Schmiergeldskandal erreicht Konzernspitze:Ex-Vorstand von Siemens verhaftet

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Die Schmiergeldaffäre bei Siemens hat die Konzernspitze erreicht. Der frühere Zentralvorstand Thomas Ganswindt wurde nach Angaben der Münchner Staatsanwaltschaft verhaftet.

Markus Balser, Klaus Ott und Hans Leyendecker

Zugleich gestand Siemens erstmals öffentlich jahrelange Korruption im Konzern ein.

"Immer wieder auf den Namen gestoßen": Ex-Top-Manager Ganswindt (Foto: Foto: dpa)

Ganswindt gehörte dem Siemens-Vorstand seit Ende 2002 an und war im Oktober 2004 sogar in den engsten Führungskreis, den Zentralvorstand, berufen worden. Dort war er unter anderem für die Sparte Telekommunikation (Com) zuständig.

Alle Transaktionen gingen durch die Bücher

In diesem Geschäftsbereich war nach den bisherigen Ermittlungen ein System schwarzer Kassen eingerichtet worden. Im September hatte er den Konzern verlassen. Die genauen Vorwürfe und der Grund der Verhaftung wurden zunächst nicht bekannt. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll Ganswindt in der Justizvollzugsanstalt Landsberg in Untersuchungshaft sitzen.

Bei den Vernehmungen der Beschuldigten waren die Ermittler bislang immer wieder auf den Namen Ganswindt gestoßen. Der habe "auf jeden Fall" von den Geldverschiebungen gewusst, soll der ehemalige Siemens-Manager Reinhard S. am 15. November den Fahndern gesagt haben. Er sei Anfang 2004 "mindestens einmal" zu Ganswindt gegangen und habe ihm geraten, die sogenannten Provisionszahlungen "massiv zu reduzieren", da strafrechtliche Probleme drohten.

Ganswindt habe sich erklären lassen, welche Summen in welche Länder transferiert würden. Ebenfalls belastet wurde Ganswindt von einem ehemaligen Bereichsvorstand der Com-Sparte. Der Top-Manager, der seit Ende vergangener Woche vernommen wird, soll behauptet haben, dass Ganswindt das System geduldet habe.

Vor Bekanntwerden der Verhaftung Ganswindts räumte die Konzernspitze von Siemens am Dienstag ein, dass die Affäre finanziell größere Ausmaße hat als bislang angenommen. Siemens stuft inzwischen Zahlungen von 420 Millionen Euro als zweifelhaft ein.

In den vergangenen drei Wochen habe eine Arbeitsgruppe im Konzern die Geschäftsberichte der Jahre 1999 bis 2006 durchforstet, sagte Vorstandschef Klaus Kleinfeld beim ersten Treffen der Konzernspitze mit Journalisten seit Bekanntwerden der Vorwürfe. Dabei seien fragwürdige Zahlungen von beinahe einer halben Milliarde Euro festgestellt worden. Meist gehe es um zweifelhafte Beraterverträge, sagte Finanzchef Joe Kaeser.

Immense Steuernachzahlungen

Alle Transaktionen seien durch die Bücher gegangen und von Mitarbeitern abgezeichnet worden. Die Staatsanwaltschaft hatte den Schaden für Siemens bisher auf 200 Millionen Euro beziffert. Wegen voraussichtlich fälliger Steuernachzahlungen muss der Konzern den Gewinn in den Büchern nachträglich um zunächst 168 Millionen Euro korrigieren. Der Gesamtschaden ist aber noch nicht absehbar: "Weitere Belastungen zum Beispiel durch Strafen oder Schadenersatzforderungen könnten auf Siemens zukommen", sagte Finanzchef Kaeser.

Die Siemens-Führung erklärte erstmals öffentlich, dass es jahrelang Korruption gegeben hat. Sie machte dafür einige Beschäftigte verantwortlich. Die Konzernspitze wolle "diesem Spuk ein Ende zu machen", sagte Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer. "Eine Gruppe von Mitarbeitern hat sich zusammengeschlossen, um alle Sicherungen außer Kraft zu setzen." In der Com-Sparte hätten sich der kaufmännische Leiter, der Vertriebschef, der Leiter des Rechnungswesens und der Leiter der Revision "ihre Posten zunutze gemacht". Das interne Kontrollsystem habe hier trotz der Verschärfung im Jahr 2001 nicht gewirkt.

Pierers Interessenkonflikt

Pierer, zur Zeit des Aufbaus schwarzer Kassen Siemens-Vorstandschef, sagte, er sehe keinen Grund für einen Rückzug aus dem Aufsichtsrat: "Wenn man jedes Mal eine politische Verantwortung konstruieren würde, hätten wir alle paar Monate einen neuen Vorstand." Ein Konzernchef beschäftige sich zu Recht nicht mit einzelnen Buchungen. Von einem System schwarzer Kassen habe er erst mit der Razzia im November erfahren. Gründe für persönliche Konsequenzen erkenne er nicht. Er halte es für seine Aufgabe, die Aufklärung voranzutreiben.

Aktionärsschützer warnten dagegen vor Problemen: Pierer habe einen Interessenskonflikt, der schwer zu überwinden sei, sagte Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.

© SZ vom 12.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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