Steuerbetrug:Bonner Geheimnisse

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Die Bankenaufsicht wusste lange von Aktiendeals zu Lasten des Fiskus, informierte aber nicht das Ministerium und Staatsanwälte.

Von Klaus Ott und Katja Riedel, Berlin/München

Der Vorgang wirkte seltsam, fast mysteriös. Jörg Asmussen, ehedem Abteilungsleiter und dann Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, bekam bei einer öffentlichen Befragung durch Mitglieder des Bundestages ein geheimes Papier zu lesen. Der frühere Regierungsmann und heutige Bankmanager studierte die Unterlage ganz genau, bevor sein Urteil feststand. Er persönlich hätte, erklärte Asmussen, diese Erkenntnisse "an die zuständigen Stellen weitergeleitet". An Staatsanwälte oder Finanzbehörden. In dem Dokument werde ja genau beschrieben, wie sich jemand eine nur einmal gezahlte Steuer zweimal erstatten lasse. Mehr durfte der Ex-Staatssekretär nicht sagen, als er Anfang des Jahres in einem Untersuchungsausschuss des Bundestags zu Aktiendeals befragt wurde, mit denen Banken und Börsenhändler den Fiskus um mehr als zehn Milliarden Euro betrogen haben sollen.

Erst jetzt, da immer mehr Akteure solcher Aktiengeschäfte bei den Ermittlungsbehörden auspacken und so immer mehr Details bekannt werden, lässt sich der sonderbare Vorgang im Parlament enträtseln. Die in Bonn ansässige Bankenaufsicht Bafin hatte bereits 2007 von einem Insider konkrete Informationen darüber bekommen, wie der Staat ausgenommen werde: Beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende wurden die auf die Dividenden fälligen Kapitalertragsteuern mehrmals erstattet. Die dem Bundesfinanzministerium zugeordnete Bafin behielt dieses Wissen aber erst einmal für sich, statt das Ministerium, den Fiskus oder Kriminalbehörden einzuweihen. Wertvolle Zeit ging verloren, der Griff in die Staatskasse lief weiter. Das Finanzministerium erhielt erst 2009, offenbar von anderen Cum-Ex-Insidern, alarmierende Hinweise auf das dunkle Treiben.

Aber so genau durfte das im Untersuchungsausschuss des Bundestags, als Asmussen dort am 19. Januar 2017 als Zeuge aussagte, nicht geschildert werden. Das Dokument, das der Ex-Regierungsmann vom Grünen-Abgeordneten Gerhard Schick vorgelegt bekam, war als vertraulich eingestuft. Als Staatsgeheimnis gewissermaßen, warum auch immer. Hätten Asmussen oder Schick in der öffentlichen Sitzung den Inhalt des Papiers beschrieben, hätten sie sich strafbar gemacht.

Bei den Kontrolleuren hatten andere Themen "mehr im Fokus" gestanden

Sie wären wohl auch schneller zur Rechenschaft gezogen worden als jene Banker und Börsenhändler, gegen die wegen Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen ermittelt wird. Beispielsweise bei der Staatsanwaltschaft Köln, bei der gerade etliche Cum-Ex-Akteure reinen Tisch machen. Das führt dazu, dass immer mehr Papiere aus dieser Szene an die Öffentlichkeit dringen. Darunter befinden sich auch Fragmente eines Briefwechsels, der sich im Mai 2007 zwischen einem Cum-Ex-Insider und der Bafin abgespielt hatte. Der Insider hatte der Bankenaufsicht Informationen über Aktiengeschäfte mehrerer Banken zukommen lassen. Das betraf auch die damalige West-LB, die nordrhein-westfälische Landesbank; ein staatliches Geldinstitut. Das Referat BA 22 der Bafin bedankte sich freundlichst für die Hinweise und fügte hinzu, der Insider möge doch, falls er zusätzliche Informationen habe, nicht zögern, auch diese zur Verfügung zu stellen.

Als Gerhard Schick, der Bankenexperte der Grünen im Bundestag, das im Untersuchungsausschuss - der Geheimhaltungspflicht wegen vorsichtig - ansprach, fehlte es nicht an klaren Reaktionen. Asmussen antwortete auf die Fragen zum Verhalten der Bafin, wenn eine Behörde für solche Informationen nicht selbst zuständig sei, hätte sie diese Hinweise weitergeben sollen. Aus Sicht des Fiskus sei die doppelte Erstattung nur einmal gezahlter Steuern schließlich ein Unding. Genauso deutlich äußerte sich Peer Steinbrück, der damals Bundesfinanzminister gewesen war. Der frühere SPD-Politiker bekam zwar keine Akten vorlegt, wurde aber nach der Bafin gefragt. Seine Antwort: "Da würde ich schon von der Bafin erwarten, dass sie von sich aus aktiv wird", wenn dort bestimmte Informationen vorlägen. Auch beim Thema Steuern, "wenn es um Illegales geht".

Die Bafin erklärt dazu auf Anfrage, man habe die Informationen des Insiders in eine Sonderprüfung einfließen lassen. Über die Ergebnisse dieser Untersuchung habe man das Bundesfinanzministerium informiert, so die Bonner Behörde. Das Problem an dieser Vorgehensweise: Für Steuerhinterziehung ist die Bafin gar nicht zuständig. Zu ihren Aufgaben zählt es nicht, Steuervergehen zu ermitteln und zu ahnden. Sie kann aber entsprechende Hinweise weitergeben. Was in diesem Fall allenfalls indirekt geschehen sein könnte. Über den Prüfbericht, der ans Finanzministerium ging und der offenbar die West-LB betraf.

Bei der Bafin hätten andere Themen "mehr im Fokus" gestanden, sagte die frühere Bafin-Abteilungsleiterin und Direktorin Sabine Lautenschläger-Peiter als Zeugin im Cum-Ex-Ausschuss des Bundestag. Sie war bereits im Herbst vergangenen Jahres befragt worden, damals lag das für geheim erklärte Dokument den Abgeordneten aber offenbar noch nicht vor. In den Jahren 2007 bis 2012 sei man von einer Bankenkrise in eine Wirtschaftskrise und von dieser in eine Staatsschuldenkrise gekommen, erklärte die Juristin, die heute dem Direktorium der Europäischen Zentralbank angehört. Außerdem habe man damals bei den Steuerbehörden nicht tätig werden können, "weil wir dazu keine Befugnis hatten". Das habe sich erst später geändert. Auf eventuelle Geheimhaltungspflichten hatte auch Ex-Staatssekretär Asmussen als Zeuge verwiesen.

Die Opposition im Bundestag fordert nun weitere Aufklärung, bevor der Untersuchungsausschuss seine Arbeit einstellt. "Die Bafin war bei Cum-Ex ein Teil des Problems", sagt der Abgeordnete Schick von den Grünen. Die Bonner Finanzaufsichtsbehörde habe sich erst ab 2016 so richtig um dieses Thema gekümmert. Schick ist der Ansicht, eine Bankenaufsicht müsse bei Hinweisen auf kriminelles Handeln einschreiten.

© SZ vom 04.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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