Etwa 35 000 Personen warten in Bayern auf eine Sozialwohnung. Die Liste der Wartenden wird länger und länger. Während die Nachfrage nach vergleichsweise günstigen Objekten immer größer wird, schrumpft die Anzahl der Sozialwohnungen seit Jahren. Im Rest Deutschlands sieht es ähnlich aus. Nur jeder fünfte finanzschwache Haushalt habe überhaupt die Chance, eine Sozialwohnung zu bekommen, rechnet das Eduard Pestel Institut für Systemforschung vor. Angebot und Nachfrage driften immer weiter auseinander.
"Innerhalb von 15 Jahren hat sich der Sozialwohnungsbestand in Bayern nahezu halbiert. Von 250 000 im Jahr 1999 auf nur noch 130 000 im Jahr 2014", sagt Xaver Kroner, Direktor und geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Verbandes bayerischer Wohnungsunternehmen (VdW). Dies hängt mit den Besonderheiten des deutschen Fördersystems zusammen: Wenn die Wohnungsunternehmen Kredite für den Bau der Häuser getilgt haben, verlieren die Objekte den Status einer Sozialwohnung. Die Eigentümer sind dann frei bei der Auswahl des Mieters und der Festsetzung der Miete. So sind in Bayern im vergangenen Jahr 4320 Sozialwohnungen aus der Bindung gefallen - durch Neubau und Sanierung aber nur knapp 2400 Sozialwohnungen hinzugekommen.
Gleichzeitig wächst der Druck auf die Märkte in den Metropolen und Universitätsstädten seit Jahren. Hinzu kommt nun, dass immer mehr Menschen vor Krieg und Chaos aus ihren Heimatländern nach Deutschland fliehen. Kurzfristig werden daher mehr Gemeinschaftsunterkünfte, aber auch wesentlich mehr günstige Wohnungen benötigt. Von Januar bis April haben in diesem Jahr etwa 114 000 Menschen beim Bundesamt für Migration Asylanträge gestellt, im Vorjahreszeitraum waren es noch etwas weniger als 50 000. In Bayern werden dem bayerischen Innenministerium zufolge circa 3000 bis 5000 zusätzliche Wohnungen pro Jahr für die Flüchtlinge benötigt. "Das kann die Wohnungswirtschaft niemals schaffen", sagt Kroner, "die Unternehmen können nicht auf Knopfdruck reagieren".
Kommunale Unternehmen und Genossenschaften sind fast die Einzigen, die noch bauen
Laut Wohnungswirtschaft rächt es sich nun, dass die Politik die Förderbedingungen in den vergangenen Jahren eher verschlechtert als verbessert hat. "Man hat vieles verkommen lassen", sagt Kroner. Weil es zum Beispiel Steuererleichterungen wie die degressive Abschreibung nicht mehr gebe, sei der Bau von Mietwohnungen immer unattraktiver geworden. "Die kommunalen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften sind mittlerweile die Einzigen, die sich im sozialen Wohnungsbau engagieren", bedauert Kroner die Entwicklung. "Früher waren wir nicht alleine, da gab es auch noch private Investoren." Heute bauen Projektentwickler lieber Eigentumswohnungen, weil die Renditeaussichten in den meisten Städten deutlich besser sind.
Hinzu kommt, dass das größte Lockmittel seit Jahren seine Wirkung verloren hat. Wer Sozialwohnungen baut, bekommt vom Staat verbilligte Kredite - weil die Zinsen aber auf dem freien Markt ohnehin so niedrig sind, sticht dieser Trumpf nicht mehr. "Investoren muss man schon mehr bieten", sagt Kroner, "wir müssen dringend über Zuschüsse diskutieren." Die hätte es zum Beispiel Anfang der Neunzigerjahre schon mal gegeben - in einer vergleichbaren Situation. "Damals hatte der Freistaat Bayern die Ärmel hochgekrempelt", sagt Kroner. 1993 stellte das Land Bayern mehr als 600 Millionen Euro für die Wohnraumförderung zur Verfügung. Gebaut wurden etwa 14 000 geförderte Mietwohnungen und Wohnheimplätze.
In den vergangenen Jahren lag die Fördersumme im Mittel nur bei circa 220 Millionen Euro pro Jahr. Mit dem Geld wurden Wohnungsunternehmen verbilligte Kredite ermöglicht. Neu gebaut wurden 2014 knapp 2000 Sozialwohnungen. "Soll die Wohnraumförderung in wenigen Jahren ihre Wirkung nicht völlig verlieren, müssen wir viel mehr Geld in das System geben", fordert Kroner. Allein für die 3000 bis 5000 zusätzlich benötigten Wohnungen für Flüchtlinge in Bayern wären nach dem jetzigen System laut VdW Fördermittel von 450 bis 750 Millionen Euro notwendig. Kämen noch Zuschüsse hinzu, wäre die Summer wesentlich höher.
Zwischenzeitlich sind Kommunen und Vermieter damit beschäftigt, den Flüchtlingen überhaupt eine vernünftige Bleibe zu verschaffen. Die Regierung von Oberbayern suche händeringend nach geeigneten Objekten sowie Grundstücken, sagt deren Sprecherin Simone Hilgers. Die Baugesellschaft München-Land GmbH baut für zahlreiche Kommunen um die bayerische Landeshauptstadt. "Die Gemeinden haben in der Regel das alleinige Belegungsrecht und entscheiden, wer wo wohnt", erklärt Geschäftsführer Ulrich Bittner. So leben am Rand von München Flüchtlinge in Wohneinheiten, die später abgerissen werden - eine Zwischenlösung. In einer kleineren Gemeinde entstehen zwölf Wohneinheiten für Flüchtlinge. "Im Idealfall bleiben die dort langfristig als Mieter wohnen", sagt Bittner.
"Auch im Landkreis Coburg gab es die üblichen Diskussionen wegen eines Flüchtlingsheims", erzählt Rainer Mayerbacher, Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft des Landkreises Coburg mbH. Die Behörden bringen die Menschen nun aber möglichst dezentral unter. Vor allem kommunale Wohnungsunternehmen, aber auch private Vermieter bieten ihre freien Wohnungen an, sodass einzelne Familien dort unterkommen. "Diese Menschen sollten im alltäglichen Leben aber nicht auf sich allein gestellt sein, deswegen ist eine langfristige soziale Betreuung wichtig", ergänzt Mayerbacher. Es reiche nicht, den Betroffenen ein Dach über dem Kopf zur Verfügung zu stellen.
"Die Flüchtlinge brauchen Hilfe, um Deutsch zu lernen und berufliche Perspektiven zu entwickeln", sagt auch Nina Henckel, Sprecherin der Deutschen Annington. Das Wohnungsunternehmen schließt sich gerade mit der Gagfah zusammen und wird damit zum größten privaten Vermieter in Deutschland. Die Wohnungen der Deutschen Annington kosten im Durchschnitt 5,60 Euro Miete pro Quadratmeter und verfügen über ein bis drei Zimmer, die Miete für die Flüchtlinge zahlen die Behörden. "Für uns sind sie nicht nur Mieter, sondern auch potenzielle Mitarbeiter. Insbesondere in unserer Handwerkerorganisation spüren wir den Fachkräftemangel schon", sagt Henckel.