Singapur:Wer fahren will, muss viel zahlen

Lesezeit: 4 min

Der asiatische Staat deckelt die Zahl seiner Autos und hat dafür ein besonders engmaschiges Netz von Bussen und U-Bahnen errichtet. Das funktioniert, aber viele träumen dennoch vom eigenen Fahrzeug.

Von Arne Perras, Singapur

Der Student Yue Jie hat es natürlich ausprobiert. Wie lange braucht er mit dem Auto zur Uni und wie lange mit U-Bahn und Bus? Neulich nahm er also den Wagen seiner Mutter, denn ein eigenes Auto besitzt der 24-Jährige nicht. Ob jung oder alt, sehr viele Menschen haben in Singapur kein eigenes Auto. "Wir sind daran gewöhnt", sagt Yue. "Wir kommen damit schon klar, auch wenn es manchmal ganz schön kompliziert ist. Aber alles in allem: Kein großes Ding, ohne Auto."

Eine gute halbe Stunde fuhr er also mit dem Auto seiner Mama zur Uni, gar nicht schlecht für eine Strecke von Simei nach Clementi, einmal quer über die Insel, vom Osten in den Westen der Stadt.

Mit dem öffentlichen Nahverkehr braucht Yue täglich zwischen 70 bis 90 Minuten, je nach Anschlusszeiten der Busse. Zwei bis dreimal so lange wie mit dem Auto. "Das ist ganz schön viel", dachte sich der junge Mann nach diesem Test. Und doch: "Ein Auto ist keine Alternative für mich, das kostet alles viel zu viel, Anschaffung, Zulassungskosten, Steuern, City-Maut, Parkgebühren, Instandhaltungskosten." Jedes Auto, und sei es noch so klein, ist hier eine Großinvestition, die sich jeder zweimal überlegt. Ein 1,6-Liter-Auto kostet hier dreimal so viel wie in den USA und fünfmal so viel wie in Japan. "Viele Eltern sagen ihren Kindern, wenn sie groß werden: Vergiss das mit dem eigenen Auto und investier lieber in eine Wohnung, davon hast du später mehr."

Dass Autos so teuer sind, hat natürlich System in einem Land, das nichts dem Zufall überlässt. Für den Verkehr bedeutet dies, dass das Credo des früheren Transportministers Lui Tuck Yew immer noch Gültigkeit hat: "Privates Autofahren kann nicht die Mobilitätslösung für Städte des 21. Jahrhunderts sein." Die Ironie der Geschichte: Jene, die in dieser Stadt ein Auto besitzen, stoßen auf den Straßen auf nahezu paradiesische Zustände. Denn alles fließt. Meistens jedenfalls. Und wenn es doch mal "stop and go" gibt, trommeln die Taxifahrer schon ungeduldig auf ihr Lenkrad und schimpfen, warum sie schon wieder in einem Stau stehen, der eigentlich gar keiner ist. In den Nachbarmetropolen Jakarta, Manila oder Bangkok geht es schon ganz anders zu, dort wälzt sich der Autoverkehr wie zähe urbane Lava durch die Häuserschluchten, immerzu ätzend und äußerst ungesund.

Staus? Von wegen. Die Autodichte in München ist etwa dreimal so hoch wie in Singapur. Wer da ein Auto besitzt, hat es eher bequem und stressfrei. (Foto: Nicky Loh/Bloomberg)

Auch der Singapurer Yue weiß natürlich, dass es mit der flotten Autofahrt zur Singapurer Uni schnell vorbei wäre, wenn jeder in seiner Stadt auf einmal mit dem eigenen Wagen herumdüsen würde. Die Zahl der Fahrzeuge - und das macht diese Stadt sehr besonders - ist nach oben hin gedeckelt. In den vergangenen Jahren stieg sie nur noch sehr langsam an, für 2018 soll der Zuwachs sogar auf null gedrosselt werden. Die Autodichte in München ist etwa dreimal so hoch wie in Singapur.

Wie das alles geht? Die Stellschraube hat drei Buchstaben und heißt COE. Das "Certificate of Entitlement" ist die Zulassung für ein Kraftfahrzeug - und eines der kostbarsten Papiere, die der Staat zu vergeben hat. Die COE ist für eine Laufzeit von zehn Jahren zu ersteigern, dann wird ein Wagen in der Regel verschrottet oder ins Ausland weiterverkauft, und die frei werdende COE kommt erneut auf den Markt. Die Nachfrage regelt den Preis, er schwankt manchmal mächtig hin und her, wer Glück hat, bezahlt für seine Zulassung 20 000 Euro, es können aber auch, wie noch vor wenigen Jahren üblich, um die 60 000 Euro sein. So wird jedes Auto zum kostspieligen Privileg, und das ist nicht gerade populär.

Längst nicht alle jungen Leute sind begeistert, dass sie jeden Tag U-Bahn und Bus fahren. Eine Umfrage ergab 2016, dass immerhin zwei Drittel der 18- bis 35-Jährigen in Singapur noch immer vom eigenen Auto träumen. Dennoch ist eine strikte Begrenzung des Individualverkehrs in einem Staat mit teils beschränkten Freiheiten durchsetzbar - aber auch nur, solange es praktikable Alternativen gibt.

Viele Pendler sind täglich an die zwei Stunden in Bus und U-Bahn unterwegs

In Singapur funktioniert das vor allem deshalb recht gut, weil der Staat schon sehr früh und weitsichtig vorgebaut und seine Insel konsequent mit Bus und U-Bahn vernetzt hat. Dazu kommt - und auch das ist für den Erfolg des Systems wesentlich - dass einzelne Taxifahrten für viele immer noch bezahlbar erscheinen. Kürzere Strecken kosten 2,50 Euro, für lange Touren über die 50 Kilometer breite Insel muss man etwa 25 Euro hinlegen. Fürs tägliche Pendeln auf langen Strecken taugt das Taxi damit kaum, für einzelne zwingende Erledigungen zwischendurch aber eben schon.

Die Serie "Unterwegs in die Zukunft. Leben ohne eigenes Auto" ist im SZ-Wirtschaftsteil zwischen 15. Dezember 2018 und 2. Februar 2019 erschienen. (Foto: N/A)

Im Jahre 2016 waren sechs von zehn singapurischen Haushalten bereits weniger als zehn Minuten zu Fuß von einer Bushaltestelle oder einer U-Bahn entfernt. Bis 2030 sollen es acht von zehn sein, dann will der Staat sein Schienennetz auf 360 Kilometer verdoppelt haben. Größere Laufdistanzen in den heiß-feuchten Tropen mit häufigen Stürmen und sehr viel Regen empfinden viele Bürger als unzumutbar. "Aber in Singapur gibt es doch nur sehr wenige Stellen, die man mit dem öffentlichen Verkehr gar nicht erreichen kann", sagt der Student Yue. "Deshalb haben sich viele daran gewöhnt, ohne Auto auszukommen." Ein heikles Thema bleiben dennoch die langen Fahrzeiten, die meisten Menschen sind in Singapur am Tag etwa zwei Stunden in Bus und U-Bahn unterwegs. Das bringt zwar eine gute Auslastung und ermöglicht extrem günstige Tarife, aber es ist doch auch eine lange Zeit, wie Experten einer Studie des Lee Kuan Yew Centre for Innovative Cities anmerken. Deshalb wird unter anderem daran gearbeitet, wie man Arbeitsplätze aus dem Central Business District in andere Gebiete verlagern kann, sodass tägliche Wege kürzer werden. Transportexperte Walter Theisera von der Singapore University of Social Science sagt: "Leute kaufen vor allem Autos, um Zeit zu sparen."

Am kompliziertesten ist es wohl für junge Familien. "Es ist einfach nervtötend mit kleinen Kindern im Bus oder der U-Bahn", sagt Joanne-Marie Sim, Mutter von zwei kleinen Kinder, in einem Interview mit Channel News Asia. In Stoßzeiten gelingt es manchmal gar nicht, sich noch mit dem Kinderwagen in den Zug hineinzuquetschen.

Nur: Für das Second-Hand-Auto, das sich die Familie gekauft hat, muss sie aber doch auch Opfer bringen. Die Renovierung der Wohnung ist erst einmal abgesagt.

© SZ vom 27.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: