Wenn der langjährige Siemens-Ingenieur Cornelius Baedeker heute noch einmal durch das Viertel rund um die Hofmanstraße in München-Obersendling streift, dann kommen Erinnerungen hoch. An eine Zeit, in der hier einer der weltweit wichtigsten Siemens-Standorte beheimatet war.
Als der Konzern noch stolz war auf seine Kommunikationsnetzwerke, Handys und Telefonanlagen, als Baedeker und seine Kollegen in ihren Obersendlinger Büros saßen und die Kantinen voll bis auf den letzten Platz waren. Heute gibt es hier Fitness-Studios, Container-Lager, Grünflächen - und viele leere Büros. "Das alles war nicht gerade sehr motivierend für die Menschen", sagt Baedeker heute. "Zehntausende arbeiteten hier, dann war plötzlich Schluss."
Jahrelang geht es immer nur nach vorne, und plötzlich ist Schluss - was gerade noch das ganz große Ding im großen Mischkonzern war, wird irgendwann auf einmal geschrumpft, verkauft oder geschlossen.
"Fliege ich jetzt aus meinem Team raus?"
Die Chips gingen schon vor 18 Jahren als Infineon an die Börse, der Lampenhersteller Osram gehört längst nicht mehr zu Siemens, der Autozulieferer VDO ist längst weg. Siemens, der alte Mischkonzern, funktioniert seit vielen Jahren im Grunde wie ein großes Laboratorium. Geschäfte werden groß gemacht, manchmal geht es lange gut, manchmal aber gehört man von heute auf morgen nicht mehr dazu.
Ein Blick in die jüngere Konzerngeschichte zeigt: Irgendwie ist der Konzern schon seit Jahren ein Karussell, das sich immer schneller dreht. Auslagerungen, Börsengänge, Verkäufe - dann wieder Milliarden-Zukäufe. Rein und Raus. Für viele, die in diesem Laboratorium arbeiten, dreht sich das Karussell inzwischen viel zu schnell.
"Ein Hauptthema ist die Angst", sagt der Nürnberger Diakon Kurt Reinelt, der als Betriebsseelsorger oft mit Siemens-Mitarbeitern zusammensitzt. "Es geht um Fragen wie: 'Fliege ich jetzt aus meinem Team raus?'"
Seit einigen Monaten hat Siemens-Chef Joe Kaeser das Karussell noch einmal kräftig in Schwung gebracht. Die Medizintechnik soll an die Börse, das Windturbinen-Geschäft ist jetzt Teil eines deutsch-spanischen Gemeinschaftsunternehmens, die ICEs sollen künftig zusammen mit dem französischen Alstom-Konzern gebaut werden. Viele fragen sich: Was bleibt eigentlich übrig von diesem Traditionskonzern mit seinen 350.000 Mitarbeitern? Und wie soll man mit diesem ständigen Wandel umgehen?