Städtebau:Dichter, höher, grüner

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Die Luftqualität und sommerliche Temperaturen können schnell zum Problem werden. Richtig angelegt, helfen Pflanzen, das Leben angenehmer zu machen.

Von Lars Klaaßen

Am 3. Mai beäugten die Passanten auf dem Potsdamer Platz in Berlin neugierig einen kleinen Fremdkörper. Im Schatten der Hochhäuser befand sich für einige Stunden ein "Pop-up-Park". Auf 65 Quadratmetern erstreckte sich ein Rollrasen samt Splittweg, dazu einige Kübel mit Pflanzen. Tafeln informierten über die Bedeutung von Grünanlagen für die Stadt: fürs Klima, die Gesundheit und die Erholung. Die Anlage tourte in den vergangenen Wochen unter dem Titel "Grün in die Stadt" durch zwölf deutsche Metropolen. So möchte der Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau (BGL) zeigen, dass dieses Thema alle betrifft - zumindest jene 78 Prozent der Deutschen, die heute in Städten leben.

Bei dem Thema geht es allerdings um mehr als ein paar zusätzliche Bäume oder Parks. Es geht um urbane Gesamtkonzepte. So verkündete Andreas Geisel, Senator für Stadtentwicklung (SPD), beim Auftakt der Roadshow: "Wir wollen dichter und höher bauen" - und erhielt dafür Applaus. "Derzeit werden allein in Deutschland täglich rund 80 Hektar versiegelt", sagt BGL-Präsident August Forster. "Das Ziel der Bundesregierung ist es, diesen Flächenfraß bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag zu reduzieren."

Um das zu schaffen, müssen Städte, deren Bevölkerung wächst, kompakter werden. "Nur wenn auf engem Raum Grünanlagen und Pflanzen optimal eingesetzt werden, kann die Lebensqualität dort erhalten werden", sagt Forster. Das fange bei den Grundbedürfnissen an: "Pflanzen sind Kraftwerke für gute Luft im unmittelbaren Stadtklima." Eine Umfrage des BGL Ende 2014 ergab, dass eine große Mehrheit mit der Quantität von Grünanlagen zwar zufrieden ist, aber die Qualität - vor allem die Pflege - von vielen bemängelt wird.

"In Berlin sterben jährlich 700 bis 800 Menschen zusätzlich während Hitzeepisoden."

Mit der Quantität und Qualität grüner Flächen in der Stadt befassen sich Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) im deutsch-koreanischen Projekt "Urban Voids". Sie suchen in Seoul und Karlsruhe systematisch nach kleineren funktionslosen Restflächen und Strategien, um diese mit neuem Nutzen in das Funktionsgefüge der Stadt zu integrieren. Seoul hat weniger Fläche als Hamburg. Dort leben aber nicht 1,7 Millionen, sondern zehn Millionen Menschen. Freie Flächen sind demzufolge sehr klein und nur verstreut zu finden.

Das ist in Karlsruhe wie in vielen deutschen Städten anders. Die Planer der Nachkriegszeit haben auf die aufgelockerte und autogerechte Stadt gesetzt. "Viele Straßen werden zwar von Grünanlagen gesäumt, sie sind aber dennoch ein Monopolraum für das Auto", sagt Projektleiter Philipp Dechow. Abstandsflächen müssten oft nicht so groß sein, auch die Breite des Verkehrsraums könnte teils reduziert werden, bis hin zu ganzen Fahrspuren. "Hier werden teils enorme Flächenpotenziale verschenkt."

In verschiedenen Ideenskizzen stellen die Forscher Ansätze vor, wie diese Potenziale genutzt und gleichzeitig die Straßen aufgewertet werden können. Zu den neuen Elementen zählen Fuß- und Radwege, aber auch neue Häuser, die dem Stadtraum Struktur geben. Alleebäume und Grünanlagen sind Teil des Konzepts. Schneisen, über die frische Luft aus dem Umland in die Innenstadt gelangt, sollen erhalten bleiben. Verdichtung und Stadtgrün ergänzen sich bei diesen Entwürfen.

Wie wichtig innerstädtisches Grün für Anwohner mitten in einer Millionenstadt ist, untersuchen Forscher der Technischen Universität Berlin (TUB) im Rahmen des Projekts "Kiez-Klima" im Brunnenviertel im Bezirk Mitte, seinerzeit das größte Sanierungsgebiet der Bundesrepublik. Knapp 13 000 Menschen leben dort. Zwischen 1972 und Mitte der 1980er-Jahre wurde das Gebiet im Rahmen der Flächensanierung (Abriss und Neubau) vollständig erneuert.

Das Quartier hat viele Grünflächen, vor allem in den recht großen Höfen der Wohnbauten. Das ist enorm wichtig, denn: "Der Sommer 2015 war einer der heißesten der vergangenen Jahrzehnte in Berlin. Es gab 23 heiße Tage und vier Tropennächte", sagt Daniel Fenner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Klimatologie. Das waren mehr als doppelt so viele heiße Tage und Tropennächte als durchschnittlich in den Jahren zwischen 1981 und 2010. "In den kommenden Jahrzehnten wird sich sowohl die Anzahl solcher Hitzeereignisse als auch die Anzahl von Hitzeepisoden voraussichtlich erhöhen", sagt Fenner. "Das würde die Bevölkerung gesundheitlich stärker belasten. Schon jetzt sterben in Berlin jährlich 700 bis 800 Menschen zusätzlich während Hitzeepisoden."

Moose lösen Feinstaub durch ihren natürlichen Stoffwechsel auf

Effektive Klimaanpassungsmaßnahmen werden daher immer wichtiger - auch angesichts des demografischen Wandels und einer alternden Bevölkerung, "da ältere Menschen besonders von Hitze betroffen sind", sagt Fenner. Trotz des Grüns gibt es auch im Brunnenviertel noch Verbesserungsbedarf. Die Forscher wollen einige Orte noch besser verschatten und Flächen, wenn möglich, entsiegeln. Wo es an Platz für Bäumen mangelt, könnten begrünte Wände errichtet werden. Auch begrünte Fassaden erzielen gewünschte Effekte, ohne Platz zu verbrauchen. Dafür sind jedoch einige technische Hürden zu nehmen.

"Dass vertikal begrünte Flächen im urbanen Raum Beiträge zur Feinstaubabsorption, Stickoxidminderung und Mikroklimaverbesserung leisten, bestätigen wissenschaftliche Arbeiten, die in den vergangenen Jahren publiziert wurden", sagt Holger Wack, stellvertretender Abteilungsleiter Materialsysteme und Hochdrucktechnik am Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT.

Moose sind hierfür geeignete Kandidaten. Diese Pflanzen lösen Feinstaub durch ihren natürlichen Stoffwechsel komplett auf. "Moose an Wänden wachsen zu lassen, stellt uns aber vor zwei Probleme", sagt Wack. "Zum einen tut die hohe Sonneneinstrahlung den Pflanzen nicht gut, zum anderen ist es aufwendig, die nötige Feuchtigkeit in die Vertikale zu bringen."

Erfahrungen aus der Begrünung von Gleisbetten für Straßenbahnen gaben hilfreiche Impulse. So nehmen die Forscher nun Kalksandstein, an dem die Moose sich gut entwickeln können. "Weil Moose langsam wachsen, arbeiten wir zu Beginn der Begrünung mit verschiedenen anderen Pflanzen", erläutert Wack. "Wir arbeiten unter anderem mit Erdbeeren in Versuchswänden, um herauszufinden, wie gut und schnell die Moose damit wachsen."

In zwei bis drei Jahren sollte eine Wand vollständig bemoost sein. So können schon heute kleinere Fassadenflächen bestückt werden. Sie kühlen im Sommer, dämmen im Winter und machen die Luft besser. Um zu erreichen, dass auch deutlich größere Wände damit in Serie gehen können, arbeiten die Fraunhofer-Forscher unter anderem noch an besseren und pflegeleichten Bewässerungssystemen. Dann kann noch höher, dichter und grüner gebaut werden.

© SZ vom 01.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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