Der Schutz der Bevölkerung und Umwelt könnte den zentralamerikanischen Staat El Salvador viel Geld kosten. Weil das Land die Lizenz für eine Goldmine widerrufen hat, droht nun eine Strafe von mehr als 300 Millionen Dollar. Ihren Rückzieher begründet die Regierung damit, dass das Projekt das Trinkwasser für 60 Prozent der Bevölkerung gefährde. Der kanadisch-australische Rohstoffkonzern Pacific Rim hat dafür kein Verständnis und klagt. Aber nicht vor einem ordentlichen Gericht in El Salvador - sondern vor einem privaten Schiedsgericht in Washington. Grundlage dafür ist ein Freihandelsabkommen mit Investorenschutzregeln, kurz ISDS.
Solche Klauseln sind auch im europäisch-amerikanischen TTIP-Vertrag vorgesehen und provozieren weltweit Proteste. Der Unmut über den Fall Pacific Rim erreichte auch die Weltbank in Washington, wo das wichtigste Schiedsgericht, das International Centre for Settlement of Investment Disputes, seinen Sitz hat. Aktivisten überreichten im März 174 000 Unterschriften, mit denen das Gericht aufgefordert wird, das Verfahren gegen El Salvador einzustellen.
Kritiker privater Schiedsverfahren bemängeln unter anderem, dass die Sonderklagerechte für die Wirtschaft allein den Interessen großer Konzerne dienten. TTIP-Befürworter argumentieren hingegen, dass dieses Instrument der gesamten Wirtschaft nutze, also auch kleineren Firmen. Dafür steht auch der BDI ein, der Spitzenverband der deutschen Industrie. Doch stimmt das wirklich? Eine neue Studie aus Kanada macht zumindest deutlich, wer in der Vergangenheit profitiert hat: "Große internationale Konzerne sind klar die eigentlichen Gewinner", sagt Gus Van Harten, Autor der Studie und Professor an der Osgoode Hall Law School in Ontario, eine der ältesten Jura-Fakultäten in Kanada.
Kosten solcher Verfahren sehr hoch
64 Prozent aller bekannten Entschädigungszahlungen gingen demnach an Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als zehn Milliarden Dollar, 29 Prozent an kleinere Konzerne mit einem Umsatz zwischen einer und zehn Milliarden Dollar Umsatz. Während nur sieben Prozent der erstrittenen Mittel an Firmen flossen, die weniger als eine Milliarde Dollar Umsatz vorwiesen.
Dass mittelgroße und kleine Unternehmen die Schutzklauseln nutzen können, hält der Jurist für unrealistisch, allein weil die Kosten solcher Verfahren viel zu hoch sind. "ISDS-Verfahren sind so gestaltet, dass sie für kleinere Unternehmen nicht zugänglich sind", sagte Van Harten der Süddeutschen Zeitung. Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD, liegen die Rechtskosten eines Verfahrens im Schnitt bei mehr als acht Millionen Dollar, in Einzelfällen sogar deutlich im zweistelligen Millionenbereich. Die meisten Unternehmen, auch in Deutschland, werden sich das nicht leisten können. Das befürchtet auch der Bundesverband für mittelständische Wirtschaft, der TTIP grundsätzlich befürwortet, aber gegen Investorenschutzklauseln ist.
Die hohen Kosten für Anwälte und Schiedsrichter machen die Verfahren teuer, teurer als ein Verfahren vor einem ordentlichen Gericht. Der Stundensatz eines privaten Schiedsrichters liegt laut der lobbykritischen Organisation Corporate Europe (CEO) bei 3000 Dollar pro Tag, hochspezialisierte Anwaltskanzleien verlangen in der Regel bis zu 1000 Dollar je Stunde. Oft ziehen sich Verfahren über Jahre hin, das macht die Gesamtkosten unkalkulierbar. Die Kosten müssen sich die Kontrahenten teilen, ganz egal, wie es ausgeht.
Dass die Zahl der Verfahren in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist, ebenso wie die Streitwerte, ist auch für andere Experten nicht überraschend. "In den vergangenen Jahren ist eine Justizindustrie entstanden, die den Investitionsschutz taktisch bis an die Grenzen der rechtlichen Grundlagen ausreizt", kritisiert Professor Peter-Tobias Stoll von der Georg-August-Universität Göttingen. Mit Erfolg: Firmen setzten bisher in mehr als drei Viertel aller bekannten Fälle ihre Interessen durch, entweder bekamen sie recht oder erzielten einen Vergleich. Die Steuerzahler der betroffenen Länder hatten dann das Nachsehen.
Schiedsgerichte gelten als intransparent, weil sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen. Die Richter sind Anwälte, die die Parteien auswählen. Sie unterliegen keiner öffentlichen Kontrolle. Van Harten hält die Konstruktion von ISDS-Verfahren für unfair, auch weil nur ausländische Investoren auf diesem Weg ihr Recht fordern können. Inländischen Firmen bleibt dieser Weg verschlossen. Bedenken hat der Jurist auch im Hinblick auf den Gestaltungsspielraum von Staaten etwa beim Umweltschutz, wie im Fall El Salvador. "Die Klauseln wirken wie eine durch die Öffentlichkeit gedeckte Versicherung gegen die Geschäftsrisiken, die von Demokratie und Politik ausgehen", sagt Van Harten.
Eine Strafe von mehr als 300 Millionen Dollar wäre für ein armes Land wie El Salvador eine schwere Last. Hart getroffen hat es bereits Ecuador, das die höchste je gezahlte Strafe leisten musste. Knapp 1,8 Milliarden Dollar gingen an den US-Ölkonzern Occidental Petroleum wegen der Kündigung von Förderverträgen. Für Deutschland könnte es noch schlimmer kommen, wenn der schwedische Energiekonzern Vattenfall in einem noch anhängigen Verfahren seine Forderung von 4,7 Milliarden Euro wegen des deutschen Atomausstiegs durchsetzen kann. Die deutsche Eon AG hat ebenfalls geklagt.
Die EU hat angekündigt, dass sie die Kritik an den Investorenklausen im Abkommen mit den USA teilweise berücksichtigen will. Diskutiert wird etwa über einen öffentlichen Schiedsgerichthof. Dass beide Verhandlungspartner ganz auf ISDS-Klausel in TTIP verzichten werden, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Van Harten hat dafür kein Verständnis: "ISDS-Regeln haben in Verträgen zwischen entwickelten Industrienationen nichts verloren." Das gelte auch für den bereits ausgehandelten Ceta-Vertrag zwischen der EU und Kanada.
Van Harten und sein Team haben für die Studie die weltweit bekannten ISDS-Verfahren bis zum Frühjahr 2014 analysiert. Die Autoren verweisen aber darauf, dass diese Zahlen nur ein unvollständiges Bild vermitteln: Viele Verfahren werden geheim gehalten, über ihren Ausgang ist nichts bekannt. Eine Veröffentlichungspflicht gibt es nicht.
Hinweis: In einer frühen Fassung des Artikels hieß es, ein Richter bekäme 3000 Dollar pro Stunde. Richtig sind 3000 Dollar pro Tag.