RWE-Chef Großmann:"Mittelfristig werden die Strompreise steigen"

Lesezeit: 5 min

RWE-Chef Jürgen Großmann über die Renaissance der Atomkraft, erneuerbare Energien und die Wirtschaftskrise.

Marc Beise

Jürgen Großmann, 56, übernahm im Oktober 2007 die Führung des zweitgrößten deutschen Energiekonzerns RWE. Der Unternehmer rettete Anfang der 90er Jahre die Stahlfirma Georgsmarienhütte und ist dort bis heute Gesellschafter. Großmann sieht nach wie vor Chancen für die Atomkraft auch in Deutschland.

RWE-Chef Jürgen Großmann fordert längere Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke. (Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Großmann, durch den Schwenk Schwedens in der Atompolitik bekommt die Debatte eine neue Dynamik. Planen Sie jetzt neue Kernkraftwerke in Deutschland?

Großmann: Ich begrüße den schwedischen Realitätssinn. Aber wir würden Deutschland überfordern, wenn wir jetzt gleich an Neubauten denken. Es wäre schon viel erreicht, wenn wir den Umfang der Stromerzeugung durch Kernkraft halten könnten.

SZ: Ein Drittel des Stroms kommt aus der Kernkraft. Bleibt das so?

Großmann: Nur, wenn die Laufzeiten der bestehenden Kraftwerke verlängert werden. Das ist unsere dringende Forderung.

SZ: Mehr nicht?

Großmann: In der Energiepolitik lernt man, in längeren Zeiträumen zu denken. Erst mal die Verlängerung der Laufzeiten, dann sehen wir weiter.

SZ: Was heißt das: weitersehen?

Großmann: Mittelfristig brauchen wir einen nationalen Energieplan, in dem den verschiedenen Energieträgern dauerhaft eine klar definierte Rolle zugewiesen wird. Da muss auch die Kernkraft ihren Platz haben, anders wird das nicht gehen. Die wohlmeinende Idee, nur mit alternativen Energien einen Industriestandort wie Deutschland am Laufen zu halten, ist abwegig.

SZ: Da gibt es aber auch andere Positionen...

Großmann: Aber die sind realitätsfremd. Bei den heutigen technischen Gegebenheiten gibt es eine natürliche Grenze bei den erneuerbaren Energien. Davon sind wir bei der Umsetzung der derzeitigen Investitionsvorhaben nicht mehr weit entfernt. Wenn es heißt, die Erneuerbaren sollen 35 Prozent des Energiebedarfs bis 2030 decken, dann setzt das voraus, dass es zusätzliche Stromleitungen in erheblichem Umfang und auch Stromspeicher einer neuen Dimension gibt. Wir brauchen dann ganz andere Möglichkeiten zur Bevorratung von Elektrizität. Die sehe ich derzeit nicht.

SZ: Das klingt sehr selbstgerecht.

Großmann: Soll es gar nicht. Die Energiewirtschaft hat bei den erneuerbaren Energien sicherlich manches versäumt und oft nur an Großkraftwerken gehangen, einerseits. Aber jetzt holen wir mit Hochdruck auf. Andererseits führt eine übermäßige Fortschrittsgläubigkeit dazu, dass man Technologien aufgibt, die sich bewährt haben, noch bevor die neuen verlässlich tragen können. Viele Leute vergessen zum Beispiel, dass die Versorgungspflicht der großen Energieversorger durch die Liberalisierungsgesetze beendet ist.

SZ: Was wollen Sie damit sagen?

Großmann: Wenn wir in Deutschland einen Versorgungsengpass bekommen, ist die Aufregung groß. Aber kein Verbraucher kann mehr sagen: Du, lieber Versorger, bist für die Liefersicherheit in meiner Region allein verantwortlich, also liefere mir den Strom. Nehmen Sie den aktuellen Winter. Der Januar war eiskalt, es gab wenig Wind. Von den Windrädern mit ihrer Gesamtkapazität von 23.000 Megawatt waren teilweise weniger als 800 Megawatt am Netz. Die Erkenntnis daraus: Entweder wir schaffen uns mit dem weiteren schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien zusätzliche Versorgungsrisiken, oder wir behalten das im Blick. Noch liegen wir mit unseren Ausfallzeiten zugegebenermaßen noch besser als andere, ebenfalls hoch entwickelte Staaten. Aber das muss man dann auch halten wollen. Wissen Sie, was mich wirklich aufregt?

SZ: Nein, was?

Großmann: Dass wir immer Freund-Feind-Diskussionen haben. Es gibt mehr Ideologie als Fakten. Wenn einer Fakten aufzeigt, kommen Ideologen - wie aus Sigmar Gabriels Umweltministerium - und sagen: Das darf so nicht sein. Wie bei der aktuellen Debatte zu Schweden und der Kernenergie. Hier verbittet sich der schwedische Umweltminister mittlerweile zu Recht die interpretierende Einmischung der deutschen Umweltpolitiker. Bei aller Liebe zu den Erneuerbaren - RWE macht auf diesem Feld nachweislich viel: Ich glaube einfach nicht daran, dass man die Versorgung allein mit erneuerbaren Energien stabil halten kann. Kernkraftwerke dürfen die deutschen Versorger hierzulande nicht bauen. Bei Gas machen wir uns immer weiter von Angeboten eines einzigen Anbieters abhängig, und der Abbau von Braunkohle wird durch die neuen CO2-Bestimmungen bestraft.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum die Strompreise langfristig steigen werden - und wie Deutschland durch die Krise kommt.

SZ: Was bedeutet das für Sie als Konzernchef?

Großmann: Ich prüfe ganz nüchtern: Wo sind die Rahmenbedingungen, die uns Investitionen ermöglichen? In Deutschland sind sie derzeit nicht gegeben. Den Großen wie RWE und Eon wird ein weiteres Wachstum hierzulande schon kartellrechtlich unmöglich gemacht. Wenn wir vor 20 Jahren ähnliche Bedingungen in der Stahlindustrie gehabt hätten, wäre die Fusion von Thyssen und Krupp unmöglich gewesen.

SZ: Geht es noch konkreter?

Großmann: Wenn ich ein Kohlekraftwerk an der Oder bauen lassen will und die Wahl habe, auf welcher Seite des Flusses, gehe ich bis 2020 nach den jetzt gültigen Rahmenbedingungen ganz sicher nach Polen. Wir bauen ja auch neue Kernkraftwerke - zum Beispiel in England. Das setzt viele Milliarden Euro an Investitionen, Beschäftigung und Wertschöpfung frei - aber eben nicht in Deutschland. Es wird in diesen Tagen viel über Konjunkturprogramme geredet. Das Investitionsprogramm allein von RWE beträgt 32 Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren. Das ist ein Konjunkturprogramm ohne negative Haushaltswirkung. Und Ähnliches gibt es auch in anderen Branchen.

SZ: Immerhin sinken derzeit die Strompreise.

Großmann: Kurzfristig ja, aber mittel- und langfristig werden sie steigen. Vor allem, weil viele andere Energieunternehmen jetzt ihre Investitionen zurücknehmen. Zudem führen aktuelle politische Eingriffe zu weiteren Strompreissteigerungen. Das Ventil, das alle anderen wichtigen Staaten der Welt nutzen, nämlich die Kernkraft, ist uns in Deutschland verbaut.

SZ: Zurück zum Konzern. RWE plant laut Berichten eine weitreichende Umstrukturierung. Was haben Sie vor - und warum?

Großmann: Nach wie vor gilt, dass RWE noch unternehmerischer und schlanker werden muss. Wir haben in den zurückliegenden Monaten bereits wichtige Etappen auf diesem Weg zurückgelegt. Und wir arbeiten konsequent daran, nicht wertschöpfende Strukturen ab- und wachstumsorientierte Geschäftsfelder auszubauen. Hier bewegt sich was, und zwar in die richtige Richtung.

SZ: In Deutschland wächst die Angst davor, dass die Wirtschaftskrise immer heftiger wird. Was erwarten Sie?

Großmann: Wir haben eine Krise, ja - aber die Welt geht nicht unter. Mir ist zu viel Katastrophenlyrik im Spiel.

SZ: Mit welchen Konsequenzen?

Großmann: Die konnte man zum Beispiel kürzlich in Davos beim Weltwirtschaftsforum begutachten. Davos war immer stark von Bankern und Finanzleuten dominiert. Jetzt war kaum noch einer von ihnen zu sehen.

SZ: Und das war gut so?

Großmann: Wer wie ich seit fast 20 Jahren in Davos dabei ist, hat viele Moden kommen und gehen sehen. Ich stelle einfach fest, dass die Dominanz der Finanzinvestoren auch in Davos vorbei ist. Ebenso wie zuvor der "Hype" um die digitale Wirtschaft. Ja, im Grunde ist das gut so. Am Ende leben die Menschen doch von den realen Produkten. Es tut gut, sich wieder auf die Basics zu besinnen.

SZ: Und was heißt das für Deutschland?

Großmann: Eines steht jedenfalls fest: Es lohnt nicht, auf Hilfe zu warten. Wir werden keine externe Lokomotive finden, die uns aus der Patsche zieht. Also müssen wir die Lokomotive selbst bauen.

SZ: Wie geht das?

Großmann: Da gibt es wunderbare Ansätze in den Konjunkturpaketen. Die Abwrackprämie ist vielleicht das beste, was wir uns bisher ausgedacht haben. Was stört Sie an der Abwrackprämie?

SZ: Oh, da gibt es eine Menge Kritik: von Mitnahmeeffekten bis zur Unterstützung ausländischer Anbieter.

Großmann: Stimulanz ist Stimulanz. Und sie funktioniert. Und auch wir profitieren vom Binnenmarkt und sollten nicht in den Protektionismus zurückfallen.

SZ: Stimulanz fehlt dagegen nach vielen Berichten zwischen den Unternehmen und ihren Banken. Die Firmen kriegen einfach keine Kredite mehr, klagen viele.

Großmann: Ich kann das nicht bestätigen. RWE ist blendend versorgt mit Kreditlinien. Wir haben keinen Grund zu klagen. Und das höre ich, um Ihre nächste Frage gleich vorwegzunehmen, auch von Mittelständlern meiner alten Branche - von der extrem solide finanzierten Georgsmarienhütte ganz zu schweigen.

© SZ vom 11.02.2009/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: