Steuern in Italien:"Italiener, zeigt Vergeudungen an"

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Petzen und sparen: Italiens Regierung ruft die Bürger dazu auf, Verschwendung von Steuergeldern anzuzeigen. Die Italiener nutzen die neue Möglichkeit per Formular im Internet quasi im Sekundentakt - und bescheren damit "Verschwendungskommissar" Enrico Bondi eine Menge Arbeit.

Andrea Bachstein, Rom

Wo ihre Steuern bleiben, glauben die Italiener schon lange zu wissen: Sie werden vergeudet. Kaum einer, der kein langes Lied davon singt, wie Staat und öffentliche Verwaltung seit Jahrzehnten Geld zum Fenster hinausschmeißen, für üppige Gehälter und Pensionen Staatsbediensteter, unsinnige und nie beendete Bauprojekte oder die Flotte von 650.000 "auto blu", wie die staatlichen Dienstfahrzeuge heißen. Resigniert erzählen die meisten so etwas, weil kein Kraut gegen das Übel zu wachsen scheint. Aber natürlich haben diese Geschichten auch gerne als Entschuldigung für die schlechte Steuermoral gedient.

Premier Mario Monti hat nicht nur der Steuerflucht den Kampf angesagt, sondern auch der öffentlichen Verschwendung. Dabei sollen die Bürger jetzt helfen: "Italiener, zeigt Vergeudungen an", lautet der Appell der Regierung. Auf einem Formular von der Internetseite der Regierung kann nun jeder mitteilen, wo er staatliches Geld vernichtet sieht.

Verfehlungen zu denunzieren, das ist auch in Italien nicht sehr beliebt. Aber wenn es gegen den Staat geht, der die Abgaben gerade kräftig erhöht, machen viele Italiener dann doch gerne mit. 40.200 Meldungen hätten sie erhalten in den gut 24 Stunden, in denen das Internetformular bis zum Freitagvormittag freigeschaltet war, sagt Gianluca Sgueo von der römischen Regierungsstelle für Bürgerbeziehungen. Alles sei dabei, sagt Sgueo, von Kleinigkeiten in Kommunen bis zu großer, systematischer Vergeudung, bekannte Fälle wie auch neue. Ein Bürger machte seine Anzeige selbst öffentlich. Ihn ärgert eine Marmorstatue für das Justizgebäude in Treviso, die 186.000 Euro kostete. Doch nach 20 Jahren ist das Kunstwerk immer noch nicht aufgestellt.

4,2 Milliarden Euro soll nach dem Willen Montis die staatliche Hand allein zwischen 1. Juni und dem Jahresende einsparen. Der neue "Verschwendungskommissar" Enrico Bondi hat unter anderem den Auftrag, die mehr als 10.000 Objekte unter die Lupe zu nehmen, die der Staat für eine Milliarde im Jahr bei Privatleuten gemietet hat. Der 68-Jährige arbeitete bei einigen der größten italienischen Konzerne, wo er sich den Ruf als eiserner Manager erwarb. Schon in zwei Wochen will er mit Hilfe der Bürger ein konkretes Einsparprogramm vorlegen.

110 Busfahrer ohne Führerschein

Nicht bei jeder Verschwendung wird die Regierung in Rom aber eingreifen können, weil manches in die Kompetenz von Gemeinden oder Regionen fällt. Um viel Geld geht es aber auch hier. In jedem Februar legen der Oberste Rechnungshof und seine regionalen Behörden ihre Vergeudungsberichte vor. 57 Millionen Euro kosteten demnach in Sizilien Verschwendung und Korruption in einem Jahr.

Verrückte Dinge kamen an den Tag, etwa jener Fall vor einigen Jahren, als die Verkehrsgesellschaft von Palermo 110 Leute als Busfahrer anstellte, die alle keinen Führerschein hatten. Der Region Lazio entgingen 800 Millionen Euro Glücksspiel-Einnahmen, weil sie nicht kontrollierte, was eine Firma trieb, der sie eine Videopoker-Lizenz erteilt hatte. Auch für edlere Zwecke wurde Geld vernichtet. Das Außenministerium spendete zehn Millionen Euro für ein Krankenhaus in Albanien, das nie gebaut wurde.

Doch es gibt auch Kritik an der Idee vom Bürger als Sparkommissar. Es sei absurd, dass nun die Bevölkerung die Arbeit der Regierung erledigen solle, sagte Gewerkschaftsführerin Susanna Camusso. Die meisten sehen das offenbar anders - die Anzeigen laufen weiter im Sekundentakt ein.

© SZ vom 05.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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