Steuerbetrug:Hunderte verdächtige Deals

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Auch die Portigon AG in Düsseldorf ist von Staatsanwälten durchsucht worden. Es geht um Geschäfte der Vorgängerbank WestLB. Ausgerechnet das staatliche Institut soll beim Griff in die Staatskasse mitgemacht haben. (Foto: Martin Gerten/dpa)

Allein aus Auslandsgeschäften prüfen die Behörden 282 Fälle, in denen der Fiskus ausgenommen worden sein soll. Im Inland gab es noch viel mehr fragwürdige Vorgänge. Weitere Razzien zeichnen sich ab - auch bei Banken.

Von Klaus Ott, Berlin/München

Allein schon diese eine Zahl lässt erahnen, wie sehr der Staat ausgenommen wurde. Das Bundeszentralamt für Steuern in Bonn prüft 282 Fälle, in denen der Fiskus von Banken, Börsenhändlern und anderen Akteuren mit dubiosen Aktiendeals betrogen worden sein soll. Oder in denen das zumindest versucht worden sein soll. 282 Fälle, in denen es um insgesamt 1,9 Milliarden Euro geht. Und das ist nur ein kleiner Teil jener Geschäfte, bei denen Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende so gehandelt wurden, dass nach den Erkenntnissen von Staatsanwaltschaften und Steuerfahndern der Griff in die Staatskasse möglich war. Indem sich die Banken und deren Geschäftspartner eine nur einmal an den Fiskus entrichtete Kapitalertragsteuer von den Finanzbehörden mehrmals erstatten ließen. Diese Steuer wird auf die Dividenden fällig, mit anderen Abgaben verrechnet und dann in der Regel zurückgezahlt.

Die Fahnder ermitteln wegen Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen

Die Angaben über das Bundessteueramt sind in einem Bericht enthalten, den ein vom Bundestag eingesetzter Cum-Ex-Untersuchungsausschuss im Februar erhalten hat. Verfasser des Berichts ist der vom Ausschuss eingesetzte Sonderermittler Jürgen Kapischke, ein früherer Generalstaatsanwalt. Er hat die Akten der Bonner Behörde und andere Untersuchungs-Unterlagen einsehen können und anschließend dem Parlament berichtet, was sich daraus einstweilen ergibt. Und das ist schon alarmierend genug. Bei der Bonner Behörde hatten Banken und andere Cum-Ex-Akteure Anträge auf Steuererstattung für Geschäfte eingereicht, die in der Regel ab 2007 über das Ausland abgewickelt wurden.

Damals hatte die Bundesregierung erstmals versucht, Aktiendeals zu Lasten des Fiskus zu verhindern; dabei aber ein Schlupfloch offengelassen, nämlich Auslandsgeschäfte. Für den weitaus überwiegenden Teil der Aktiendeals waren die Steuererstattungsanträge, lange vorher und offenbar auch nach 2007, bei Finanzämtern quer durch die Republik gestellt worden. So dass also die 282 Verdachtsfälle in Bonn nur ein kleiner Ausschnitt sind. Steuerfahnder gehen davon aus, dass Banken und andere Cum-Ex-Akteure insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro für sich abgezweigt haben.

Staatsanwälte und Steuerfahnder in mehreren Bundesländern ermitteln wegen Steuerhinterziehung in zahlreichen, besonders schweren Fällen. Einer der Schwerpunkt ist Nordrhein-Westfalen, wo inzwischen mehrere Insider auspacken und den Behörden im Detail schildern, wie diese Geschäfte gelaufen seien. Aufgrund der neuen Erkenntnisse ist nach zahlreichen vorangegangenen Durchsuchungen mit weiteren Razzien bei Banken und Börsenhändlern zu rechnen; sowie mit einer Reihe von Anklagen und Prozessen in Nordrhein-Westfalen. Auch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt. Hier zeichnet sich eine Anklage gegen frühere Börsenhändler der Hypo-Vereinsbank und weitere Verdächtige noch in diesem Jahr ab.

Nach dem Willen der Grünen sollen die neuen Erkenntnisse der Behörden auch den Bundestag beschäftigen. Dort ist ein Cum-Ex-Untersuchungsausschuss zugange, der jetzt im Frühjahr eigentlich seine Arbeit abschließen will. Gerhard Schick, der für die Grünen dem Ausschuss angehört, verlangt eine Verlängerung. "Wir riskieren sonst, dass der Bericht, den wir schreiben, schon bei Veröffentlichung völlig veraltet ist." Das Parlament müsse die neuen Ermittlungsergebnisse nutzen und weitere Zeugen hören. Schick fordert, insbesondere die Rolle jener deutschen Geldinstitute aufzuklären, die auch nach 2007 noch im Inland weiter bei Cum-Ex-Deals mitgewirkt und so geholfen hätten, den Fiskus zu hintergehen.

Die Deutsche Bank hat schon vor Jahren mit dem Fiskus über Cum-Ex gestritten

Der Abgeordnete der Grünen verweist auf ein jüngst ergangenes Urteil des Hessischen Finanzgerichts in Kassel. Das Finanzgericht verdächtigt zahlreiche Banken, mit falschen Bescheinigungen über angebliche gezahlte, tatsächlich aber nie an die Finanzbehörden abgeführte Kapitalertragsteuern zum mutmaßlichen Betrug beigetragen zu haben. Schick fordert, insbesondere die Rolle der Deutschen Bank aufzuklären. Die Regierungskoalition solle den Weg freimachen für eine weitere Aufklärung durch den Untersuchungsausschuss, statt diesen Skandal kleinzureden.

Die Deutsche Bank hatte bereits vor fünf Jahren, im März 2012, einen Disput mit dem Finanzamt Wiesbaden II. Das Finanzamt war der Auffassung gewesen, das Geldinstitut hätte vor dem Ausstellen solcher Steuerbescheinigungen prüfen müssen, ob diese Abgaben auch tatsächlich an das Finanzamt abgeführt worden seien. Die Deutsche Bank entgegnete damals, diese Ansicht "können wir ... nicht teilen". Zu dem Urteil aus Kassel und den Aussagen von Schick teilte die Deutsche Bank jetzt auf Anfrage mit, man kooperiere "in vollem Umfang mit den zuständigen Behörden". Ein Sprecher erklärte weiter, "unserer Kenntnis nach ist die Deutsche Bank nicht Gegenstand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen".

Diese Untersuchungen in Düsseldorf, Frankfurt, Köln, München und Stuttgart betreffen zahlreiche Banken aus dem In- und Ausland, darunter auch die WestLB (siehe Text unten). Die Ermittlungsbehörden kooperieren mit dem Bundeszentralamt für Steuern, das in den vergangenen Jahren sein Prüfpersonal aufgestockt hatte, um den verdächtigen Fällen nachgehen zu können. Von den 1,9 Milliarden Euro, um die es bei in Bonn gestellten Steuererstattungsanträgen geht, waren 400 bis 500 Millionen Euro bereits ausbezahlt worden. Aber das betrifft ja nur einen kleinen Teil der riesigen Cum-Ex-Geschäfte.

© SZ vom 20.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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