Stahlindustrie:Neuer Thyssenkrupp-Chef soll gehen

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Ex-Thyssenkrupp-Chef Guido Kerkhoff trieb das Carbon2Chem-Projekt voran. Treibhausgase, die etwa im Stahlwerk entstehen, sollen damit künftig in chemische Grundstoffe verwandelt werden. (Foto: Roland Weihrauch/dpa)
  • Der Personalausschuss von Thyssenkrupp hat dem Aufsichtsrat empfohlen, mit Guido Kerkhoff über die "Beendigung seines Vorstandsmandates" zu verhandeln, hieß es in einer Mitteilung des Unternehmens.
  • Kerkhoff ist erst seit vergangenen Sommer Vorstandsvoritzender des Stahlkonzerns.
  • Hintergrund des Führungswechsels ist offensichtlich ein Streit über die Zukunft der Aufzugssparte mit ihren etwa 53 000 Beschäftigten.

Von Benedikt Müller, Düsseldorf

Vor einem Monat gab sich Guido Kerkhoff noch amüsant-kämpferisch: "Mich totzuschreiben ist nicht besonders schwer", gestand der Thyssenkrupp-Chef in einem Spiegel-Interview, "das kann ich sogar selber." Seit acht Jahren arbeite "der Kerl" nun schon bei Thyssenkrupp und habe den Umschwung nicht geschafft, karikierte Kerkhoff sich selbst. Dabei versuche er in Wahrheit doch, Perspektiven für den kriselnden Traditionskonzern aufzuzeigen. "Und wenn man mich nicht mehr will, dann soll man mir das sagen."

Führende Aufsichtsräte nehmen diese Aufforderung nun ernster, als es Kerkhoff wohl wünschte; die entscheidende Mitteilung kam am Dienstag kurz vor 23 Uhr: Der Personalausschuss empfehle dem Aufsichtsrat, mit Guido Kerkhoff über die "Beendigung seines Vorstandsmandates" zu verhandeln, heißt es darin vage. Doch in Essen gehen sie fest davon aus, dass das Kontrollgremium dem folgen wird, und Kerkhoff schon bald seinen Schreibtisch an der Thyssenkrupp-Allee 1 räumen muss. Dabei war der 51-Jährige erst vergangenen Sommer an die Vorstandsspitze gerückt, ausgestattet mit einem Fünfjahresvertrag.

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Von Benedikt Müller, Düsseldorf

Hintergrund des Führungswechsels ist offensichtlich ein Streit über die Zukunft der Aufzugssparte mit ihren etwa 53 000 Beschäftigten: Thyssenkrupp baut und wartet weltweit Fahrstühle und Rolltreppen; es ist das mit Abstand stabilste und profitabelste Geschäft der Essener. Dennoch hat der Konzern im Mai angekündigt, dass er die Sparte teilweise an die Börse bringen wolle. Denn Thyssenkrupp braucht dringend Geld, nachdem sich der Konzern vor Jahren mit neuen Stahlwerken in Amerika verhoben hatte und seither Milliardenschulden auf ihm lasten; Ratingagenturen haben erst kürzlich die Kreditwürdigkeit herabgestuft.

Im August korrigierte der Konzern dann, dass er - als Alternative zu einem Börsengang - auch einen Verkauf der Sparte prüfe. Prompt meldete Kerkhoff ein "großes Interesse" von Finanzinvestoren und Konkurrenten. Der finnische Aufzugshersteller Kone warb sogar öffentlich für eine Fusion mit der Thyssenkrupp-Sparte. Schnell kursierten Schätzungen, wonach das Aufzugsgeschäft gut und gerne 15 Milliarden Euro wert sein könnte; Beteiligte diskutierten bereits, ob der Konzern seinen Aktionären dann eine Sonderdividende ausschütten könnte oder nicht.

Doch ist es ein offenes Geheimnis, dass Kerkhoff zumindest teilweise am Aufzugsgeschäft beteiligt bleiben wollte. Dann könnte die restliche Firma um Stahl, Autoteile und Anlagenbau noch ein wenig von dessen stabilen Gewinnen profitieren, so die Logik. Von einer "Philosophie-Frage" ist in Essen die Rede: Sollte der Konzern sein sprichwörtliches Tafelsilber besser auf einen Schlag verkaufen oder nicht? Im Grunde tobt der Richtungsstreit um Thyssenkrupp schon seit zwei Jahren: Mehrere Investoren kritisieren, dass der Traditionskonzern mit seinen vielen verschiedenen Sparten viel zu kompliziert aufgestellt sei. Der langjährige Vorstandschef Heinrich Hiesinger trat im vorigen Sommer entnervt ab, Finanzchef Kerkhoff rückte an die Spitze. Doch seither ging einiges schief bei Thyssenkrupp.

Kerkhoffs Nachfolgerin soll Martina Merz werden

Zunächst scheiterte der Plan, die krisenanfälligen Stahlwerke in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Konkurrenten Tata auszulagern, am Veto der EU-Wettbewerbskommission. Auch die zwischenzeitlich geplante Aufspaltung von Thyssenkrupp in zwei Unternehmen musste Kerkhoff wieder absagen, da sie zunächst Hunderte Millionen gekostet hätte. Mehrmals korrigierte der Vorstandschef die Gewinnprognose nach unten, da sich die Konjunktur eintrübte oder auch ein altes Kartellverfahren Gestalt annahm. In der Folge hat der Konzern an der Börse dermaßen jäh an Wert verloren, dass er seit dieser Woche nicht mehr im führenden Aktienindex Dax gelistet ist. Nun haben führende Aufsichtsräte offenbar das Vertrauen in Kerkhoff verloren.

Für den Übergang soll stattdessen Martina Merz an die Spitze rücken. Die 56-jährige Ingenieurin ist erst seit Februar Aufsichtsratschefin von Thyssenkrupp und entsendet sich jetzt praktisch selbst in den Vorstand - ein ungewöhnlicher und seltener Vorgang in der hiesigen Industrie. Allerdings will die frühere Bosch-Managerin und erfahrene Aufsichtsrätin "maximal zwölf Monate" lang Vorstandschefin bleiben und danach wieder in das Kontrollgremium wechseln, heißt es in der Mitteilung. In der Zwischenzeit soll Siegfried Russwurm den Aufsichtsrat leiten. Auch der frühere Siemens-Manager sitzt erst seit diesem Jahr in dem Gremium.

Über die Hintergründe des Führungswechsels verliert die Mitteilung vom späten Dienstagabend kein Wort. Darin heißt es lediglich, die Neuausrichtung des Konzerns werde "konsequent fortgesetzt". Im Mittelpunkt stehe dabei, die Geschäftszahlen von Thyssenkrupp zu verbessern, die vielen Geschäfte künftig als "flexibles Portfolio" zu führen und effizienter aufzustellen. Bereits nach der gescheiterten Stahlfusion hatte der Konzern angekündigt, bis zu 6000 Stellen abbauen zu wollen, davon 4000 in Deutschland. Mit Guido Kerkhoff scheint nun ein prominenter Abgang festzustehen.

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