Tim Berners-Lee:Diese Regeln sollen das Netz retten

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Tim Berners-Lee hat vor 30 Jahren das Internet mit entwickelt, nun will er die Grundideen bewahren. (Foto: PHILIPPE DESMAZES/AFP)

Web-Erfinder Tim Berners-Lee stellt in Berlin einen Vertrag für ein freies Internet vor. Die Unterzeichner wollen regelmäßig prüfen, ob der Plan umgesetzt wird - doch es gibt einen Haken.

Von Simon hurtz, Berlin

Es ist eine Erfindung, die die Welt verändert hat - zum Guten wie zum Schlechten: Milliarden Menschen nutzen sie täglich. Sie trägt zur Aufklärung bei, wird aber auch von Diktatoren eingesetzt. Mit ihrer Hilfe verbreiten sich Propaganda und Falschnachrichten, die Zwietracht säen und Gesellschaften spalten. Die Rede ist vom Buchdruck.

Was für die Druckerpresse gilt, gilt genauso für das World Wide Web, zu dessen Entwicklung Tim Berners-Lee vor 30 Jahren maßgeblich beitrug. Doch im Gegensatz zum Buch muss das Netz oft als Sündenbock für fast alles herhalten, was gerade schiefläuft: Von Massenüberwachung über angebliche Massenverdummung bis US-Präsident Donald Trump gibt es kaum ein Ärgernis, das nicht mit dem Internet in Verbindung gebracht wird.

Berners-Lee hält diese Erklärung für zu kurz gedacht. "Wir dürfen die positiven Entwicklungen nicht vergessen, zu denen das Netz in den vergangenen Jahrzehnten beigetragen hat", sagt er. "Es hat wissenschaftlichen Fortschritt ermöglicht, Milliarden Menschen vernetzt und ihnen eine Stimme gegeben." Der Web-Erfinder leugnet aber nicht, dass seine Schöpfung große Gefahren birgt: "Wenn wir jetzt nicht handeln, dann droht das Potenzial ins Gegenteil umgeschlagen. Dann spaltet das Netz, anstatt Menschen zu verbinden, dann riskieren wir eine digitale Dystopie."

Um das zu verhindern, hat Berners-Lee mit NGOs, Aktivisten, Wissenschaftlern, Unternehmen, Regierungen und Bürgern im Laufe des vergangenen Jahres eine "Magna Charta für das Internet" entworfen, die er am Montag beim Internet Governance Forum in Berlin vorgestellt hat. Jeweils drei Regeln richten sich an Regierungen, Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger: Staaten sollen sicherstellen, dass alle Menschen Zugang zum Internet haben, Netzsperren verhindern und sich für Datenschutz und digitale Grundrechte einsetzen. Unternehmen werden verpflichtet, das Netz für alle Gruppen und Minderheiten zu öffnen, Menschenrechte zu respektieren und offene Technologien zu entwickeln, die Nutzer statt Profit in den Vordergrund stellen.

Nutzer wiederum sollen Inhalte erstellen und teilen, offene Netzwerke nutzen und Gemeinschaften bilden, die jeden willkommen heißen und den zivilen Diskurs stärken. "Die Herausforderungen sind so groß und komplex, dass wir es nur zusammen schaffen können", sagt Berners-Lee. "Wir müssen alles in Frage stellen und neu denken: Gesetze, Regulierung, Technologien und menschliches Verhalten."

Das klingt nach einem, vorsichtig ausgedrückt, ambitionierten Plan. Um sicherzustellen, dass der Vertrag mehr ist als eine leere Absichtserklärung, soll regelmäßig überprüft werden, ob sich die Unterzeichner an das halten, was sie versprochen haben. Dazu zählen mehr als 160 Organisationen, Unternehmen wie Google, Facebook und Microsoft sowie die Regierungen von Deutschland Frankreich und Ghana.

Einige dieser Konzerne stehen für den Überwachungskapitalismus, sammeln massenhaft Daten und schaffen es nicht, auf ihren Plattformen Falschinformationen einzudämmen. Erst vergangene Woche bezeichnete Amnesty International das Geschäftsmodell von Facebook und Google als "Gefahr für die Menschenrechte". Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll dazu führen, dass strafbare Inhalte schneller gelöscht werden, hat aber heftige Kritik von Bürgerrechtlern und Juristen ausgelöst und mehrere autoritäre Regime zu ähnlichen Gesetzen inspiriert, mit denen sie die Meinungsfreiheit einschränken.

"Vor 30 Jahren änderte sich in dieser Stadt die Geschichte", erinnerte Berners-Lee auf der Bühne in Berlin an den Mauerfall. "In 30 Jahren werden wir daran gemessen werden, was wir heute tun." Für einige der Unterzeichner bleibt noch einiges zu tun, wenn sie den Prinzipien des "Contract for the Web" gerecht werden wollen.

© SZ vom 26.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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