Den Namen "Dr. Doom" ("Dr. Untergang") hat er sich redlich verdient. Nouriel Roubini, der kleine Professor von der New York University mit dem strubbligen Haar und dem sorgenvollen Blick, sagte die Finanzkrise bereits 2006 voraus. Immer wieder warnte er vor dem Weltuntergang - so lange, bis die Realität seine Prognosen noch überholte.
Heute ist der mittlerweile 52-jährige Ökonom ein Star. Sein Rat ist weltweit gefragt, sein Informationsdienst Roubini Global Economics (RGE) hat sich zu einem erfolgreichen mittelständischen Unternehmen entwickelt und jetzt versucht er seinen Ruhm auch noch durch ein populärwissenschaftliches Buch zu festigen ("Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft"). Es ist sein erstes dieser Art und er hat dazu eigens einen Koautor engagiert: Stephen Mihm, ein Reporter des New York Times Magazine, der im August 2008 ein großes Porträt über Roubini veröffentlicht und darin den Begriff "Dr. Doom" geprägt hatte.
Wegen seiner düsteren Prognosen wird Roubini meist als Radikaler wahrgenommen. Aber das Bild stimmt so nicht. Der Ökonom ist ideologisch keineswegs festgelegt, sondern bekennender Eklektiker; er bedient sich bei der streng marktwirtschaftlichen österreichischen Schule der Nationalökonomie ebenso wie bei den Keynesianern. Auf der Liste der Wissenschaftler, die ihn beeinflusst haben, stehen die linken Nobelpreisträger Josef Stiglitz und Paul Krugman, der Angebotstheoretiker Robert Mundell und der konservative Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson. Er ließ sich auch vom Hedgefonds-Manager John Paulson beraten, der mit Wetten auf den Zusammenbruch des US-Immobilienmarktes ein Milliardenvermögen machte und zuletzt bei der Klage der Börsenaufsicht SEC gegen Goldman Sachs zu zweifelhaftem Ruhm gelangte. Und er zog sich zum Schreiben in das Haus des Großinvestors und Spekulanten George Soros zurück.
Roubini erzählt, wie es zur Krise kam und er stellt dabei auch fair unterschiedliche und konkurrierende Erklärungsansätze dar. Der bei weitem spannendste Teil des Buches ist jedoch der letzte: Hier setzt er sich mit den politischen Reaktionen auf die Krise auseinander. Die Gesetze nur Neuregulierung der Finanzmärkte, die Präsident Barack Obama und verschiedene europäische Regierungen auf den Weg gebracht haben, sind seiner Meinung nach im Prinzip richtig, aber sie gehen längst nicht weit genug.
Wenn der Wille fehlt
Zwei Fragen vor allem sieht er ungelöst: Im Zuge der Finanzkrise sind, erstens, einige Banken noch größer und mächtiger geworden: JP Morgan zum Beispiel oder die Bank of America. Damit hat sich das Problem, das im Englischen mit "Too Big to Fail" umschrieben wird, noch verschärft: Die Institute können jetzt erst recht nicht pleitegehen, ohne das gesamte Finanzsystem zu zerstören. Zweitens fehlt der Wille, das Entstehen neuer Spekulationsblasen zu verhindern. Zu beiden Fragen schlägt Roubini Reformen vor, die weit über das bisher in der Fachwelt Diskutierte hinausgehen.
Zunächst die Banken: Die Forderung, man müsse Banken "zerschlagen", ist so populär wie vage. Nach welchen Kriterien sollen JP Morgan, Deutsche Bank oder UBS zerschlagen werden und was soll an deren Stelle treten? Am konkretesten ist dabei noch die "Volcker-Regel", also der Vorschlag des früheren US-Notenbankchefs und Berater von Präsident Obama, Paul Volcker, allen Geschäftsbanken spekulativen Eigenhandel zu untersagen. Das Problem dabei: Die Volcker-Regel hätte die Finanzkrise vermutlich nicht verhindert. So wäre das Geschäftsmodell der Pleite-Bank Lehman auch nach der Regel vollkommen legal gewesen. Hier geht Roubini einen großen Schritt weiter. Er teilt die Finanzwelt in drei Klassen von Instituten auf: Geschäftsbanken, Investmentbanken und Hedgefonds. Die drei Klassen sollen nicht nur streng getrennt werden, sie sollen nicht einmal Geschäfte miteinander machen dürfen. "Brandmauern" nennt Roubini dies.
Eine "Geschäftsbank" entspricht in Roubinis Welt genau der populären Vorstellung von einer Bank: Sie leiht Geld an Firmen und Privatleute und refinanziert sich durch Kundeneinlagen, die teilweise staatlich versichert werden. Sie sollen genau das tun und nichts anderes. Verboten werden soll ihnen zum Beispiel ein bis vor kurzem hochprofitables Geschäftsfeld: kurzfristige "Repo-Kredite" an Investmentbanken. Diese waren 2008 ein wichtiger Ansteckungsweg, über den sich die Finanzkrise ausgebreitet hat. Investmentbanken sollen sich auf ihr Kerngeschäft beschränken: die Beratung von Unternehmen bei Finanzfragen wie der Emission von Anleihen und Aktien. Wenn sie in langfristige Anlagen investieren wollen, müssen sie sich das Geld über eigene Anleihen oder Aktien beschaffen; kurzfristige Kreditaufnahme ist ihnen ebenso verboten wie spekulativer Eigenhandel. Dieser ist ausschließlich Hedgefonds vorbehalten.
Sie dürfen machen was sie wollen - solange sie keine kurzfristigen Kredite aufnehmen. Genau dadurch aber wird ihr Geschäft weniger profitabel. Vieles an Roubinis Drei-Klassen-Welt wird schwierig zu regeln sein. So ist die Grenze zwischen Geschäften im Kundenauftrag und dem Eigenhandel der Bank weniger scharf als Roubini unterstellt. Trotzdem ist sein Vorschlag der präziseste und in sich schlüssigste unter allen, die bisher zum Problem "Too Big to Fail" vorgelegt wurden. "Das Finanzsystem, das wir hier beschreiben, ist sauber parzelliert, keimfrei - und langweilig", schreiben die Autoren. "Doch genau das ist das Ziel."
Weg mit dem Greenspan-Put
Roubinis Vorschläge zur Vorbeugung vor neuen Spekulationsblasen sind weniger spektakulär, aber sie erfordern ein Umdenken in den Notenbanken. Seit den achtziger Jahren war es Konsens zumindest in der US-Zentralbank Fed, dass man Blasen nicht bekämpfen kann, weil man sie nicht genau definieren kann. Stattdessen sollte die Notenbank, so die Überzeugung, nach dem Platzen einer Blase aggressiv Geld in das System pumpen, um einen Absturz des Finanzsystems zu verhindern. Diese Ideologie ging als "Greenspan-Put" in den Sprachgebrauch der Wall Street ein. Der frühere Fed-Chef Alan Greenspan stellte den Finanzmärkten eine Art Versicherung aus: Sie konnten nach Herzenslust spekulieren, denn wenn etwas schief ging, stand ja die Fed bereit.
Greenspans Nachfolger Ben Bernanke tat es ihm nach, zuletzt im gigantischen Maßstab. Diesen Greenspan-Put will Roubini beenden: Die Notenbank soll bei steigenden Aktienkursen und Immobilienpreisen nicht nur früher mit Zinserhöhungen beginnen, sie soll auch mit quantitativen Maßnahmen einschreiten und etwa die Banken zu höheren Mindestreserven zwingen. Die Instrumente dazu sind längst vorhanden, aber sie wurden bisher nie eingesetzt.
Dr. Dooms Rezepte würden das Spiel der Finanzmärkte von Grund auf ändern. Und so wie die Stimmung in der Öffentlichkeit ist, haben sie eine gute Chance, auch angewendet zu werden.