Siemens:Alte Rivalitäten

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Siemens-Chef Joe Kaeser weicht politischen Fragen gern aus: „Wir möchten nur Geschäfte machen.“ (Foto: Michael Dalder/Reuters)

General Electric war lange das Vorbild für den Münchner Konzern. Inzwischen liegen die Dinge anders. Aber auch Siemens hat mit einigen Problemen zu kämpfen.

Von Thomas Fromm, München

Am Ende der Pressekonferenz, als schon alles gesagt ist, steht Siemens-Chef Joe Kaeser im Saal und spricht darüber, wie es früher war. Wie man von München aus jahrzehntelang respektvoll und voller Ehrfurcht in die USA geschaut hatte, wo der Erzrivale General Electric (GE) immer besser war als man selbst. Profitabler, größer, schneller. Der Industriekoloss aus den USA war das Maß aller Dinge.

Heute ist es so: Die Industrie-Ikone von einst ist schwer angeschlagen und musste zuletzt einen Quartalsverlust von unvorstellbaren fast 23 Milliarden Dollar verdauen, die Dividende wurde auf einen symbolischen Cent pro Aktie gekappt. Siemens dagegen will die Dividende um zehn Cent auf 3,80 Euro je Aktie erhöhen. Eine US-Kollegin fragt, was bei Siemens denn anders laufe als bei GE, und Kaeser sagt: "Wir machen unser Ding, die bei GE machen ihr Ding." Bloß keine Häme, bloß kein Triumph - der Siemens-Chef bleibt bescheiden. Auch auf Nachfrage.

Was Deutsche und Amerikaner gemeinsam haben: Beide bekommen die sinkende Nachfrage in der Kraftwerkssparte voll ab. Gasturbinen werden kaum noch nachgefragt, der Trend zu erneuerbaren Energien ändert gerade die Spielregeln einer ganzen Branche. Überkapazitäten bei Gasturbinen und der Trend hin zu erneuerbaren Energien machen der gesamten Branche schwer zu schaffen - auch die Münchner müssen deshalb Tausende Stellen streichen. Der Umbau kostet allein im vierten Quartal 301 Millionen Euro. 681 Millionen Euro verdiente Siemens in den letzten drei Monaten des abgelaufenen Geschäftsjahres unterm Strich - im vergangenen Jahr waren es zu dieser Zeit noch 1,25 Milliarden Euro.

Allerdings läuft es bei Siemens - und das ist der entscheidende Unterschied zu General Electric - in vielen anderen Bereichen des Unternehmens rund. Zum Beispiel im Digital-Geschäftsfeld "Digital Factory". Der Verkauf von Industrie-Software sorgt für hohe Rendite. Dass sich ausgerechnet GE und Siemens aber jetzt als Rivalen im Irak gegenüberstehen, wo sie um einen Energie- und Elektrifizierungs-Großauftrag für die vom Krieg zerstörten Infrastrukturen werben, lässt die alte Rivalität wieder aufleben. GE darf dabei auf massive Interventionen von US-Präsident Donald Trump zählen. Ob er sich angesichts der Rolle Washingtons mehr Schützenhilfe von der Bundesregierung erhofft? Kaeser antwortet ausweichend - die Frage ist ihm zu politisch. Aber er hält fest: "Wir möchten nur Geschäfte machen. Wir schicken dort ja keine Kampfhubschrauber hin."

In einem Interview mit Bloomberg TV wird er dann doch direkter: Man habe "bemerkt, dass ungewöhnliche Kräfte" im Spiel waren. Und dies wirke sich "offensichtlich auf einheitliche Wettbewerbsbedingungen aus". Dies darf man durchaus als eine harte Kritik an der politischen Einmischung der US-Regierung verstehen. Was das Rennen im Irak für GE und Siemens so brisant macht: Beide hoffen, mit Milliardenaufträgen ihr angeschlagenes Stromgeschäft zumindest für eine Weile wieder auslasten und sanieren zu können. Kaeser hat vor Kurzem eine erste Absichtserklärung für den Auftrag in Bagdad unterzeichnet - allerdings hat auch GE ein Angebot hinterlassen. So bleibt vieles offen. Auch die Frage, wie es in Saudi-Arabien weitergeht. Eigentlich hatte der Siemens-Chef hier schon eine Reihe von interessanten Aufträgen für sich verbucht. Dann aber sagte er - im letzten Moment - seine Teilnahme an einer internationalen Investorenkonferenz in Riad ab. Grund: der Fall des im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul getöteten Journalisten Jamal Khashoggi, der international Proteste auslöste. "Bis zum letzten Tag" habe er sich mit der Frage beschäftigt: hinfahren oder nicht? Und nun? In Riad würde man nichts vergessen, sagt Kaeser. "Die merken sich das."

Kaesers Siemens Ende 2018, das ist ein Unternehmen zwischen den politischen Fronten und Diskussionen - und dazu noch mitten im Umbau. Er selbst mag den Begriff nicht, Umbau klingt zu sehr nach Krise. Aber wie soll man es sonst nennen, wenn unter anderem die Medizintechniksparte Healthineers an die Börse gebracht wird und das Zuggeschäft mit dem französischen Konkurrenten Alstom verschmolzen werden soll, wogegen die EU-Kommission allerdings Bedenken hat? Und nebenbei soll die Unternehmensstruktur auf den Kopf gestellt werden; aus fünf Industriesparten sollen drei Bereiche mit mehr Eigenständigkeit werden. Für die Mitarbeiter in der Zentrale dürfte dies Folgen haben. Mal nennt man das bei Siemens "Verschlankung", mal spricht man von "Effizienzmaßnahmen". Was es genau sein wird? Berichte, wonach die Aktion Tausende Jobs kosten dürfte, dementiert Kaeser. Spätestens im nächsten Jahr wird man mehr wissen.

© SZ vom 09.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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