internationalen Investoren weiter an Vertrauen. Verlierer ist nicht nur die Währung des Landes - die Bevölkerung muss leiden.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Die Absetzung von Notenbankchef Naci Agbal durch Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat die Wirtschaft in der Türkei weiter in Bedrängnis gebracht. An der Börse in Istanbul kam es am Montag zu einem Ausverkauf. Der Aktienindex stand mit einem Minus von fast zehn Prozent vor seinem größten Tagesverlust seit knapp acht Jahren. Die türkische Lira verzeichnete den stärksten Kurssturz seit fast 20 Jahren. Der Wert von Dollar und Euro stieg im Vergleich zur Lira um jeweils knapp zehn Prozent, für einen Euro sind nun knapp 9,5 Lira zu bezahlen. Auch türkische Staatsanleihen wurden in großem Umfang verkauft. Erdoğan habe die ohnehin schon angeschlagene Glaubwürdigkeit der türkischen Notenbank weiter beschädigt, kritisierten Bankanalysten.

Der Staatspräsident hatte den Zentralbankchef nach nur wenigen Monaten im Amt entlassen - kurz nachdem die türkische Notenbank den Leitzins im Kampf gegen die hohe Inflation überraschend deutlich um 2,0 Prozentpunkte auf 19 Prozent angehoben hatte. Neuer Notenbankchef wird nun Sahap Kavcioglu, ein ehemaliger Abgeordneter der Regierungspartei AKP und Gefolgsmann des Präsidenten, der wie Erdoğan höhere Zinsen zur Bekämpfung der Inflation ablehnt. Erdoğan hat damit bereits zum dritten Mal seit Mitte 2019 einen Notenbankchef entlassen - mit fatalen Folgen. Durch den Lira-Absturz wird es für die Türkei jetzt noch teurer, Darlehen in fremden Währungen zurückzuzahlen. "Das in weiten Teilen auf Konsum, finanziert durch Kapitalimport, ausgelegte Wachstumsmodell funktioniert bereits seit 2014 nicht mehr", sagte Bayern-LB-Ökonom Manuel Schimm.

Erdoğan verliert an Rückhalt bei den Wählern

Erdoğan verliert inzwischen zunehmend an Rückhalt bei seiner Wählerschaft. Die Wirtschaft schwächelt, was durch die Corona-Seuche noch verschärft worden ist. Die Lira hat in den vergangenen fünf Jahren etwa 65 Prozent an Wert verloren. Hinzu kommt die rasant gestiegene Inflation - all dies lässt einen erneuten Wahlsieg Erdoğans bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023 eher unwahrscheinlich erscheinen.

Vor allem der Zusammenbruch des Tourismus hat das Land getroffen, die Reisewirtschaft steht für rund zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die für die Türkei enorm wichtige Gastronomie hat durch die Lockdowns am Wochenende oder die Teilsperrungen gelitten, die von den vielen Restaurants aus der Not heraus angebotenen Lieferdienste können die Verluste bei Weitem nicht ausgleichen, viele Restaurants oder Cafés müssen schließen.

Den Durchschnittsbürger trifft vor allem die Preissteigerung bei den Lebensmitteln hart, auch auf den beliebten Straßenmärkten steigen die Preise für Grundnahrungsmittel wie Zwiebeln, Kartoffeln und Tomaten. Immer häufiger sind auch türkische Frauen zu sehen, die in den Abfallkörben der Basare nach noch essbaren Lebensmitteln suchen. Früher taten dies vor allem die syrischen Flüchtlinge, von denen rund 3,6 Millionen im Land leben. Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit zwar derzeit bei 13,4 Prozent, die Wahrheit dürfte aber eher bei 30 Prozent zu finden sein. Immer mehr junge, vor allem auch gut ausgebildete Türken wollen das Land verlassen.

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