Rentenversicherung:Pflicht zum Einzahlen

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Wer über ein Versorgungswerk für den Ruhestand vorsorgt (so wie Ärzte), muss nicht Mitglied in der gesetzlichen Versicherung werden. (Foto: Carsten Koall/Getty Images)

Selbständige, die im Alter von Armut bedroht sind, sollen mehr vorsorgen. Da sind sich Union und SPD einig. Die Details sind aber umstritten. Experten wollen die Wahl - privat oder gesetzlich - den Freiberuflern überlassen.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Taxifahrer, Kioskbetreiber oder Webdesigner - sie gehören zu den Leuten, die viel arbeiten und dabei oft nicht für den Ruhestand vorsorgen. Dies gilt besonders für Solo-Selbständige, die keinen Arbeitnehmer beschäftigen. 2,6 Millionen von diesen Freiberuflern gibt es, eine Million mehr als 1991 nach der Deutschen Einheit. Aber nur jeder Vierte von ihnen verdient nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) nicht einmal den früheren Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde. Auch deshalb sieht es bei ihrer Altersvorsorge oft düster aus.

Schon ein Drittel aller 4,3 Millionen Selbständigen in Deutschland hat so geringe Einnahmen, dass sie es nicht schaffen, aus den laufenden Einnahmen etwas zu sparen. Bei den Solo-Selbständigen sind dies sogar 40 Prozent. Insgesamt dürfte etwa die Hälfte aller Selbständigen keine regelmäßigen Beiträge für das Alter zurücklegen. So steht es in einem Forschungsbericht, den das Bundesarbeitsministerium auf seiner Homepage veröffentlicht hat.

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Die Autoren Ulrich Preis und Felipe Temming vom Institut für deutsches und europäisches Sozialrecht der Uni Köln warnen darin sogar: Im Extremfall könnten "80 Prozent oder damit ca. 2,86 Millionen Selbständige nicht in angemessener Weise für ihr Alter vorsorgen oder vorgesorgt haben". Sie seien von Altersarmut bedroht. Dem dürfe der Staat aber "nicht länger tatenlos zusehen". Was also tun?

Die beiden Experten befeuern die Debatte um eine Vorsorgepflicht für Selbständige mit einem neuen Vorschlag: Sie sprechen sich dafür aus, alle bislang nicht ausreichend abgesicherten Selbständigen zu verpflichten, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Von dieser Pflicht können sie sich aber befreien, wenn sie stattdessen eine private, steuerlich begünstigte Rürup-Rente abschließen. Diese nach dem früheren Regierungsberater Bert Rürup genannte Zusatzrente wurde für Selbständige als Pendant zur ebenfalls staatlich geförderten Riester-Rente für Arbeitnehmer eingeführt. Selbständige sollen auch dann nicht Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung werden müssen, wenn sie über ein anderes System für den Ruhestand vorgesorgt haben. Dies gilt etwa für Architekten, Ärzte, Zahnärzte, oder Rechtsanwälte, die ihre eigenen Versorgungswerke haben. Außerdem wollen die beiden Experten auch diejenigen von der Rentenversicherungspflicht befreien, die bereits Beiträge in die Rentenkasse bezahlt haben - unter einer Voraussetzung: Die erworbenen Rentenansprüche müssten mindestens der Höhe der staatlichen Grundsicherung im Alter "zuzüglich eines gewissen Sicherheitspuffers" entsprechen. Diese Grundsicherung, sozusagen das Hartz IV für Rentner, belief sich laut Statistischem Bundesamt Ende 2016 auf im Schnitt 786 Euro monatlich.

Garniert wird dieser Vorschlag mit einer kühnen Idee: "Bei Solo-Selbständigen mit einem Auftraggeber sind die Beiträge nicht nur von ihnen alleine, sondern von ihnen und ihrem Auftraggeber je zur Hälfte zu tragen", heißt es in dem Forschungsbericht. Dabei ließe sich zum Beispiel "anordnen, dass die Selbständigen den Auftraggeberanteil grundsätzlich selbst einzuziehen haben". Sie müssten dann diesen Beitrag "als Rechnungsposten auf den Endbetrag ihrer Dienstleistung aufschlagen". Dies durchzusetzen, dürfte allerdings schwierig werden.

Gründer sollen sich im ersten Jahr von den Beiträgen befreien lassen können

Das Bundesarbeitsministerium wies darauf hin, dass das vorgelegte Konzept "lediglich einen Vorschlag von vielen" darstelle. Zugleich erinnerte das Ministerium daran, dass die Ideen von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zum Teil in eine andere Richtung gehen. Nach ihren Vorstellungen sollen Selbständige nicht dauerhaft wählen können, ob sie sich gesetzlich oder privat für das Alter absichern. Damit will sie "gespaltene Alterssicherungen in verschiedenen Systemen und eine mögliche negative Risikoselektion zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung" verhindern.

Ausnahmen hat jedoch auch Nahles vorgesehen: Wer bereits mindestens 40 ist, wird von der Rentenversicherungspflicht nicht erfasst. Gründer können sich im ersten Jahr von den Beiträgen befreien lassen. Läuft das Geschäft schlecht, lässt sich der Beitrag reduzieren. Um die Gesamtbelastung für Selbständige in Grenzen zu halten, schlägt sie außerdem vor, den Mindestbeitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung für diese Gruppe abzusenken.

Auch die Union ist für eine Vorsorgepflicht, will den Selbständigen aber selbst überlassen, wie sie fürs Alter vorsorgen. So oder so, es ist sehr wahrscheinlich, dass die nächste Bundesregierung hier eingreifen wird. Auch die frühere Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte dies schon versucht, löste damit aber bei Selbständigen einen Proteststurm aus.

© SZ vom 17.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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