Logistikmarkt:Temu und Shein - jetzt auch ein Problem für die Luftfracht

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Shein und Temu sind die wichtigsten Anbieter im Fast-Fashion-Markt. (Foto: Richard Drew/AP)

Mit Hemden und Hosen für wenige Euro, aber auch mit Haushaltswaren und Spielzeug drängen die beiden chinesischen Anbieter auf den Weltmarkt. Das ist eigentlich ein gutes Geschäft für Logistiker, doch die sehen die Entwicklung auch kritisch.

Fast fashion heißt im Branchenjargon das, was die beiden chinesischen Firmen Temu und Shein auf den Markt werfen. Mode also, die zu extrem billigen Preisen hergestellt und verkauft wird. Gedacht für Kundinnen und Kunden, die nicht viel ausgeben wollen für das, was sie im Alltag tragen. Für den schnellen Konsum, für eine Saison allenfalls, entsprechend ist häufig die Haltbarkeit der Produkte.

Die Kritik an diesem Geschäftsmodell kommt von vielen Seiten, von Umweltschützern, Verbraucherschützern, Fachleuten für Arbeitsrecht. Das, was Temu und Shein herstellen, sei das Gegenteil von nachhaltiger Produktion.

Nun werden die beiden chinesischen Hersteller, die mit ihren Produkte zunehmend auf den europäischen und US-Markt drängen, auch noch aus einer ganz anderen Richtung angegangen: aus der Frachtbranche. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert einen namentlich nicht genannten deutschen Logistik-Experten, der beklagt, dass das schnelle Wachstum von Temu und Shein zu Engpässen im weltweiten Lufttransport führt und die Frachtraten auf Rekordhöhen treibt.

Jeden Tag heben für Shein und Temu mehr als 100 Frachtmaschinen vom Typ Boeing 777 ab

"Noch Mitte 2023 war die Nachfrage aus China sehr schwach, ab Ende des Jahres stieg sie jedoch plötzlich massiv an", so der namentlich nicht genannte Experte. Zunächst sei unklar gewesen, was die Ursache für diese Entwicklung war. Doch dann habe sich herausgestellt, dass die sprunghaft gestiegenen Nachfrage nach Luftfrachtkapazität aus China alleine auf die zwei Firmen zurückzuführen sei.

"Der größte Trend, der die Luftfracht beeinflusst, ist nicht das Rote Meer, es sind chinesische E-Commerce-Firmen wie Shein und Temu", sagt auch Basile Ricard, verantwortlich für das China-Geschäft bei Bolloré Logistics, einem der größten Unternehmen in der weltweiten Logistikbranche. Die Schiffsdurchfahrt durch das Rote Meer, einer der wichtigsten Handelsrouten der Welt, ist derzeit durch die Attacken der islamistischen Hutu-Miliz stark gefährdet. Viele Reedereien nehmen lange Umwege über die Südspitze Afrikas in Kauf, um dem Risiko zu entgehen. Eine Alternative ist den Unternehmen jedoch oft versperrt: Die Umleitung vom See- auf den Luftweg ist für Unternehmen wegen der durch die Fast-Fashion-Anbieter ausgelösten Engpässe kaum möglich.

Mit Hemden und Hosen für wenige Euro, aber auch mit Haushaltswaren und Spielzeug haben sich Shein und Temu im Internet-Geschäft eine starke Stellung geschaffen. Nach Einschätzung von Marktbeobachtern beherrscht allein Shein rund ein Fünftel des weltweiten Fast-Fashion-Markts. 600 000 Pakete verschicken Shein und Temu täglich in die USA. Das geht aus einem Bericht des US-Kongresses vom Juni 2023 hervor. In Deutschland wird die Zahl der Pakete von den beiden Firmen inzwischen auf etwa 400 000 am Tag geschätzt.

Da alle Waren in wenigen Tagen direkt nach Bestellung ankommen, hat dies gravierende Folgen für die Luftfracht. Nach Daten von Branchenexperten fliegen Shein und Temu jeweils 4000 bis 5000 Tonnen Waren täglich aus. Anders ausgedrückt: Jeden Tag müssen allein dafür mehr als Hundert Frachtjets vom Typ Boeing 777 abheben. Zum Vergleich: Große Tech-Firmen wie Apple kommen allenfalls auf 1000 Tonnen am Tag.

Hemden, Toaster oder Spielzeuge, die zurückgegeben werden, werden vernichtet

Die Strategie von Shein und Temu scheint klar: Beide Firmen liefern direkt aus China und lassen die Ware bis zur Wohnungstür in Berlin, New York oder Rio de Janeiro liefern. Zwischenhändler gibt es genauso wenig wie Logistikzentren oder Lagerhäuser. Hemden, Toaster oder Spielzeuge, die zurückgegeben werden, werden vernichtet. Die Apps sind teils wie Spiele gestaltet, die zu immer neuen Käufen anregen sollen. Datenschützer halten sie für bedenklich.

Um die vergleichsweise strengen chinesischen Vorschriften bei Exporten von Elektro-Produkten zu umgehen, werden die Waren mittlerweile per Lkw nach Vietnam geschafft und dann von Hanoi ausgeflogen. Selbst Thailand sei ein Ziel gewesen, da viele Passagierflugzeuge dort noch Frachtkapazität hätten und die Luftfrachtraten entsprechend niedriger seien.

Zudem versuchten die Firmen inzwischen, selbst Flieger zu beschaffen: "Wir haben gehört, dass Temu zwölf Großtransporter sucht, um sie zu leasen. Sie suchen den Markt nach jedem Flugzeug ab, das sie bekommen können", sagt Marc Schlossberg vom Luftfracht-Transporteur Unique Logistics. Temu erklärte auf Reuters-Anfrage, man suche in den USA und Europa nach Zwischenhändlern, um Transportwege und Lieferzeit zu verkürzen. Shein hat bereits begonnen, Lagerhäuser in den USA einzusetzen.

Ein schnelles Abflauen des Fracht-Booms aus China erwarten Logistiker jedoch nicht. "Wir erwarten, dass die starke Nachfrage in den kommenden Monaten anhält", sagt ein Sprecher der Logistikfirma Schenker. Was eigentlich in der Branche für Freude sorgen sollte, wird auch kritisch gesehen. Es sei ungewiss, ob das Geschäft mit Temu und Shein dauerhaft sei, sagt der Asien-Verantwortliche eines Logistikers. Die Gefahr bestehe, dass jahrelang zuverlässige Kunden nun verdrängt würden. "Und mit Blick auf Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit ist das Geschäft mit Temu und Shein ohnehin eine Katastrophe".

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