SZ-Serie: Gipfelstürmer:Internet zum Anfassen

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Ein Start-up bietet Online-Händlern die Möglichkeit an, sich für eine begrenzte Zeit potenziellen Kunden in Einkaufszentren und Fitnessstudios zu präsentieren. Dabei muss es nicht gleich ein Ladengeschäft sein.

Von Sophie Burfeind, Berlin

Eines Abends saßen Sven Wissebach und Marlon Braumann wieder einmal in der kleinen Studentenkneipe an der Ecke und tranken Bier. Dass sie immer in derselben Kneipe landeten, hatte einen einfachen Grund: in Vallendar am Rhein, knapp 9000 Einwohner, gab es keine andere. Erst war es ein Abend wie jeder, sie redeten über dies und das, über die Entwicklung von Unternehmen, über ihr Studium. Nur eines war anders: Bevor sie wieder nach Hause gingen, beschlossen sie, ein Start-up zu gründen. Sie wollten die neue Schnittstelle zwischen Online- und Offline-Handel werden und mit ihrem Unternehmen den Einzelhandel vielfältiger machen.

Die heute 27-Jährigen lernten sich vor zwei Jahren an der privaten Hochschule für Wirtschaft und Management (WHU) in Vallendar, Rheinland-Pfalz, kennen. Beide hatten schon für junge Online-Unternehmen gearbeitet, Marlon Braumann schrieb gerade an seiner Doktorarbeit über Vertriebsstrategien. An jenem Abend redeten sie darüber, dass es Online-Firmen helfen würde, wenn sie ihre Produkte ohne großen Aufwand offline präsentieren könnten. Um die Leute auf sich aufmerksam zu machen - und damit man den Brotaufstrich oder die Limonade probieren kann, bevor man sie im Internet bestellt.

Peter Gundel, Marlon Braumann, Emil Kabisch und Sven Wissebach (v.li.) haben Store2be aufgebaut. (Foto: N/A)

Also überlegten die beiden, wie das dazu passende Konzept aussehen könnte. Es sollte eines sein, bei dem ein Unternehmen nicht gleich eine Filiale oder einen Pop-Up-Store eröffnen muss, weil gerade jungen Firmen das Risiko dafür oft zu groß ist. Ihre Idee: Sie wollten eine Plattform schaffen, über die Firmen für einen oder mehrere Tage Flächen mieten können, auf denen sie sich mit einem Stand präsentieren. Sei es in Einkaufszentren, Flughäfen, Fitnessstudios oder Boutiquen.

All das war vor eineinhalb Jahren. Im Juni 2015 gründeten Braumann und Wissebach gemeinsam mit Emil Kabisch, 24, und Peter Gundel, 26, das Start-up Store2be in Karlsruhe. Vor drei Monaten sind sie nach Berlin gezogen, wohin die meisten Start-ups irgendwann ziehen, wenn sie nicht schon dort sind.

Wie es mit dieser Anfangsidee weiterging, erzählen Sven Wissebach und Marlon Braumann in ihrem Büro in Berlin. Die großen weißen Räume sind noch ziemlich leer, abgesehen von ein paar roten und grünen Sitzsäcken auf dem Holzfußboden, ein paar Whiteboards und Macbooks. "Am Anfang haben wir uns auf das Vermieten von Store-in-Store-Flächen konzentriert", sagt Braumann. Je nachdem, was ein Unternehmen erreichen wollte, habe es eine bestimmte Fläche wählen können. Wer eine bestimmte Zielgruppe ansprechen wollte, entschied sich für die Universität oder das Fitnessstudio, wer vor allem auf sich aufmerksam machen wollte, für den Bahnhof oder das Einkaufscenter. "Man erreicht nicht alle Leute über Werbung in sozialen Netzwerken. Um neue Kunden zu gewinnen und um zu testen, ob die Produkte ankommen, ist ein Offline-Auftritt wichtig", sagt Wissebach.

Geeignet seien ihre Aktionen hauptsächlich für Firmen, deren Produkte erklärungsbedürftig sind oder die man als Kunde testen will, bevor man sie im Internet bestellt, sagen die beiden. Für die neue Craft-Beer-Brauerei etwa oder die neue Kaffeerösterei. Bislang habe es 50 Werbeaktionen gegeben, sagt Wissebach, darunter auch mit recht bekannten Unternehmen wie Amorelie, einem Online-Versandhändler für Sexspielzeuge, dem Lieferservice Hello Fresh oder Windeln.de. In deutschen Großstädten bietet das Start-up mittlerweile mehr als 1000 Flächen an. "Wir erweitern das Angebot gerade auf Flächen in der Schweiz, in Österreich und Norditalien. Langfristig wollen wir das in ganz Europa ausbauen", sagt er.

Außerdem vermittele die Firma nicht mehr nur den Ort, erzählt er. "Wir bieten auch alle Zusatzleistungen an, die für die Aktion nötig sind - einen Stand und bei Bedarf auch Promotionspersonal." Partner für neue Flächen zu gewinnen, sei kein Problem, schließlich profitierten die Vermieter der Flächen ja von den Veranstaltungen. Nicht nur durch die Mieteinnahmen, sagt Braumann: "Man assoziiert das Erlebnis mit der Fläche, auf der man war."

Die beiden Gründer glauben, dass ihnen auch ein neuer Trend im Online-Handel helfen könnte: Dass immer mehr Firmen stationäre Läden eröffnen. Das prominenteste Beispiel dafür ist Amazon. Das Unternehmen hat vor einiger Zeit angekündigt, in den USA an die 400 Buchläden eröffnen zu wollen. Auch die 2007 gegründete Firma My Müsli aus Passau - zuerst ein reines Online-Start-up - hat mittlerweile 37 Geschäfte in Deutschland. Das Kölner Handelsforschungsinstitut EHI hat kürzlich ermittelt, dass inzwischen mehr als die Hälfte der größten 1000 deutschen Online-Händler auch stationäre Läden betreiben. Die beiden Gründer in Berlin sind überzeugt, dass es für viele Unternehmen hilfreich sein könnte, über das kurzzeitige Anmieten von Verkaufsflächen erst mal zu testen, wie die Produkte ankommen und welche Orte sich gut eignen, bevor sie einen Laden eröffnen. Außerdem haben sie seit eineinhalb Monaten sechs Investoren, darunter zwei Venture Capital-Firmen. Die Biere in der Provinz haben sich also offenbar gelohnt.

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© SZ vom 30.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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