Zum Inbegriff der jetzigen Finanzkrise ist die Wall Street geworden, diese Ansammlung von Finanzhäusern im Süden der Halbinsel Manhattan. Der Wall-Street-Banker, der im verspiegelten Wolkenkratzer hektisch vor dem Bildschirm agiert, ist das Zerrbild schlechthin für den Turbokapitalisten, der kein Maß und keine Regeln kannte und nun ein ganzes Finanzsystem an den Rand des Abgrunds gebracht hat: Gier ist geil. Vom Hexenkessel New York aber ist es ein ganz weiter Sprung, quer über einen ganzen Kontinent, bis nach Südkalifornien, genauer nach Newport Beach - wo ein in diesen Tagen viel beachteter Börsenmanager agiert.
Umsteigen auf dem International Airport Los Angeles, Weiterreise in einer kleinen Zubringer-Maschine für die letzten zwölf Minuten Flugzeit weiter nach Süden, Landung im Orange County. Blitzblank präsentiert sich der Regionalflughafen, mit einer überlebensgroßen Statue des Law-and-Order-Filmhelden John Wayne, ordentlich und entspannt geht es auf den Straßen zu: eine Wohlstandsgegend.
"König des Anleihenmarktes"
In Newport Beach, malerisch am Pazifik gelegen, gibt es einen Handelsraum, in dem früh am Morgen konzentriert gearbeitet und um den Profit gerungen wird. Die Firma heißt Pimco, ist Teil des deutschen Allianz-Konzerns, und weiß in ihren Reihen einen ganz Großen der Szene, Bill Gross. Bill Gross, 64, der König des Anleihenmarktes ("King of Bond"). Bill Gross, der Milliardär. Bill Gross, die Legende.
Morgens um sechs kommt der unauffällige, hagere Mann vor dem Pimco-Bürokomplex an. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits zwei Stunden auf den Beinen. Ist draußen in seinem Haus um vier Uhr aufgestanden, hat im Keller auf den Monitoren die Kursentwicklung in Asien und Europa gecheckt. Nun sitzt er, die Krawatte lose um die Schulter gelegt, zwischen seinen meist jungen Händlern, vier Bildschirme in Reichweite, und regiert Anlagegelder im Milliarden-Umfang.
Konzentriert wird er nun einige Stunden arbeiten, dann quer über die Straße ins Fitnessstudio gehen zu seiner legendären Yoga-Stunde, den Tag ausklingen lassen mit einer Partie Golf und diesem und jenem kleinen Geschäft, ehe er nachmittags wieder zu Hause bei der Familie ist, abends ein wenig fernsehen, und dann um neun Uhr ab ins Bett. Alltag eines Spekulanten.
Größter Anleihefonds der Welt
Gross führt für die Fondsgesellschaft Pimco den größten Anleihefonds der Welt, 132 Milliarden Dollar im Portfolio. Nicht mit Aktien, also Unternehmensbeteiligungen, beschäftigt sich Gross, sondern mit festverzinzlichen Vermögenstiteln, er leiht Unternehmen Geld und erhält sein Kapital später mit Zinsen zurück. Der Pimco-Mann wird für seinen untrüglichen Instinkt für die Märkte gerühmt. "Alle Börsenmanager haben einen eingebauten Wecker", sagt er. "Manche sind zu früh dran, manche zu spät. Meine innere Uhr geht meistens halbwegs genau."
Das führt Gross auch auf den Ort der Handlung zurück: "In New York hätte ich nicht die Ruhe für meine Art zu handeln. Ich mag die Schreierei nicht, die ganze Hektik. Man muss viel lesen und denken, die langfristigen Trends erspüren, warten können, das Risiko weit streuen." Dann breitet er die Arme aus Richtung Ozean und sagt: "Das ist ein guter Platz hier."
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Mitte September hat er das Vermögen seines Fonds an einem einzigen Tag um 1,7 Milliarden Dollar vergrößert. Er hat im richtigen Moment marode Hypothekenpapiere gekauft und darauf gesetzt, dass der amerikanische Staat die beiden großen nationalen Baufinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac retten würde.
Der 64-Jährige ist kein Hosenträgertyp, kein Börsenmakler wie aus dem Film. Er ist unauffällig und gebildet. In seinem monatlichen Newsletter referiert er über Bücher, Filme, Musik. Er ist seit jeher Republikaner, beginnt sich aber unter George W. Bush von der Partei abzuwenden. Nicht nur wegen des Irakkriegs, den er öffentlich abgelehnt, sondern wegen Bushs Wirtschaftspolitik.
"Bush ist ein Präsident für die Reichen"
"Bush hat nicht wirklich mitfühlend regiert. "Er ist ein Präsident für die Reichen", sagt Gross. "Ich glaube an den American way of life, wonach man mit nichts starten und sehr reich werden kann. Aber genauso glaube ich, dass die Reichen nicht leiden würden, wenn sie etwas weniger reich würden."
Gross, der Mittsechziger, sagt, es gehe ihm nicht ums Geld. Sein Vermögen wird auf 1,2 Milliarden Dollar geschätzt. Er will beweisen, dass er der Beste ist - immer wieder. Noch vor einem Jahr stand Gross gar nicht so gut da, sein Fonds hinkte der Konkurrenz hinterher. Der Grund war: Gross hatte sich mit seiner Prognose für die Entwicklung der Leitzinsen geirrt. Das hatte ihn gewurmt.
Ein steiler Weg zu den Millionen
Immer wollte dieser Junge aus Ohio der Beste sein, zeit seines Lebens. "Ich bin besessen vom Gewinnen", sagt er. Als Marathonläufer rannte er sechs Rennen in sechs Tagen. Als Student der Psychologie verschlang er ein Buch über die mathematischen Grundlagen des Kartenspiels Black Jack. Im März 1966 setzte er sein Wissen in Las Vegas um - und machte aus 200 Dollar 10.000 Dollar.
Allerdings in wochenlanger harter Arbeit: 16 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, vier Monate lang. Dann studierte er Betriebswirtschaft in Los Angeles, heuerte in den siebziger Jahren beim Versicherer Pacific Mutual Life an, für 11.000 Jahresgehalt. 1994 gründete sich der Fondsverwalter Pimco aus und ging an die Börse, 1999 kaufte die Allianz die Mehrheit an Pimco für 3,3 Milliarden Dollar - Gross profitierte mit 243 Millionen Dollar plus 40 Millionen Dollar Jahresgehalt und Aktien obendrauf.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Gross mit dem Sammeln von Briefmarken nicht nur sich selbst Gutes tut.
In Zeiten des Aktienbooms galten Anleihemanager als Börsianer zweiter Klasse, so langweilig wie Gross' Hobby: Briefmarkensammeln. Aber so wie er aus dem Anleihehandel ein Spektakel macht, werden auch die guten alten Briefmarken auf seinem Tisch zum Knaller: Er sammelt im großen Stil, gilt als einziger Besitzer einer kompletten Kollektion amerikanischer Briefmarken des 19. Jahrhunderts.
Briefmarkensammeln zum guten Zweck
Im Mai 2008 versteigerte er seine Sammlung skandinavischer Raritäten, den Erlös von mehr als einer Million Dollar spendete er für ein Entwicklungshilfeprojekt, das sich in Afrika bei der Malariabekämpfung, beim Aufbau von Kliniken und Schulen und bei der Wasserversorgung engagiert. Vor einem Jahr hat er bereits eine Sammlung britischer Briefmarken versteigert: Der Erlös von 9,1 Millionen Dollar ging an die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen".
Gross' öffentliche Auftritte sind erfrischend, aber nicht unproblematisch. Im März 2002 kritisierte er die Informationspolitik des Weltkonzerns General Electric GE. Prompt fiel der Kurs um sechs Prozent. Kritiker warfen Gross vor, er habe nur billig einkaufen wollen. Dann das Trommeln für eine staatliche Rettung der Immobilienfinanzierer - weil Gross im Herbst 2007 auf eine Erholung hypothekenbesicherter Wertpapiere zu wetten begonnen hatte.
"Ich habe den Respekt vor dem Bond-King verloren", schrieb eine Finanzbloggerin. Bei der Allianz in München dagegen lieben sie den Mann, der ihnen so viel Profit beschert. Das führt dazu, dass er ein Mehrfaches seiner Chefs in München verdient und sich einige Eskapaden leisten kann. Zum Beispiel die, dass er sich selten an der Isar sehen lässt. Stattdessen müssen die Deutschen bei Bedarf nach Newport Beach reisen. Ist ja auch schön dort am Pazifik.