Reden wir über Geld:"Bei null anzufangen, das prägt"

Lesezeit: 7 min

Schriftstellerin Alina Bronsky. (Foto: Regina Schmeken)

Alina Bronsky schreibt über das, worüber andere nicht reden - wie die Hässlichkeit des eigenen Kindes. Und erzählt vom Leben mit zwei Namen.

Interview von Hans von der Hagen und Kristiana Ludwig

Kaum eine Schriftstellerin in Deutschland pflegt einen so beiläufig-rotzigen Ton in ihren Büchern wie Alina Bronsky. Zu ihren bekanntesten Romanen zählen "Scherbenpark", "Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche" oder auch "Baba Dunjas letzte Reise". Dass Schreibstil und persönliches Auftreten nur selten zusammenpassen, zeigt die 38-Jährige beim Interview-Termin im Gasthaus Gottlob in Berlin-Schöneberg. Sie ist sehr freundlich, von Schnoddrigkeit keine Spur. Allerdings: Sie muss gleich zur Kita. Also: bitte zügig.

SZ: Frau Bronsky, reden wir über Geld. In einem Ihrer Bücher schreiben Sie: "Menschen brauchen Ruhe und Geld". Was ist Ihnen wichtiger?

Alina Bronsky: Es hängt zusammen. Ganz ohne Geld ist es schwierig, ruhig zu bleiben. Manchen gelingt das zwar, aber Geld steht für bestimmte Ressourcen. Wer keine Ressourcen hat, wird eher unruhig. Es gibt dazu ein berühmtes russisches Filmzitat: "Sag mir nicht, wie ich zu leben habe. Hilf mir lieber materiell". Soll heißen: Her mit der Kohle, anstatt ungebetene Ratschläge zu erteilen.

Sie sind als Kind aus Russland eingewandert. Ist der Umgang mit Geld in Russland anders als hier?

Gerade ältere Russen haben schon öfter erlebt, was es bedeutet, alles zu verlieren. Zum Beispiel die mehrfache Entwertung der Ersparnisse nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Da hatten Menschen Banknoten nach alter Sitte aufbewahrt und dachten, sie könnten sich davon irgendwann ein Auto kaufen. Und wenig später reichte es nur noch für zwei Brote. Diese Erfahrung führt zu einer gewissen Abgebrühtheit, andererseits auch zu einem starken Sicherheitsbedürfnis.

Haben Sie das selbst auch erlebt?

Ich gehöre zu einer anderen Generation. Aber als meine Eltern nach Deutschland kamen, waren sie ohne jede Rücklagen. Kein Elternhaus, kein Keller voll mit Dingen, keine Großeltern im Rücken. Nichts, worauf man hätte zurückgreifen können. Materiell bei null anzufangen - diese Erfahrung prägt.

Haben Sie sich an den Konsum gewöhnt?

Nein, ich habe es bis heute nicht richtig gelernt. Ich finde es unglaublich nervig und langweilig einzukaufen. Früher hätte ich gesagt: Eigentlich braucht man nicht viel zum Glücklichsein. Inzwischen, mit einer größeren Familie, merke ich, dass Geld die Dinge einfacher macht.

Weil Ihre Kinder ständig fordern?

Nein, ich finde sie eigentlich vernünftig und bescheiden.

Reden Sie mit Ihrer Familie und Ihren Freunden über Geld?

Es ist auf eine Art präsent, ohne dass man es direkt anspricht. Wir vergleichen nicht unsere Kontostände, aber wenn man über Erlebnisse und Entscheidungen spricht, wird das Thema Geld indirekt tangiert.

Weil andere glauben, als bekannte Autorin hätten Sie viel Geld?

Als ich ein Buch geschrieben hatte, das in allen Buchläden lag, gingen zumindest einige davon aus, dass ich ausgesorgt hätte. Und als dann zwei Rezensionen erschienen und noch dazu ein Fernsehbericht war klar, ich bin Multimillionärin. Da muss ich immer wieder erzählen, wie es wirklich ist.

Und wie ist es wirklich?

Die Vorschüsse bei Debütanten sind meist bescheiden. Ich habe 8000 Euro bekommen und fand das damals unglaublich viel Geld. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass überhaupt jemand mein Buch kauft. Später habe ich dann gemerkt: Es gibt deutlich höhere Vorschüsse.

Was bekommen Sie pro Buch?

Bei Buchverträgen gibt es Staffeln. Mit wachsender Auflage kann es eine höhere Beteiligung geben. Die liegt bei einem Hardcover zwischen einem und zwei Euro pro Buch. Ich erzähle das auch gern bei Schullesungen. Die Schüler stellen noch Fragen, die Erwachsenen zu peinlich sind. Die Kinder wollen konkret wissen: "Was verdienen Sie denn überhaupt?" Ich erkläre dann, dass man eine Menge Bücher verkaufen muss, um auf eine Art Mindestjahresgehalt zu kommen.

Sie verdienen vor allem an den Büchern?

Fremdsprachige Lizenzen, Theaterfassungen oder Filmrechte kommen noch hinzu. Ein sehr wichtiges Standbein sind zudem Lesungen. Die werden in Deutschland vergleichsweise großzügig honoriert, gerade bei Erwachsenen-Belletristik.

Ab welcher Position in der Bestsellerliste wird es für Sie als Autorin interessant?

Mal unter den ersten 20 oder 50 zu sein, ist sehr wertvoll. Dann darf man sich schon das Etikett "Bestseller" aufs Buch kleben und wird als Autor anders wahrgenommen. Konkret bedeutet das: bessere Platzierungen in Buchläden, mehr Einladungen. Es bedeutet aber nicht automatisch, dass man 100 000 Exemplare verkauft - man kommt auch mit weniger als 30 000 auf die Liste. Im Frühling sind die Verkaufszahlen insgesamt geringer, darum gilt es als leichter, auf die Bestseller-Listen zu kommen.

Sie müssen also abwägen, ob Sie mehr verkaufen oder auf die Liste wollen?

Das ist in der Tat eine strategische Überlegung. Manchmal sagt ein Verlag: lieber im Frühjahr veröffentlichen, dann wird das Buch eher wahrgenommen. Dann fehlt aber das Weihnachtsgeschäft. Ich selbst habe mit dem Frühjahr keine guten Erfahrungen gesammelt.

Was war bisher Ihr erfolgreichstes Buch?

Mein erfolgreichstes Hardcover ist das aktuelle "Baba Dunjas letzte Liebe", das fünf Wochen unter den ersten 20 war und fast ein Jahr unter den ersten 50.

Wie viele davon haben Sie verkauft?

80 000.

Und "Scherbenpark", Ihr erstes Buch?

"Scherbenpark" kam als Hardcover nie auf die Liste. Aber es lief sehr schön als Taschenbuch. Ich habe neulich die 13. Taschenbuchauflage gesehen. Das ist ein seltenes Glück, dass es einfach kontinuierlich weitergelesen wird. Bis jetzt sind es auch an die 80 000.

Schauen Sie bei Amazon nach, wie sich Ihre Bücher verkaufen?

Ja, natürlich. Ich google bei neuen Büchern oft den Verkaufsrang, wie es die meisten Autoren tun. Der sagt allerdings wenig über die Stückzahlen aus. Dennoch habe ich mir damals bei "Scherbenpark" mit "Programmieren für Dummys" ein kleines Programm geschrieben. Das las dann stündlich den Rang bei Amazon aus und speicherte es in einer Liste. Es war noch in der Zeit, bevor die Smartphones aufkamen und man nicht ständig online gucken konnte.

Gab es einen Algorithmus, um hochzurechnen, wie viel man tatsächlich verkauft hat?

Bestimmt, aber so weit war ich nicht.

Was bieten die Algorithmen heute?

Ich bin keine Expertin, meine aber gehört zu haben, dass es eher eine mäßig verlässliche Pi-mal-Daumen-Regel gibt, manchmal auch Kaffeesatzleserei. Unter den ersten 200 sind es vielleicht so 50 Bücher pro Tag, bei Spitzenplätzen natürlich deutlich mehr. Dennoch ist die Zahl überschaubar. Wenn man bei Amazon oben platziert ist, heißt das nur, dass in den letzten 24 Stunden vergleichsweise viele Menschen das Buch gekauft haben. Das kann schnell wieder einbrechen. Meine beste Platzierung war, glaube ich, einmal Rang 7 nach einer Fernsehsendung, Aber das war wirklich kurz, vielleicht zwei Stunden.

"Ein Buch ist für mich immer eine Auseinandersetzung mit mir selbst"

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie Erfolg mit Ihren Büchern haben?

Es ist kein kontinuierliches Gefühl, sondern es sind eher punktuelle Glücksgefühle nach einzelnen Erfolgserlebnissen. Man verbindet natürlich auch Hoffnungen mit einem Buch, auch wenn man nicht fest damit rechnet. Und wenn sich die Hoffnungen erfüllen, bin ich glücklich. Für mich sind die Verkäufe wichtiger als die Rezensionen, weil sie widerspiegeln, wie das Buch bei den Lesern ankommt. Gute Verkäufe trösten mich persönlich ungemein über manch abwertende Besprechung hinweg. Es gibt umgekehrt auch wunderschöne Rezensionen, die aber schlechte Verkäufe nicht ausgleichen.

Zuletzt gab es mit "Die Abschaffung der Mutter" ein Sachbuch von Ihnen. Ist das für eine Romanautorin nicht riskant, das Genre zu wechseln?

Sicher, mein Verlag wollte es mir sofort ausreden. Am Ende hofften alle nur noch, dass es vorbeigeht wie eine Krankheit. Ein Autor vermittelt in seinen Büchern ein bestimmtes Lebens- und Lesegefühl. Und wenn plötzlich etwas ganz anderes kommt, können Menschen, die zum Beispiel ein Buch von Alina Bronsky lesen wollen, womöglich wenig damit anfangen.

Aber genau das haben Sie jetzt riskiert.

Es war auch verrückt. Das war das Buch, das mir die meiste Arbeit abverlangt hat. Es war wahnsinnig spannend, unglaublich anstrengend und vor allem nach dem Erscheinen auch kräftezehrend, weil ich gemerkt habe: Ich bin für Sachbücher nicht gemacht. Die Art, wie mit Sachbüchern umgegangen wird, die Diskussionen, die Öffentlichkeitsarbeit, die von einem erwartet wird.

Was ist anders als bei Romanen?

In der öffentlichen Auseinandersetzung ging es weniger um unsere Inhalte, sondern oft um freie Assoziationen des Gesprächspartners zu dem Thema. Vieles drehte sich im Kreis. Fragt mich dagegen jemand nach meinen Romanen, gibt es eine viel persönlichere, tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Buch.

Würden Sie noch einmal ein Sachbuch schreiben?

Erst mal nicht. Wenn mir ein Thema am Herzen liegt, würde ich das eher in einer fiktiven Geschichte aufgreifen.

Was wollen Sie denn in Geschichten erzählen?

Ein Buch ist für mich immer eine Auseinandersetzung mit mir selbst. Ich habe das Gefühl, auch die Leser möchten mehr über sich selbst erfahren, irgendetwas in dem Buch finden, das sie zurückbringt zur eigenen Geschichte. Wie geht man mit Verlust um, wie bewahrt man seine Identität, wie geht man mit seinen Ängsten um? Das sind Themen, die nie aufhören, einen zu beschäftigen.

Alina Bronsky ist ein Pseudonym. Warum nutzen Sie es?

Das frage ich mich inzwischen auch. Kurz vor der ersten Veröffentlichung dachte ich: Ich bin introvertiert und das Buch ist so persönlich. Es war einfach als kleines Schutzschild gedacht.

Und jetzt?

Manchmal bin ich dankbar, manchmal finde ich es lästig. Allein schon, wenn ich ans Telefon gehe. Weil ich oft nicht weiß, ob ich jetzt privat oder als Autorin angesprochen werde, nenne ich zum Beispiel nie meinen Namen, was etwas unhöflich ist. Es ist immer eine kleine Verkrampfung dahinter.

Gibt es Dinge, die Alina Bronsky schreiben würde, Sie aber nicht?

Ganz am Anfang hatte ich mir mal Gedanken gemacht, ob das Pseudonym eine Rolle ist, ob ich damit ein anderer Mensch bin. Aber nein: Es ist wirklich nur ein Name.

Wie sind Sie auf ihn gekommen?

Der Name ist mir einmal nachts im Traum eingefallen. Am Morgen wusste ich sofort: Das ist der richtige.

In Ihren Büchern geht es recht ruppig zu. Da ist zum Beispiel die Abtreibung mit Stricknadeln. Überlegen Sie beim Schreiben, was Ihre Eltern von Ihnen denken?

Ja, schrecklich. Aber Bücher sind ja öffentlich zugänglich. Ich spreche aber nie mit ihnen über meine Bücher. Die Vorstellung, dass sie bestimmte Szenen lesen, finde ich nicht schön. Aber sie sind zum Glück noch nie zu mir gekommen und haben gesagt: "Was hast du denn da Grauenhaftes geschrieben."

Bei Ihnen geht es oft um die Alten und die Jungen, manchmal auch um die Hässlichkeit des eigenen Kindes. Warum?

Die Hässlichkeit des Kindes ist ein Tabu, das Menschen erschreckt. Aber es macht Spaß, sich genau damit auseinanderzusetzen. Zweimal spielten Großmütter bei mir eine besondere Rolle - vielleicht, weil über Frauen mittleren Alters schon so viel geschrieben wurde. Vielleicht steckt dahinter auch die Suche nach einer ungewöhnlichen Hauptfigur. Obwohl: Was ist an Großmüttern extrem?

Auf eine Art ja, aber eher virtuell. Ich war schon ewig nicht mehr in Jekaterinburg, meinem Geburtsort.

Warum kamen Ihre Eltern nach Deutschland?

Mein Vater ist Physiker. Als die Sowjetunion zusammenbrach, waren die Arbeitsbedingungen so, dass ein ganzer Schwung von Wissenschaftlern das Land verlassen hat. Meine Mutter hat Astronomie studiert und später als Lehrerin gearbeitet.

Durften Sie auch mal durch das Teleskop schauen?

Sicher, auch wenn ich mich nicht mehr erinnere. Ich habe viel Zeit mit meiner Mutter im Observatorium auf dem Land verbracht. Ihr Thema war die Sonne, was ich schade fand, denn diejenigen, die die Sterne betrachteten, konnten nachts wach sein. Ich erinnere mich, dass meine Mutter Sonnenflecken auf einer Scheibe markierte. Aber ich dachte immer nur: Warum nicht den Mond? Die Sonne ist doch immer da.

© SZ vom 02.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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