In Deutschland leben etwa 6,1 Millionen Menschen von der staatlichen Grundsicherung (Hartz IV). Wie viel sie bekommen, hängt maßgeblich von einer groß angelegten Erhebung ab: Alle fünf Jahre führen 60 000 Haushalte für das Statistische Bundesamt Haushaltsbücher wie zu Omas Zeiten. Drei Monate lang halten sie penibel fest, wofür sie Geld ausgeben. Etwa 200 Positionen sind in dieser Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) vorgesehen, vom Waschmittel über die Telefongebühren bis zu Essen und Trinken. Derzeit beruhen die Hartz-IV-Sätze noch auf der EVS von 2008, obwohl es 2013 eine neue Stichprobe gab. Die umfangreichen Daten musste das Statistische Bundesamt aber erst auswerten. Jetzt hat die Behörde in Wiesbaden die Ergebnisse vorgelegt. Hartz-IV-Bezieher sollten sich jedoch nicht zu früh freuen: Mit einer Erhöhung der Regelsätze aufgrund der neuen Daten können sie erst Anfang 2017 rechnen.
Ein Alleinstehender bekommt derzeit monatlich 399 Euro an staatlicher Grundsicherung plus im Durchschnitt gut 300 Euro für Wohnkosten. Am 1. Januar 2016 wird der Regelsatz auf 404 Euro erhöht. Dieser jährliche Aufschlag hängt zu 70 Prozent von der Preisentwicklung und zu 30 Prozent vom Auf und Ab der Löhne ab. Im Sozialgesetzbuch XII heißt es aber: "Liegen die Ergebnisse einer bundesweiten neuen Einkommens- und Verbraucherstichprobe vor, wird die Höhe der Regelbedarfe in einem Bundesgesetz neu ermittelt."
Wie schnell dies gehen soll, steht dort nicht. Und schnell kann und wird es auch nicht gehen. So sieht es jedenfalls das Bundesarbeitsministerium. Zunächst werde man die Ergebnisse der EVS prüfen und bei den Statistikern neue Sonderauswertungen in Auftrag geben, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. Erst danach könne die Arbeit am Gesetz beginnen, sodass die neuen Regelbedarfshöhen auf Grund der neuen Haushalts-Stichprobe "zum 1. Januar 2017 in Kraft treten und damit im derzeitigen Anpassungsturnus liegen". Auf Grund der "zeitlichen Abläufe" sei es nicht möglich, den Termin auf den 1. Juli 2016 vorzuziehen. Auch sei nicht daran gedacht, die neuen Regelsätze rückwirkend gelten zu lassen.
"Zu niedrig, um sich ausgewogen zu ernähren"
Martin Künkler von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen hat dafür überhaupt kein Verständnis: Er hält es für einen "Skandal und eine Geringschätzung aller Menschen, die von Hartz IV leben müssen, dass sich das Ministerium so viel Zeit lässt". Die Regelsätze gehörten dringend "auf den Prüfstand, weil sie heute selbst grundlegende Dinge nicht abdecken". So seien "die Leistungen nachweislich zu niedrig, um sich ausgewogen zu ernähren, die tatsächlichen Stromkosten zahlen oder sich eine Waschmaschine kaufen zu können".
Ähnlich sieht es Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes: "Schätzungsweise 140 000 Stromabschaltungen in Hartz-IV-Haushalten im vorigen Jahr zeigen, wie drängend der Handlungsbedarf ist. Wenn man den Menschen tatsächlich helfen wollte, wäre es kein Problem, ab sofort die Stromkosten für Hartz-IV-Bezieher genauso wie die Kosten für Wohnung und Heizung in voller Höhe zu übernehmen." Es fehle aber offenbar der politische Wille, Armut in Deutschland zügig zu bekämpfen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Juli 2014 in einem Beschluss bereits kritisch angemerkt: Komme es wie zum Beispiel beim Strom zu außergewöhnlichen Preissteigerungen bei einer derart gewichtigen Ausgabeposition, müsse der Gesetzgeber dies zeitnah abbilden und den Stromkostenanteil in den Regelsätzen erhöhen. Das Arbeitsministerium will dies nun im Rahmen der Neuermittlung der Regelsätze ebenfalls prüfen und dann entscheiden.
Wie viel nach dem großen Rechnen für die Hartz-IV-Empfänger von 2017 zusätzlich herausspringen wird, ist offen. Darüber, sagte die Sprecherin des Arbeitsministeriums, "sind zum heutigen Zeitpunkt keine Aussagen möglich".