Nahaufnahme:Anwalt für alle

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"Jeder soll die gleichen Rechte haben wie ein Milliardär." Joshua Browder. (Foto: OH)

Ein 19-Jähriger greift Knöllchen-Verteiler und Kanzleien an - mit einer Internetseite, die automatisiert Strafzetteln widerspricht.

Von Kathrin Werner

Es begann mit Knöllchen, sehr vielen Knöllchen. Joshua Browder war gerade 18 Jahre alt geworden, und mit seinem Führerschein kamen die Strafzettel. Sie ärgerten ihn gewaltig, besonders nachdem seine Eltern sich weigerten, sie weiter für ihn zu bezahlen. Also nahm sich der Teenager aus London vor, etwas dagegen zu tun.

Seit Browder lesen konnte, verschlang er die Magazine Time und Businessweek, mit zwölf Jahren brachte er sich das Programmieren bei, entwickelte eine eigene App, in der Schule hatte er stets die besten Noten und reparierte das Smartphone des Mathelehrers. Nun begann das Computer-Wunderkind, sich mit den Gesetzen hinter Knöllchen zu beschäftigen, schrieb Widersprüche - und bekam recht. Die Behörden hatten sich mit dem Falschen angelegt.

"Ich habe gemerkt, dass das alles automatisiert abläuft", sagt er. "Also kann man sich auch automatisiert wehren." Mitten in der Nacht - tagsüber musste er ja in die Schule - programmierte Browder eine Webseite, die bei Widersprüchen gegen die Parkbescheide hilft. Erst wollte er nur seinen Freunden Tipps geben, doch die Sache sprach sich rum, binnen weniger Wochen nutzten Tausende DoNotPay.co.uk. Seit er sie im vergangenen Jahr in Dienst gestellt hat, haben die Behörden in 44 Prozent aller Fälle die Strafzettel zurückgenommen. Das hat den Nutzern fast vier Millionen Dollar gespart und ihn zum Promi gemacht, er spricht inzwischen auf etlichen Konferenzen, zum Beispiel gerade auf der Digitalkonferenz DLD in New York.

Sein automatischer Online-Anwalt weiß genau, wann ein Knöllchen nicht rechtskräftig ist, er stellt eine Liste von Fragen: Ist der Bescheid vollständig ausgefüllt, hatten Sie das Auto gerade verliehen, gab es ein Parkverbotsschild, das nah genug am Parkplatz stand?

Wenn alles beantwortet ist, füllt der Computer das Widerspruchsformular aus. "Ganz oft parken die Leute gar nicht falsch", sagt Browder. "Die Strafzettel sind nur ein Trick der Stadt, um Geld zu verdienen." Bislang konnten sich viele Menschen allerdings nicht wehren, weil die Anwaltsgebühren zu teuer waren. Browders Webseite ist kostenlos. Es geht ihm um Gerechtigkeit, nichts ums Geldverdienen. "Jeder soll sich einen Anwalt leisten können", sagt er. "Jeder soll die gleichen Rechte haben wie ein Milliardär." Anfangs hat er mit verschiedenen Anwaltskanzleien über seine Idee gesprochen - vielleicht würde ja eine mit ihm zusammenarbeiten. Aber die Anwälte interessierten sich nicht für ihn. "Sie dachten alle, das würde niemals funktionieren", erzählt Browder. Inzwischen nimmt er ihnen im großen Stil Kunden weg. Gleich mehrere Firmen haben ihm schon angeboten, seine Firma für Millionenbeträge zu kaufen. Die Zukunft der Rechtsberatung sei automatisch, sagt er - besonders für alle Fälle, die so schematisch ablaufen wie Knöllchen.

Der inzwischen 19-jährige Joshua Browder studiert an der Universität Stanford in Kalifornien Wirtschaft und Informatik und arbeitet weiter an seinem Anwalt für alle. Inzwischen kann DoNotPay auch helfen, Geld zurückzubekommen, wenn Flüge gestrichen wurden oder Züge verspätet waren. Bislang gibt es Browders automatischen Anwalt nur in Großbritannien und New York, weitere Städte und Länder sollen folgen.

Neben der Uni ist sein momentan wichtigstes Projekt aber nicht, den Erdball von Parkgebühren zu befreien, sagt er. Es geht für ihn um mehr: Er arbeitet daran, dass die Webseite lernt, in Großbritannien Asylanträge für Flüchtlinge zu stellen. "Das ist gar nicht so einfach, die Technik muss von Arabisch auf Englisch übersetzen können", sagt der Jugendliche. "Aber es ist wichtig, denn für diese Leute sind Anwälte oft kaum bezahlbar."

© SZ vom 11.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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