Die Errichtung der Europäischen Währungsunion war ein Quantensprung des europäischen Integrationsprozesses. Die inzwischen mehr als 300 Millionen Einwohner des Euroraums verfügen über eine erfolgreiche, nach innen und außen stabile Währung. Die Mitgliedsstaaten können aus der gemeinsamen Währung erhebliche Vorteile ziehen, zum Beispiel sind Wechselkursschwankungen und Transaktionskosten weggefallen. Im Gegenzug müssen sich die Mitglieder an die vereinbarten Regeln und Verpflichtungen halten.
Die aktuelle Krise ist keine Krise des Euro. Es handelt sich um eine Staatsschuldenkrise einzelner, kleinerer Länder im Euroraum, die nicht zuletzt durch die Missachtung der Regeln entstanden ist. Als bislang schwerste Bewährungsprobe bringt sie die Währungsunion an einen Scheideweg. Die Lösung der Krise erfordert Flexibilität und Anpassungen am Rahmenwerk, um vergangenen Fehleinschätzungen sowie neuen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Das Löschen akuter Krisenherde darf keinesfalls die ordnungspolitischen Fundamente der Währungsunion unterspülen.
Einzelnen Mitgliedsstaaten wird derzeit solidarisch Hilfe in Milliardenhöhe gewährt, um den Anpassungsprozess, der angesichts der erheblichen finanzpolitischen Schieflagen und gesamtwirtschaftlichen Reformnotwendigkeiten unumgänglich ist, über mehrere Jahre zu strecken und damit für die Bevölkerung weniger einschneidend zu machen. Gleichzeitig sind diese Staaten aber gefordert, die notwendigen Reformen und Konsolidierungsschritte durchzuführen.
Solidarität ist keine Einbahnstraße, sondern beruht auf Gegenseitigkeit. Würde sich ein Land entscheiden, die mit den Hilfen verbundenen Verpflichtungen nicht zu erfüllen, so entfiele die Basis für Hilfen. Das Land müsste dann eine deutlich abruptere Anpassung bewältigen. Das Prinzip der nationalen Eigenverantwortung legt eine derart gravierende Entscheidung letztlich in die Hände der dort politisch Verantwortlichen. Doch würden auch die anderen Mitgliedsstaaten erhebliche Unsicherheit, Risiken und zusätzlichen Stabilisierungskosten zu tragen haben. Der Euro würde aber auch diese, keinesfalls wünschenswerte Belastungsprobe überstehen.
Die Schuldenkrise hat die unabhängige Geldpolitik spürbar strapaziert
Die Europäische Währungsunion ist eine Gemeinschaft eigenverantwortlicher Staaten. Ihre Mitglieder haben der Geldpolitik politische Unabhängigkeit eingeräumt, ihr aber per Gesetz die Gewährleistung von Geldwertstabilität als vorrangiges Ziel vorgeschrieben. Abgesichert ist diese Unabhängigkeit unter anderem durch Fiskalregeln zur Begrenzung der Staatsschulden und das Verbot der Finanzierung der Staatsschulden mit der Notenpresse, der "Monetisierung von Staatsschulden". Zudem wurde ein Haftungsausschluss der Mitgliedsländer festgeschrieben. Im Gegensatz zu einer rein nationalen Geldpolitik wie beispielsweise in den USA kann nämlich die gemeinsame Geldpolitik in einer Währungsunion zu einer Umverteilung von Lasten und Risiken zwischen den Steuerzahlern der einzelnen Mitgliedsstaaten führen. Die in der EWU verankerte Trennung der Aufgaben verbietet es allerdings, die Geldpolitik hierzu zu nutzen, und behält dies vielmehr - wenn überhaupt - der Fiskalpolitik und den demokratisch gewählten nationalen Parlamenten vor.
Die Staatsschuldenkrise und die Gegenmaßnahmen von Geld- und Finanzpolitik haben dieses Rahmenwerk der Währungsunion spürbar strapaziert. Die Geldpolitik hat im Frühjahr 2010 zahlreiche konventionelle und unkonventionelle Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsystems ergriffen. Die Notenbanken haben dabei beträchtliche Risiken übernommen. Als kurzfristige, zeitlich begrenzte Abwehr einer akuten Krise mag dies vertretbar gewesen sein. Doch haben diese Maßnahmen das geldpolitische Mandat stark gedehnt und die Grenzen zwischen der Verantwortung der Geldpolitik auf der einen Seite und der Finanzpolitik auf der anderen Seite verwischt.
Werden der Geldpolitik zusätzliche Aufgaben und finanzielle Risiken dauerhaft zugeschoben, kann dies ihren Auftrag, nämlich Geldwertstabilität zu gewährleisten, gefährden. Für die Geldpolitik gilt es jetzt, die übernommenen Risiken zurückzuführen und keinesfalls weiter auszuweiten, um nicht einen Verlust an Glaubwürdigkeit zu riskieren. Entscheidungen über weitere Risikoübernahmen müssen nun dort getroffen werden, wo sie hingehören, nämlich in den Regierungen und Parlamenten, die hierfür demokratisch legitimiert sind.
Griechenland ist hinter dem vereinbarten Programm zurückgeblieben
Was bedeutet dies in der konkreten Situation? Im Mai 2010 wurde ein umfangreiches Rettungspaket für Griechenland geschnürt, um eine Gefährdung der Finanzstabilität im Euro-Raum als Ganzes abzuwenden. Die Gewährleistung der Solvenz Griechenlands war zu diesem Zeitpunkt und ist auch heute mittels eines mehrjährigen konsequenten Konsolidierungs- und Reformkurses auch ohne einen Schuldenschnitt erreichbar. Die übrigen Mitgliedsländer und der IWF haben die Finanzhilfen unter diesen Prämissen und unter strikter Konditionalität gewährt. Griechenland verpflichtete sich zur Umsetzung eines fortlaufend überwachten Anpassungsprogramms und dazu, bei Abweichungen nachzusteuern, um die Einhaltung sicherzustellen.
Ein Jahr nach Programmbeginn steht fest, dass Griechenland zwar erhebliche Anstrengungen unternommen hat, gleichwohl aber hinter dem vereinbarten Programm zurückgeblieben ist, und dass beträchtlich nachgesteuert werden muss. Die ursprünglich für das Jahr 2012 angestrebte Rückkehr Griechenlands an den Kapitalmarkt dürfte ausgeschlossen sein.
Anleger und Beobachter ziehen zudem offensichtlich zunehmend in Zweifel, dass es in Griechenland gelingt, einen politischen Konsens herzustellen, um die Bedingungen für die Hilfsleistungen zu erfüllen und damit die Solvenz des Landes abzusichern. Vor diesem Hintergrund wird derzeit darüber entschieden, ob und unter welchen Bedingungen weitere Hilfen an Griechenland ausgezahlt werden sollen. Neben zusätzlichen Konsolidierungsmaßnahmen und verstärkten Privatisierungen wird vorgeschlagen, private Gläubiger maßgeblich zu beteiligen. Konkret wird eine Verlängerung der Laufzeit bereits umlaufender griechischer Staatsanleihen um mehrere Jahre diskutiert. Hierdurch soll insbesondere die Finanzierungslücke in den kommenden Jahren und damit der Umfang und das Risiko eines neuen, umfassenderen Hilfsprogramms gesenkt werden.
Ein Schuldenschnitt ist keine attraktive Alternative zu Reformen
Eine Bewertung dieser Vorschläge aus Sicht der Geldpolitik hat den vorgenannten Prinzipien zu genügen. Demnach sind die Risiken des Eurosystems aus der Bewältigung der Staatsschuldenkrise zurückzuführen und die Verantwortlichkeiten von Geldpolitik und Finanzpolitik wieder angemessen zu adjustieren. Unter Beachtung dieser Anforderungen gilt: Grundsätzlich ist die Beteiligung privater Gläubiger sinnvoll und richtig. Ganz allgemein, um Anleger nicht aus der Verantwortung für ihre Anlageentscheidung zu entlassen, ferner im konkreten Fall, um die Risiken für die Steuerzahler zu verringern sowie die fiskalische Tragfähigkeit Griechenlands zu verbessern.
Auf keinen Fall darf eine Schuldenrestrukturierung den Druck, die notwendigen Anpassungen durchzuführen, von Griechenland nehmen oder gar als attraktivere Alternative zu Reformen erscheinen. Ganz in diesem Sinne hat auch die Bundesbank für die künftige Krisenlösung ab 2013 vorgeschlagen, in den Anleihebedingungen von Staatsschuldtiteln eine automatisierte, vorab feststehende Laufzeitverlängerung zu verankern. Dies hätte zahlreiche Vorteile. So würde durch diese Laufzeitverlängerung kein Insolvenzereignis ausgelöst, und sie würde noch vor Auszahlung der ersten staatlichen Hilfen einsetzen, die so von Beginn an geringer ausfallen könnten.
In der aktuellen Debatte geht es allerdings darum, bereits etablierte Beziehungen zwischen Schuldnern und Gläubigern zu verändern. Hier gilt: Gegen eine freiwillige Laufzeitverlängerung ist nichts einzuwenden. Allerdings ist offen, wie hoch die Bereitschaft der privaten Anleger hierzu tatsächlich ist. Bei einer den Gläubigern aufgezwungenen Laufzeitverlängerung sind hingegen die Risiken wesentlich größer als die Chancen. So würde wohl ein Kreditereignis ausgelöst, was mit erheblichen Risiken für die Finanzmarktstabilität verbunden wäre. Die notleidend gewordenen Staatsanleihen entsprächen nicht mehr den Sicherheitenanforderungen der Notenbank. Zudem steht zu befürchten, dass die Anleger dann auch die Risiken der Anleihen anderer Länder höher einschätzen würden - was wiederum Finanzierungsschwierigkeiten dieser Länder und in der Folge erhebliche Turbulenzen auslösen könnte. Diesen Risiken, die unvermeidbar wären, wenn Griechenland von sich aus beschließen würde, seinen Verpflichtungen nicht mehr nachzukommen, stehen nur begrenzte positive Effekte gegenüber. Denn weil schon umfangreiche staatliche Hilfen geleistet wurden, sind die Bestände an griechischen Staatsanleihen im privaten Besitz - mit Ausnahme der griechischen Banken - längst nicht mehr so hoch wie oft vermutet. Daher wäre die faktische Kostenbeteiligung des privaten Sektors wohl begrenzt. Zudem würde die Solvenz Griechenlands, der Dreh- und Angelpunkt für den Erfolg der Hilfsmaßnahmen, durch eine erzwungene Laufzeitverlängerung kaum verbessert.
Eine erfolgreiche Konsolidierung in Griechenland ist möglich
Für die Geldpolitik ist wesentlich, dass keine weiteren Lasten oder Risiken auf das Eurosystem verschoben werden. Die Politik kann nicht davon ausgehen, dass die Notenbanken des Eurosystems auch für die Anleihen in ihrem Bestand einer Laufzeitverlängerung zustimmen oder im Rahmen der Refinanzierungsgeschäfte Anleihen von als insolvent bewerteten Staaten als Pfand akzeptieren. Ein weiteres Problem einer Laufzeitverlängerung in der konkreten Situation liegt darin, dass sie die Solvenz und Liquidität griechischer Banken deutlich verschlechtert.
In der Folge dürfte sich das Eurosystem mit einem zunehmenden Refinanzierungsbedarf bei verschlechterter Sicherheitenlage konfrontiert sehen. Deshalb muss sich die Finanzpolitik bewusst sein, dass zu einem umfassenden Hilfsprogramm für Griechenland auch gehört, ausreichende Mittel für eine Absicherung des Bankensystems bereitzustellen. Sonst droht die angesichts einer Ausnahmesituation in Kauf genommene, befristete Verwischung der Grenzen zwischen Geld- und Finanzpolitik zu einer zunehmenden und andauernden Vereinnahmung der Geldpolitik auszuweiten. Abgesehen davon werden die Risiken durch eine mandatswidrige Verschiebung auf das Eurosystem nicht aus der Welt geschafft, sondern allenfalls verdeckt - und treffen letztlich doch wieder den Steuerzahler.
Über den Erfolg des Anpassungsprogramms wird letztlich in Griechenland entschieden werden. Ich halte eine erfolgreiche Konsolidierung und Reform im Rahmen eines Hilfsprogramms weiter für möglich und erkenne die Anstrengungen der Regierung ausdrücklich an. Auch bin ich mir sehr bewusst, welch große Lasten dies den griechischen Bürgerinnen und Bürgern aufbürdet. Auch ist ein langer Atem erforderlich, um die tiefsitzenden Ursachen der Probleme, darunter nicht zuletzt der Mangel an wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit, zu beseitigen. Doch ich bin der festen Überzeugung, dass kein anderer Weg als der eines umfassenden Reformprogramms die strukturellen Probleme nachhaltig lösen wird und dass dies deshalb im ureigensten griechischen Interesse liegt.
Vor diesem Hintergrund ist es das Vorrecht und die Pflicht der Finanzpolitik und der nationalen Parlamente zu entscheiden, ob sie weitere, finanzielle Mittel für eine Fortsetzung des Hilfsprogramms bereitstellen. Falls ja, müssen die Mittel auch für die Stützung des griechischen Bankensektors ausreichen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass selbst für den Fall einer Beendigung der Hilfen für Griechenland weitere beträchtliche Mittel notwendig würden, um die Konsequenzen einer solchen Entscheidung, zum Beispiel die Ansteckungseffekte auf weitere Länder des Währungsraums, für die Gemeinschaft abzufedern.
Perspektivisch ist die Stärkung des bestehenden Rahmenwerks erforderlich. Eine solche ist in den jüngsten Beschlüssen zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts, zur makroökonomischen Überwachung und zur Einführung eines Krisenmechanismus immerhin der Stoßrichtung nach angelegt. Für die erfolgreiche Zukunft der Währungsunion unabdingbar ist, dass die Politik sowohl bei diesen noch anstehenden Reformen als auch bei der akuten Krisenbewältigung die Anreize für solide Staatsfinanzen und für eigenverantwortliche Anlageentscheidungen der Investoren nicht schwächt, sondern stärkt.
Daran mit allem Nachdruck zu erinnern, ist die Aufgabe gerade auch der Notenbanken wie der Bundesbank. Ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit sind ihr wertvollstes Kapital. Die Währungsunion wird die Bewährungsprobe der Staatsschuldenkrise bestehen, wenn dieses Kapital nicht aufs Spiel gesetzt wird.