Start-up:Laufkundschaft aus dem Web

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Ein Hamburger Start-up will Internetkunden für die Geschäfte in der Nachbarschaft begeistern.

Von Angelika Slavik, Hamburg

Hübsche Fotos zu machen, das ist heute viel leichter als früher: Ein paar Klicks nur, dann ist das schlechte Licht korrigiert, der Kontrast verändert und die Schärfe verbessert. Die meisten Menschen finden das praktisch. Benedict Sebesta nicht. Sebesta, 28, findet unprofessionelle Fotos super. Solche mit schlechtem Licht und blödem Winkel, die vielleicht sogar ein bisschen unscharf sind. "Unprofessionelle Fotos funktionieren am besten", sagt er. Sebesta ist einer von drei Gründern von Productmate. Und bei Productmate ist alles gut, was nach Authentizität aussieht, nach selbstgemacht. Vor allem ist alles gut, was nicht an einen großen Konzern oder eine große Handelskette erinnert. Ketten und Konzerne arbeiten nicht mit unprofessionellen Bildern, deshalb ist Sebesta Fan davon.

Productmate ist eine Internetplattform, die helfen soll, die kleinen, unabhängigen Läden zu einer echten Einkaufsalternative zu den Ketten und den Online-Händlern zu machen - auch und gerade für die Konsumenten, für die Einkaufen im Internet längst die vorrangige Art des Shoppings ist. Für die Generation Lieferservice also, die gar nicht mehr mitbekomme, welche tollen Geschäfte es nur ein paar Straßen entfernt gebe. Sei es, "weil die Leute den ganzen Tag arbeiten oder weil Online-Shopping einfach zu ihrer Gewohnheit geworden ist", sagt Sebesta.

"Es geht auch darum, Dinge zu entdecken, von denen man vorher gar nicht wusste, dass es sie gibt."

Productmate ist deshalb eine Art "virtuelles Schaufenster", in dem Händler ihre Waren im Internet präsentieren können, ohne sich deshalb einen eigenen Online-Shop zulegen zu müssen. Konsumenten, das ist die Idee, können dann virtuell durch das Angebot ihrer Stadt stöbern und sich einen Überblick verschaffen, ohne sinnlose Wege zurücklegen zu müssen oder an dem Laden, der eigentlich ihr Wunschprodukt führt, vielleicht einfach vorbeizulaufen. "Es soll aber nicht nur funktionieren wie eine Suchmaschine", sagt Co-Gründer Moritz Held. "Es geht auch darum, Dinge zu entdecken, von denen man vorher gar nicht wusste, dass es sie gibt und dass man sie kaufen will. Wir wollen Begehrlichkeiten wecken."

Seit Ende 2014 ist Productmate im Vollbetrieb, in Hamburg nutzen mittlerweile 250 Händler diese Plattform in der Hoffnung, neue Kunden zu gewinnen. Welche Waren dabei im Netz präsentiert werden, entscheiden die Ladeninhaber selbst, sie können das Angebot auch von ihrem eigenen Computer aus anpassen. Allerdings machen die Productmate-Gründer Verbesserungsvorschläge, wenn sie sehen, dass ein Produkt "nicht richtig performt", also auf unterdurchschnittliches Interesse bei den Besuchern der Webseite stößt. Ob es dann an den Fotos liegt?

Nachvollziehen, welche Kunden wegen Productmate in den Laden kommen und welche auch sonst den Weg zu ihnen gefunden hätten, können die Geschäftsinhaber bislang nicht. Es sei aber geplant, die Sichtbarkeit zu verbessern, zum Beispiel durch Sonderaktionen oder kleine Extras für Kunden, die bei ihrem Einkauf auf Productmate verweisen. Vielleicht ist der schwierige Leistungsnachweis auch der Grund, warum die Productmate-Gründer ihre Dienste bisher sehr günstig anbieten: Wer bei dem Portal 50 seiner Produkte einstellen möchte, zahlt dafür eine Jahresgebühr von 330 Euro. Der Platz für insgesamt zehn Produkte ist sogar schon für 95 Euro zu haben.

Das große Geld verdienen die Gründer damit noch nicht, im laufenden Jahr macht das Unternehmen etwa 45 000 Euro Umsatz. "Wir wissen natürlich, dass wir bald mal die Preise anpassen müssen", sagt Matthias Rickertsen, der sich vorrangig um die Finanzen des Unternehmens kümmert. Man habe eben "zuerst Leistung bringen" wollen, bevor man anfange, üppige Rechnungen zu stellen. "Die meisten unserer Händler haben schon signalisiert, dass sie auch bereit wären, deutlich mehr zu bezahlen." Viele führten Umsatzwachstum auf Productmate zurück, auch wenn die Firma ihren Nutzen für die Händler bislang empirisch nicht belegen kann, berichtet Rickertsen.

Im Durchschnitt schauen täglich 500 Besucher auf der Productmate-Seite vorbei - Laufkundschaft aus dem Web, das ist das Konzept. Neben dem Hauptmarkt Hamburg ist Productmate auch in Berlin und Düsseldorf aktiv, 2016 soll es zudem in München und Köln virtuelle Schaufenster geben. Die Gründer kokettieren außerdem mit Aktivitäten im Ausland: Allerdings nicht mit den klassischen Einkaufsmetropolen wie London oder Paris, sondern mit Städten wie Riga, Vilnius, Stockholm und Kopenhagen. Denn dort gebe es eine besonders ausgeprägte Design-Szene - und damit viele ungewöhnliche Stücke, die Konsumenten in ihrer Nachbarschaft entdecken könnten. Ob sie nun gut fotografiert sind oder nicht.

© SZ vom 22.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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