Reden wir über Geld: Gepa-Chef Thomas Speck:"Wir sind die Eisbrecher"

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Thomas Speck hat die Gepa zum Marktführer für fairen Handel in Europa geformt. Der 58-Jährige äußert sich über Sparsamkeit im Alltag, seine Studentenzeit in einer Kommune und über die Schneisen, die er schlägt.

Caspar Dohmen und Alina Fichter

Thomas Speck, 58, trägt zur Jeans ein leicht ausgebeultes Sakko mit Streifen, am Handgelenk einen Silberarmreif mit eingeritzten Wellen. Während er spricht, wandert seine Hand immer wieder zur Schüssel vor ihm, in der immer weniger Cashewkerne aus Honduras liegen. Seit 1993 führt Speck die Gepa, die sich selbst als Europas größte Fair-Handels-Organisation bezeichnet; ihre Zentrale liegt in Wuppertal- Vohwinkel. In den vergangenen zehn Jahren stieg der Umsatz der Gepa von 29 auf 52,3 Millionen Euro. Zeit für ein Gespräch.

Thomas Speck: "Entscheidend ist für mich, dass wir Avantgarde bleiben." (Foto: Bischof & Broel)

SZ: Herr Speck, reden wir über Geld. Und Ihren Job bei der Gepa. Sie fingen 1990 als kaufmännischer Leiter dort an und wurden bereits drei Jahre später Chef. Wie ging das so schnell?

Speck: Die Gepa steckte in einer Krise. Die Eigentümer suchten einen, der den Laden sanierte. Und ich kannte mich in den Bereichen aus, die zuvor vernachlässigt worden waren. EDV, Finanzen, solche Dinge. Jedem war klar: Wenn wir nicht grundsätzlich etwas ändern, gibt es uns nicht mehr lange.

SZ: Sie kamen, um Leute rauszuschmeißen?

Speck: Auch. An einem Tag führte ich zwölf Kündigungsgespräche, im Halbstundenrhythmus, danach war ich völlig fertig. Insgesamt gingen 48 von 146 Mitarbeitern. Aber die Alternative wäre gewesen, den Laden dichtzumachen.

SZ: Und heute?

Speck: Man kann unsere Produkte in rund 4000 Firmenkantinen, 7000 Supermärkten, 800 Weltläden und bei 4000 Aktionsgruppen kaufen.

SZ: Welche Rolle hat die Gepa mittlerweile? Auch Discounter verkaufen doch Fair-Trade-Produkte.

Speck: Wir sind die Eisbrecher, schlagen die Schneise für faire Produkte. Erst dadurch können die Tanker überhaupt in die Richtung fahren.

SZ: Sehen Sie in Lidl und Co. Verbündete oder Feinde des fairen Handels?

Speck: Im Großen und Ganzen Verbündete. Obwohl die Gefahr besteht, dass Fair-Trade-Produkte bei Discountern nur ein Feigenblatt sind. Bei 99 Prozent des Sortiments wird der Preis auf Kosten der Hersteller gedrückt, das ist das Gegenteil der Fair-Trade-Idee.

SZ: Viele Kunden verstehen bei dem Dschungel an Fair-Trade-Siegeln den Unterschied zwischen Gepa und Discounter-Fair-Trade-Produkten nicht.

Speck: Die Gefahr besteht. Entscheidend ist für mich, dass wir Avantgarde bleiben.

SZ: Ist fairer Einkauf abhängig vom Geldbeutel?

Speck: Ein vergleichbar guter Kaffee kostet zwei Cent mehr pro Tasse, das ist nicht viel. Bei schlechtem ist es etwas mehr, vielleicht fünf Cent.

SZ: Ist die Finanzkrise ein Problem, sind Kunden knausriger?

Speck: Im Gegenteil. Viele interessieren sich gerade wegen der Krise stärker für die Frage, woher die Produkte kommen und wie sie hergestellt werden. Wir haben längst nicht unser Potential ausgeschöpft: Ich halte es für realistisch, dass 30 Prozent der Bevölkerung Fair-Trade-Produkte kaufen, in England sind es momentan 20 bei Kaffee - in Deutschland ist es nur ein Prozent.

SZ: Hört sich an, als hätten Sie noch viel vor. Können Sie sich nach 20 Jahren Gepa auch noch etwas anderes vorstellen?

Speck: Oh ja, ein Leben als Schafzüchter würde mich reizen.

SZ: Wie bitte, der Gepa-Chef will Hirte werden?

Speck: Ich arbeitete schon nach dem Studium ein paar Jahre als Schafzüchter, kaufte fünf ostfriesische Milchschafe und mietete einen aufgegebenen Hof, mit einem Stall und ein paar Hektar Land drum herum ...

SZ: ... und lebten von dem Verkauf von Fleisch, Käse und Wolle?

Speck: Nein, davon leben konnten meine Frau und ich nie. Es blieb ein Zubrot, das unwahrscheinlich viel Arbeit machte. Um überleben zu können, hatte ich zusätzlich eine Vollzeitstelle als Sozialarbeiter. Viel mehr Arbeit machten aber die Schafe - obwohl ich mit ihnen kaum etwas verdiente.

SZ: Warum haben Sie sich so ein Leben überhaupt angetan, Sie hatten doch Deutsch und Sozialkunde auf Lehramt studiert?

Speck: Ich fand nach meinem Referendariat keinen Job, es gab kaum Lehrerstellen. Aber ich hatte gerade geheiratet, und meine Tochter war unterwegs. Zudem war es damals ja populär, aufs Land zu gehen. Überall wimmelte es von politischen Aktivisten, Esoterikern und eben Landfreaks.

SZ: Sie haben all das mitgenommen?

Speck: Das meiste, ja (lächelt).

SZ: Also führten Sie vor Ihrer Landflucht ein wildes Kommunenleben?

Speck: Seit ich mit 18 auszog und bis ich 30 war, lebte ich in Wohngemeinschaften. In einer davon waren wir zu vierzehnt und überlegten ernsthaft, ob wir die gesamte Privatsphäre aufheben sollen. Ein Gemeinschaftsschlafraum für alle, ein anderer zum Fernsehen, eine Küche und zwei Arbeitszimmer, das war die Idee.

SZ: Und wenn man als Paar Zärtlichkeit austauschen wollte?

Speck: Hätte man das dann öffentlich machen müssen. Wir diskutierten ein halbes Jahr lang intensiv und beschäftigten uns sogar mit einer Reihe von Theoretikern. Am Schluss haben alle gekniffen (lacht).

SZ: Warum?

Speck: Es war uns dann doch zu heiß. Jeder von uns merkte: Es geht einen Schritt zu weit.

SZ: Aber eine Gemeinschaftskasse hatten Sie?

Speck: Ja, für Essen und Spülmittel zahlte jeder 15 Mark pro Woche.

SZ: War das viel für Sie?

Speck: Bei mir reichte das Geld hinten und vorne nicht. Von meinem Vater bekam ich ja nie etwas. Obwohl er genug hatte, er war Tierarzt und später Professor für Landwirtschaft.

SZ: Wie haben Sie Ihr Studium finanziert?

Speck: Ich bin Nachtschichten mit dem Taxi gefahren.

SZ: Waren Sie eigentlich sauer auf Ihren Vater?

Speck: Nein, im Nachhinein finde ich es sogar gut. Ich stand von Studienbeginn an auf eigenen Beinen. Und ich hatte eine nette Oma, die mir immer wieder mal 100 Mark zusteckte. Das erste WG-Zimmer kostete mich 79 Mark, warm, ich verbrauchte nicht viel Geld ...

SZ: ... während Ihre Eltern in Saus und Braus lebten?

Speck: Gar nicht, sie lebten sehr bescheiden. Als Baptisten hatten sie eine ablehnende Haltung zu allem, was mit Protzerei zu tun hatte.

SZ: Luxus war verpönt?

Speck: Mein Vater trägt dieselbe Strickjacke seit 40 Jahren, obwohl sie an den Ärmeln schon ganz abgewetzt ist. Und er hat einen Anzug, der schon drei Modewellen überlebt hat.

SZ: Wie alt ist denn Ihre Jacke?

Speck: Die hier? (lacht) Sie haben recht, es ist eine ausrangierte Anzugjacke. Ich hab' eine Anzugjacke für

den Winter und eine für den Sommer. Aber ich besitze auch ein paar neue Anzüge.

SZ: Wie fanden es Ihre konservativen Eltern, dass ihr Sohn in einer Kommune lebte?

Speck: Mein Vater und ich hatten ein schwieriges Verhältnis. Er sagte immer: Von mir kriegst du kein Geld, ich finanziere doch nicht meinen eigenen Untergang. Oder: Die langen Haare sind mir egal, was darunter ist, stört mich. Er meinte meine politische Auffassung.

SZ: Sie waren langhaarig und links, wie es sich damals gehörte.

Speck: Ideologisch lagen Welten zwischen meinem Vater und mir. Oft stritten wir uns bis morgens um sieben über Politik. Er war ja 1957 aus politischen Gründen aus der DDR geflohen.

SZ: Wie sind Sie geflohen?

Speck: Meine Großeltern haben meine Mutter und mich am Bahnhof in Leipzig verabschiedet. Ich versuchte, meine Oma zu trösten: Ich bin doch nur drei Wochen weg. Da weinte sie.

SZ: Ihr Zug fuhr ab ...

Speck: ... sofort kamen Volkspolizisten und durchwühlten unser Gepäck, ob wir mehr mitgenommen haben als für einen Besuch. Als der Zug über die Grenze gerollt ist, hat meine Mutter gesagt: "Thomas, wir fahren nicht mehr zurück." Da war plötzlich ein Abschnitt der Kindheit vorbei.

SZ: Wie ging es weiter?

Speck: Nach dem Auffanglager landeten wir in einem kleinen Häuschen auf einem Bauernhof, ohne Strom.

SZ: Und Ihr Vater?

Speck: Der hat als Fleischbeschauer im Kieler Schlachthof angefangen. Bald bekam er eine Stelle in Göttingen angeboten, habilitierte sich und wurde Professor für Tiermedizin.

SZ: Wie verstehen Sie sich heute mit ihm?

Speck: Blendend. Letztendlich sind wir uns sehr ähnlich. Und nahe waren wir uns schon immer - trotz oder vielleicht gerade wegen der heftigen Diskussionen.

SZ: Als Tierarzt gefiel ihm bestimmt Ihre Schafzucht.

Speck: Er untersuchte unsere Schafe, ich schor sie. Die sahen am Anfang aus wie Punks, die Bauern amüsierten sich köstlich. Ich hatte mir das Landleben romantischer vorgestellt!

SZ: Was missfiel Ihnen?

Speck: Mein Leben bestand nur noch aus Arbeit, von morgens um vier bis abends um zehn. Das habe ich so drei, vier Jahre durchgehalten.

SZ: Dann hatten Sie auf einmal die Nase voll.

Speck: Es zeichnete sich ab, dass das mit dem Lehrerberuf nichts mehr würde. Also machte ich eine Zusatzausbildung im EDV-Bereich, arbeitete zwei Jahre bei in einem Unternehmen und ging dann zur Gepa.

Interview: Caspar Dohmen und Alina Fichter

© SZ vom 21.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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