Siemens:Seit' an Seit' mit dem Konzernchef

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Der Beschäftigungspakt bei Siemens lässt das deutsche Modell der Mitbestimmung wieder aufleben. Doch die Zusagen gehen nicht so weit, wie es auf den ersten Blick aussieht.

Martin Hesse

Nein, in deutschen Behörden muss man sich keine Sorgen machen, dass die Mitarbeiter davonlaufen und bei Siemens anheuern. Jedenfalls nicht, weil es dort neuerdings eine beamtenähnliche Arbeitsplatzsicherheit gäbe. Zwar hat Konzernchef Peter Löscher einen unbefristeten Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen ausgerufen. Doch die Zusagen gehen nicht so weit, wie es auf den ersten Blick aussieht. Und sie sind keineswegs einzigartig in Deutschland. Vielmehr holt Siemens nach, was andere Konzerne schon seit längerem praktizieren.

Der Pakt von Berlin, wo Löscher und IG-Metall-Chef Berthold Huber die Vereinbarung am Mittwoch publik machten, zeigt zweierlei: Erstens ist er ein weiterer Beleg dafür, wie akribisch und zunehmend erfolgreich der Siemens-Chef das durch die Korruptionsaffäre demolierte Image des Konzerns aufpoliert. Löscher vermarktet Siemens als grün und sozial. Zweitens - und das ist noch wichtiger - ist der Beschäftigungspakt ein Symbol für die Renaissance des deutschen Mitbestimmungsmodells.

Auch in Zukunft könnte Siemens Stellen abbauen, und, wenn es hart auf hart kommt, Mitarbeitern betriebsbedingt kündigen. Dafür öffnet die neue Vereinbarung genügend Hintertürchen. Der eigentliche Wert des Paktes liegt in seinem Geist: Arbeitnehmer sollen stärker als bisher und vor allem früher in strategische Planungen einbezogen werden. Damit erkennt Siemens an, dass es auch für den wirtschaftlichen Erfolg sinnvoll sein kann, die Sicht der Mitarbeiter einzuholen. Im Idealfall erleichtert dies außerdem eine weitsichtige Personalplanung. Die Mitarbeiter können besser qualifiziert und motiviert werden.

Was die Vereinbarungen wirklich wert sind, muss das Management aber erst beweisen. Es ist unwahrscheinlich, dass Löscher künftig mit den Gewerkschaftern diskutiert, ob man das russische Atomgeschäft ausbaut, noch einen Turbinenbauer kauft oder die siechende IT-Sparte SIS verscherbelt. Gerade der Umgang mit SIS zeigt, dass Siemens bei Problemfällen weiterhin größtmögliche Handlungsfreiheit behalten will. Das ist nachvollziehbar. Aber Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern dürfen nicht als reine Image-Programme für das Management und für Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte missbraucht werden. Bei aller Freude über Löschers Kuschelkurs mit den Arbeitnehmern: Auch unter seiner Ägide hat der Konzern Tausende Stellen abgebaut.

Die Art und Weise, wie Vorstand und IG Metall den Pakt bejubeln, macht ein wenig misstrauisch. Erklären lässt sich die neue Nähe zwischen beiden unter anderem mit den Folgen der Korruptionsaffäre. Löscher ist der Gewerkschaft dankbar, dass sie die Aufarbeitung des Skandals und den Umbau des Konzerns unterstützt hat. Für die IG Metall hatte die Affäre den schönen Nebeneffekt, dass die Konkurrenzgewerkschaft AUB bei Siemens in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist. Die IG Metall dagegen hat an Einfluss gewonnen, und es heißt auch, Huber und Löscher könnten persönlich gut miteinander. Von all dem kann die gesamte Belegschaft profitieren, und das scheint bisher auch so zu sein. Doch ein neuer Sumpf und eine neue Cliquenwirtschaft wie einst zwischen AUB und dem alten Management dürfen daraus nicht entstehen.

Siemens und andere deutsche Konzerne haben in der Wirtschaftskrise gezeigt, dass sie den Wert qualifizierter und zufriedener Mitarbeiter erkennen. Die Kurzarbeiter-Regelung hat dazu beigetragen, dass Deutschland schneller als andere Länder aus der Krise gefunden hat. Das deutsche, von Mitbestimmung geprägte Modell der Unternehmensführung ist der angelsächsischen Hire-and- fire-Mentalität überlegen. Das sollten Löscher und andere Manager nicht vergessen, wenn der nächste Abschwung kommt und sich die Beschäftigungspakte bewähren müssen.

© SZ vom 23.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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