Zuerst war Wolfgang Kubicki über die Banken empört, die mit dubiosen Aktiendeals den Staat jahrelang um viele Milliarden Euro betrogen haben sollen. Der FDP-Politiker aus Kiel sprach von "ungeheuerlichen" Vorgängen. Beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividendenberechtigung haben Geldinstitute und Fonds offenbar gezielt die Finanzbehörden getäuscht und sich Kapitalertragssteuern, die nur ein Mal an den Fiskus abgeführt wurden, von diesem mehrmals erstatten lassen.
Solche Geschäfte erfüllten "ohne jeden Zweifel den objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung", schimpfte der Freidemokrat Mitte 2013. Damals war bekannt geworden, dass auch die staatliche HSH Nordbank bei solchen Deals mitgemischt hatte. Miteigner der HSH ist das Land Schleswig-Holstein, dort steht Kubicki der FDP-Fraktion im Landtag vor und redet gerne Klartext. "Eine Bank, die von sich behauptet, ihr sei die Tragweite dieser Geschäfte nicht klar gewesen, muss sich fragen lassen, ob sie überhaupt geschäftsfähig ist."
Jetzt ist Kubicki wieder empört, dieses Mal aber über den Staat, der hart vorgeht gegen die Betreiber derartiger Cum-Ex-Deals. Das sei "Gesinnungsstrafrecht". Der Politiker hat in seinem Hauptjob als Anwalt inzwischen einen Mandanten, gegen den die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft wegen Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall ermittelt. Es geht um Transaktionen bei der Hypo-Vereinsbank (HVB).
Kubicki sagt, er habe sich als Verteidiger intensiv eingearbeitet in das Thema und nunmehr erkannt, was da wirklich gelaufen sei. Steueroptimierung bei Cum-Ex-Geschäften sei bis 2012 nicht verboten gewesen. "Der Bund hat aus mir unerfindlichen Gründen zehn Jahre gebraucht, um diese Steuerlücke zu schließen." Die Politik sei selbst schuld an dem Malheur. Mehrere Regierungen, egal welcher Couleur, hätten versagt und könnten das jetzt nicht auf Banken und andere Beschuldigte abwälzen. Man müsse zwischen Moral und Strafrecht trennen.
Moral contra Gesetz
Der Fiskus ermittelt bundesweit in mehr als 50 Fällen, mehr als zehn davon sind mittlerweile auch bei diversen Staatsanwaltschaften anhängig. Banken, Fonds und weitere Cum-Ex-Akteure hoffen, mit dem Hinweis auf die Steuerlücke ungeschoren davonzukommen. Aber laut sagt das kaum jemand von den Bankern und anderen Beschuldigten. Kubicki ist der einzige Prominente, der sich öffentlich in die Bresche wirft. Der Anwalt und FDP-Mann aus Kiel ist ziemlich streitlustig. Mal legt er sich mit dem Autokonzern VW an, wie bei dem Skandal um Lustreisen für Betriebsräte, mal mit der eigenen Parteiführung.
Jetzt ist der Staat dran, konkret die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, die im Fall HVB diverse Banken und andere Beteiligte gefilzt hat, intensiv ermittelt und schwere Vorwürfe erhebt. Die Beschuldigten hätten gemeinschaftlich den "Tatentschluss" gefasst, sich gar nicht vorhandene Steuerguthaben vom Fiskus auszahlen zu lassen.
Kubicki hat in einem Schriftsatz an die Generalstaatsanwaltschaft erwidert, Bundestag und Bundesrat hätten eine mehrmalige Steuererstattung bis 2007 "ausdrücklich akzeptiert" und dieses Problem dann lediglich verringert, statt es zu beseitigen. Die letzte Lücke, die Abwicklung solcher Deals über ausländische Banken, sei erst 2012 geschlossen worden.
Kubicki hat zwar ein gewisses Grundverständnis dafür, dass eine rechtlich zulässige Steuergestaltung als "ökonomisch unsinnig" für den Staat und vielleicht auch als "moralisch unvertretbar" empfunden werde. Das Strafrecht sei aber nicht der Ort, politische Entscheidungen zu korrigieren. Die Justiz habe ausschließlich die Aufgabe, Gesetzesverstöße zu ahnden. Und die lägen hier eben nicht vor, schreibt der Kieler Anwalt und FDP-Mann an die Frankfurter Ermittler.
Kubicki hofft, der Bundesfinanzhof (BFH) in München werde demnächst klarstellen, dass hier keine Steuerdelikte vorlägen. Beim BFH steht am 16. April eine mündliche Verhandlung zu einem Cum-Ex-Fall an. Der BFH ist das höchste deutsche Steuergericht. Seine Entscheidungen sind für die Strafjustiz nicht bindend, sie könnten aber die Ermittlungen der Staatsanwälte beeinflussen, und erst recht die Verfahren beim Fiskus. Die Finanzbehörde in Hamburg, bei der 13 Fälle anhängig sind, verweist ausdrücklich auf das "höchstrichterliche Verfahren" beim BFH in München.
Bisher haben ein Finanzgericht in Hessen sowie die Landgerichte in Frankfurt und Bonn die Cum-Ex-Praxis als rechtlich unzulässig erachtet. Dieser Ansicht sind auch Staatsanwälte und Steuerfahnder. Sie können sich nicht vorstellen, dass der BFH solche Aktiendeals im Nachhinein für statthaft erklärt. Wolfgang Kubicki sieht das jetzt ganz anders.